Von Peter Zschunke
Ein Griff, ein Schnitt, und die Traube liegt im Eimer. Überall in den 13 deutschen Weinanbaugebieten wird in diesen Tagen gelesen, die einfachereren Qualitäten maschinell mit einem Traubenvollernter, die besseren Lagen mit der Hand. Im Bremmer Calmont an der Mosel, der mit einer durchschnittlichen Hangneigung von 65 Grad als steilster Weinberg Europas gilt, geht es ohnehin nur mit der Hand. Beim Weingut Franzen füllen zwölf Erntehelfer in einer Reihe die Eimer mit Riesling-Trauben, kippen sie in die Hotte, wie die auf dem Rücken getragene Lesebütte hier heißt, und arbeiten sich langsam den Berg hoch.
Franziska Herke ist aus dem Rheingau zur Lese an die Mosel gekommen. «Das ist etwas ganz anderes hier», sagt die angehende Winzerin. «Hier ist viel mehr Handarbeit, und die Beziehung zu dem einzelnen Rebstock ist besonders intensiv.»
In den 13 deutschen Anbaugebieten gibt es rund 15 000 Hektar Weinberge in Steillage, das heißt mit einer Hangneigung von mehr als 30 Prozent. Das entspricht nach Angaben des Deutschen Weininstituts rund 15 Prozent der deutschen Gesamtrebfläche. Sie befinden sich zum großen Teil an den Hängen der Flusstäler von Mosel, Rhein, Ahr, Main, Nahe, Neckar oder Elbe, aber auch am Fuße des Schwarzwalds, wie etwa in der Ortenau in Baden.
An den steilen Lagen der Mosel werden die Reben noch oft in Einzelpfahlerziehung kultiviert. Dabei werden zwei frische Triebe einer Rebe im Frühjahr nicht wie sonst üblich an einen Drahtrahmen, sondern an einem 2,30 Meter hohen Holzpfahl ganz nach unten gebogen und in Form eines Herzens befestigt. «Dafür braucht man viel Gefühl, und es sieht wunderschön aus», sagt die Winzerin Angelina Franzen.
Ihr Schwiegervater Ulrich steht für den Neuanfang für den Steillagenweinbau am Bremmer Calmont. Viele traditionelle Weinberge verfielen in den 1970er und 1980er Jahren. Ende der 1990er Jahr begann Ulrich Franzen mit der Rekultivierung der von rötlichem Schiefer geprägten Böden. In der zwischen Felsrippen eingefassten Lage Fachkaul erwarb er 112 einzelne Parzellen, rodete die Flächen und pflanzte neue Riesling-Reben - heute die beste Lage des Weinguts. «Das war sein Lebenswerk» sagt die 30-jährige Winzerin, die das Weingut mit ihrem Mann Kilian früher übernehmen musste als geplant.
Es gehört einiges an Idealismus dazu, Jahr für Jahr die Knochenarbeit im steilen Weinberg auf sich zu nehmen. Erst heute morgen habe ihm ein Winzer mitgeteilt, dass er mit 63 Jahren beschlossen habe, den Betrieb aufzugeben, sagt der Präsident des Weinbauverbands Mosel, Walter Clüsserath. Der Steillagenweinbau sei so kostenaufwendig, dass er sich nur über den Direktverkauf an Privatkunden und Touristen lohne. Aber zwei Drittel der Produktion an der Mosel werden als Fasswein vermarktet - zu weit geringeren Preisen.
Den Arbeitsaufwand in der steilen Lage schätzt Angelina Franzen auf 1200 Stunden je Hektar und Jahr - im Vergleich zur üblichen Weinbergarbeit von etwa 200 Stunden bei Einsatz eines Traubenvollernters. Für ein betriebswirtschaftlich sinnvolles Arbeiten dürfte sie eine Flasche Wein eigentlich nicht unter 15 Euro verkaufen, sagt sie. «Mit 14,50 Euro sind wir da an der Grenze.» Die Spanne der Weinliste reicht von 8 Euro für den Gutswein der Rebsorte Elbling bis zu 59 Euro für den Riesling der Lage Fachkaul.
(Tipp der GOURMETWELTEN: Riesling Der Sommer war sehr groß)
Die staatliche Förderung für den Steillagenweinbau zur Erhaltung der Kulturlandschaft decke gerade die Kosten für den Hubschraubereinsatz im Pflanzenschutz, erklärt die Winzerin. Verbandspräsident Clüsserath kritisiert, dass die Förderung nicht an die Erhöhung der Lebenshaltungskosten angepasst werde. «Die Förderung ist ein Witz, sie kann nicht einmal ansatzweise die Mehrkosten decken.»
Auf den Feldwegen durch die Weinberge sind in diesen Tagen Autos mit Kennzeichen aus ganz Deutschland unterwegs - im Corona-Jahr boomt der Inlandstourismus. «Der Tourismus hängt vom Weinbau ab», sagt Clüsserath und der Geschäftsführer der Zeller Land Touristik, Yannick Jaeckert, stimmt zu. Die Übernachtungen in der Region übertreffen die Vorjahreszahlen um gut zehn Prozent. «Wir brauchen mehr Gastronomie, weil in der Hochsaison die Nachfrage größer ist als das Angebot.»
Im Weingut Franzen ist die Familie froh, dass der Direktverkauf dieses Jahr besonders flott läuft. Während die kleine Tochter aus dem Kindergarten kommt, packen die Eltern von Angelina Franzen mit an, um die Pakete für den Versand fertig zu machen. Der Exportanteil aber sei im Corona-Jahr von 50 auf fast 30 Prozent gesunken, sagt die Winzerin. «Amerika ist einer unserer Hauptmärkte gewesen, das ist jetzt zum Stillstand gekommen.»
Im Unterschied zu anderen Moselwinzern streben die Franzens trockene und leichte Rieslinge an. «Da ist die Klima-Erwärmung nicht hilfreich», sagt die Winzerin. Wichtig sei daher ein möglichst früher Lesebeginn. Bis Mitte Oktober soll der größte Teil der 2020er Lese abgeschlossen sein. Für die nächsten Jahre will Winzer Kilian Franzen auch Lagen mit einer östlichen Hangneigung erwerben - «weil es dort drei Stunden Sonnenschein am Tag weniger gibt, wird das jetzt immer interessanter.» dpa