Wellenreiten in Surf City Santa Cruz

Von Florian Sanktjohanser

Durchtrainiert und jungenhaft steht Harry Mayo vor seinem riesigen Surfbrett und lächelt in die Sonne Kaliforniens, wie seine zehn Freunde neben ihm in der Reihe, von denen die meisten nun tot sind. «Santa Cruz Surfing Club» ist unter dem Foto zu lesen, «June, 1941». «Damals hatten wir die Wellen für uns allein», erinnert sich Harry, Hörgerät im Ohr und Baseballkappe auf dem weißen Resthaar, während er das Schwarz-Weiß-Foto betrachtet.

Es hängt in dem kleinen Leuchtturm auf den Klippen, der heute ein Museum ist. Der winzige Raum ist vollgestopft mit Surfbrettern verschiedenster Größen und Bauarten, Fotos, alten Neoprenanzügen - Andenken an die Pioniere jenes Sports, der Santa Cruz weltberühmt machte.

Heute ist das Wellenreiten in Santa Cruz allgegenwärtig. An der Ausgehstraße Pacific Avenue schlendert man alle paar Meter an hallengroßen Surfshops vorbei, auf den Straßen fahren Autos mit Surfbrettern auf dem Dach, und unter den Klippen am Ost- und Westende reihen sich die Surfspots aneinander. Den Titel «Surf City USA» hat die Stadt am Nordende der weiten Bucht von Monterey zwar in einem Rechtsstreit an Huntington Beach verloren. Dafür kann sie auf die längere Geschichte zurückblicken - als der Ort auf dem Festland, an dem erstmals gesurft wurde.

Im Sommer 1885 kamen drei hawaiianische Prinzen während ihrer Ferien von der nahen Militärschule nach Santa Cruz. In einem Sägewerk ließen sie sich Bretter aus Redwood-Holz zurechtschneiden und surften mit diesen auf den Wellen an der Mündung des San Lorenzo River.

Es vergingen 40 Jahre, bis ein anderer Hawaiianer den vielleicht entscheidenden Schub gab: Duke Kahanamoku, der als Schwimmer drei Goldmedaillen bei Olympischen Spielen gewann, zeigte 1925 am Strand vor der Vergnügungsmeile von Santa Cruz eine Schwimm- und Surfshow. Der Bericht der Lokalzeitung hängt heute vergrößert im Surfmuseum über dem Bellyboard von Kahanamoku.

Mit ähnlich kurzen Brettern aus Sperrholz hätten sie sich auch als Jungen in die Wellen gestürzt, sagt Harry. «Und dann führte eines zum anderen.» Die selbst gebauten Bretter wurden größer und schwerer. An den Wänden und der Decke des Museums hängen einige der riesigen Planken. Damit man sie überhaupt ins Meer schleppen konnte, waren sie hohl. «Meines wog 65 Pfund», sagt Harry - trocken, an Land. Aber die Ungetüme leckten und wurden dadurch noch schwerer. War zu viel Wasser eingesickert, zog man einen Stöpsel an der Spitze und ließ es wieder ablaufen.

Die klobigen Oldies hatten aber auch Vorteile. Sie waren vor allem stabiler als die heutigen Leichtgewichte, sagt Harry: «Du konntest deine Freundin hinaus in die Wellen nehmen und Tandem surfen.» Aber natürlich war es unmöglich, auf den Flößen so scharfe Kurven in die Wellen zu schneiden, wie es die Surfer heute direkt unterhalb des Leuchtturms tun. Hier liegt einer der besten Surfspots Kaliforniens: Steamers Lane.

Obwohl an diesem Tag ein eisiger Wind um die Klippen pfeift, paddeln mehrere Dutzend Surfer im Meer. «An einem Tag habe ich 250 Leute in den Wellen gezählt», erzählt Harry. In seiner Jugend traute sich kaum jemand in die Brecher von Steamers Lane. Die Bretter waren noch nicht mit Leinen an die Fußgelenke gebunden, zu groß war die Gefahr, dass sie an den Felsen zerschellen. Harry und seine Freunde ritten die Wellen am Cowells Beach gleich neben der Pier, heute ein Platz für Anfänger. Auf Schaumstoff-Boards können Urlauber hier versuchen, ihre erste Welle zu surfen. Fast jeder schafft das auch in der ersten Stunde - die Lehrer geben dem Brett im entscheidenden Moment einen kräftigen Schubs.

Wenn die Hände beim Hinauspaddeln das erste Mal eintauchen, zuckt man unwillkürlich zurück. Der Pazifik ist auch im Sommer kalt. «Wärmer als 60 Grad Fahrenheit wird das Wasser hier nie», sagt später am Nachmittag Dan. Knapp 16 Grad Celsius. «Aber der Neoprenanzug hält dich warm.» Dan sieht so aus, wie sich Teenager-Mädchen einen Surfer erträumen: braun gebrannt, ausgebleichte Mähne, muskulös. Er sitzt auf einer Bank auf den Klippen und schaut hinab zu den Surfern, die hier am Pleasure Point ihr ewig gleiches Schauspiel aufführen.

Um vom Leuchtturm zum Pleasure Point zu gelangen, muss man einmal durch die ganze Stadt fahren, vorbei an den hübschen Holzhäusern mit verglasten Balkonen und großen Panoramafenstern am West Cliff Drive, vorbei am Vergnügungspark mit seiner Achterbahn aus dem Jahr 1924 und vorbei am Jachthafen und den Stränden, wo die Familien am Wochenende Marshmellows grillen.

Hier am Ostende der Stadt liegt das andere Zentrum des Wellenreitens in Santa Cruz. East Siders und West Siders sind ewige Rivalen. Dan würde nie an der Steamers Lane unter dem Leuchtturm surfen. «Bad vibes», sagt er, «zu viele Leute, die vom Surfen leben wollen.»

Abgesehen von diesen Hahnenkämpfen ist Santa Cruz ein zutiefst entspanntes und liberales Ferienstädtchen. Urlauber essen Meeresfrüchte in den Restaurants auf dem Pier, amüsieren sich in den Achterbahnen des Boardwalks, wandern in den Redwood-Wäldern gleich hinter der Stadt oder schauen einfach auf einer Holzbank in der wärmenden Nachmittagssonne den Surfern zu.

Harry selbst geht mittlerweile nicht mehr surfen. «Ich habe nicht mehr die Kraft in den Schultern», sagt er. Er sei schließlich schon 86 Jahre alt. Wann er das letzte Mal gesurft sei? Harry grinst spitzbübisch. «Vor fünf Jahren.» dpa

santacruz.org

Service

 - Am Memorial Day Weekend Ende Mai gibt es jedes Jahr an der Steamers Lane das «Annual Longboard Club Invitational» zu sehen, den ältesten Surfwettbewerb der US-Westküste.

- Im Juni treffen sich jedes Jahr Dutzende von Oldtimern auf dem Pier von Santa Cruz zum «Woodies on the Wharf».