Weinmetropole Bordeaux Ein Trip an die Garonne

Von Andreas Drouve

Beim Blättern in den Bildern ihrer Kindheit fällt Aurélie Chopy nichts Gutes zur ihrer Heimatstadt ein. «Bordeaux war dreckig und schwarz», erinnert sie sich.

Über dem Glanz vergangener Zeiten lag in Bordeaux eine Patina aus Vergessen, Gleichgültigkeit, Verwahrlosung. Die Handelsstadt an der Garonne war zwar, getragen von dem Geschäft mit den weltberühmten Bordeaux-Weinen, wirtschaftlich erfolgreich, doch von der Zeit zernagt und von überkommenen Hafen- und Fabrikanlagen zersetzt.

Um die Jahrtausendwende setzte das Großreinemachen ein, angetrieben von visionären Köpfen und Plänen für die Stadtentwicklung, umgesetzt von Kränen, Baggern und Abrissbirnen. Wo vorher Lagerhäuser am Fluss Garonne Blick und Zugang versperrten, entstanden nun Flanierpromenaden, Cafés, Restaurants, Boutiquen.

«Die Atmosphäre hat sich komplett verändert», sagt Stadtführerin Chopy und schwärmt: «Bordeaux ist für mich der komfortabelste Platz auf der Welt.» Zum Fortkommen reichen ihr Fahrrad und Straßenbahn.

Fusion aus Alt und Neu

Bordeaux ist trendy geworden, erfasst vom Sog einer Aufbruchstimmung, wie sie auch in anderen Städten Europas herrscht, ob sie nun Tallinn oder Belgrad heißen. Dabei greifen Alt und Neu auf unterschiedlichste Art ineinander.

Einerseits weitet sich die Moderne aus, zu sehen zum Beispiel im Viertel Bacalan, wo brandneue Straßenzüge und Wohnblocks entstehen und seit Mitte 2019 das Musée Mer Marine die Museumslandschaft mit einem Querschnitt durch die Schifffahrtsgeschichte bereichert.

Auf der anderen Seite ist hier kein Baubestand zu schäbig, kein Hinterhof zu dunkel und kein Gebäude zu abgewrackt, als dass nicht eine Neunutzung in Betracht käme. So ist aus dem U-Boot-Bunker, den die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg bauten und nutzten, ein Kunstausstellungszentrum erwachsen, das mit den Bassins de Lumières ab Mitte April 2020 eine große Multimedia-Installation zeigen wird.

Ein Hotspot auf einem alten Kasernengelände

Ein Kasernengelände hat seine Umwidmung als hipper Hotspot «Darwin» mit Skateparks und urbaner Landwirtschaft erlebt. Davor stand jedoch ein jahrelanger Kampf gegen die Behörden, wie Gründer Philippe Barre erzählt. Er hatte mit Partnern in einer verlassenen Sporthalle bereits Coworking - also gemeinschaftliche Arbeit in größeren, offenen Räumen - praktiziert, ehe der Terminus überhaupt existierte.

Sie schliefen in den Umkleiden, arbeiteten, machten Partys und schufen ihren eigenen «Geist des Teilens», erzählt Barre.

Als er dann ein Zentrum suchte, auch für Konzerte und Ausstellungen, stieß er auf das verwaiste Militärgelände gegenüber der City. Ein Skatepark war die Keimzelle von «Darwin», gefolgt von Werkstätten, ökologischer Gastronomie und einer alternativen Schule. Mittlerweile steigen hier jährlich um die 200 Events: Märkte und Feste ebenso wie Debatten zum Konsumverhalten oder zum Klima.

Philippe Barre ist soziale Verantwortung wichtig. «Wir wollen Einfluss nehmen, Inspiration kreieren», sagt der fünffache Vater. Er hätte sich, gibt er zu, nie vorstellen können, dass dies «ein Platz für Touristen» werden könnte. Und die sollen beiläufig Barres stille Botschaften mitnehmen wie: «Alte Gebäude können cool und modern sein» und «Recyceln ist kein Mist. Wir können alte Möbel aufarbeiten, wir brauchen keine neuen von Designern und produziert in China».

Die Wiederentdeckung der Weinmetropole

Die heutige Entdeckung der alten Weinmetropole ist eigentlich eine Wiederentdeckung - denn schon früher schwärmten die Menschen von ihr.

Für den Dichter Marie-Henri Beyle alias Stendhal (1783-1842) war Bordeaux «unbestritten die schönste Stadt Frankreichs». Sein Zeitgenosse Victor Hugo (1802-1885) schwärmte: «Nehmen Sie Versailles, fügen Sie Antwerpen hinzu, und Sie haben Bordeaux.»

Um die sechs Millionen Touristen strömen pro Jahr nach Bordeaux mit seinen 250 000 Einwohnern. Klassiker im Besichtigungsprogramm sind die Kathedrale, das Theater, der ersteigbare Turm der Basilika Saint-Michel, der Uhrturm Grosse Cloche und der Miroir d'Eau, der «Wasserspiegel», in dem die historischen Fassaden um den Börsenplatz baden.

Auch das «flüssige Gold», im Prinzip das größte Wahrzeichen Bordeauxs, beansprucht sein Recht: Das Weinmuseum Cité du Vin hat eine avantgardistische Form, welche die Dynamik des Weins in einem geschwenkten Glas symbolisiert. So wollen es die Architekten Anouk Legendre und Nicolas Desmazières zumindest verstanden wissen. Draußen schillern Aluminium und Glas, im Museum warten Themenparcours, interaktive Stationen und Kostproben in der Aussichtsetage.

Als Nachhilfe in Sachen Bordeaux-Weine gibt es im Museum einen Degustationsworkshop. Für Amateurtrinker vertieft Weinguide Marilyn Ramsay in einem nüchternen Rundraum die Kenntnisse zu Anbaugebieten und Aromen. In ihrer Freizeit konsumiert sie moderat, «im Schnitt zweimal pro Woche», aber dann richtig: mit gehaltvollen Roten.

Eine Pariser Vorstadt

Die Pegelausschläge beim Flair schwanken. Schick geht es in den Weinbars der Markthalle Bacalan zu, charmant auf Altstadtplätzen, bodenständig auf dem Wochenmarkt Marché de Capucins. Oasen sind der Stadtpark und der See mit Sandstrand. Überall steigen Attraktivität und Lebensqualität, Bordeaux wächst und wächst. Da der Schnellzug nach Paris nur noch zwei Stunden braucht, scherzen manche, sei Bordeaux eine Pariser Vorstadt. Doch das wird Bordeaux nicht gerecht. Es hat sich als Spitzendestination etabliert - und zwar zu Recht. dpa

Reise nach Bordeaux

Anreise: Per Bahn oder Flugzeug. Direktflüge nach Bordeaux gibt es zum Beispiel ab Frankfurt/Main oder Berlin.

Gesundheit: Informationen zur aktuellen Situation auch mit Blick auf die Verbreitung des neuartigen Coronavirus bietet das Auswärtige Amt in seinen Reise- und Sicherheitshinweisen unter http://dpaq.de/6xZgT.

Informationen: Atout France - Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 10 01 28, 60001 Frankfurt (Tel.: 069/74 55 56, E-Mail:

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