Schwangere und Kinder sollen keine alkoholischen Getränke zu sich nehmen – auch keinen Wein. Da waren sich alle einig. Aber gilt das „Null Alkohol“ auch für den Rest?
Professor Nicolai Worm (Ernährungswissenschaftler) hinterfragte, inwieweit die neuen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zum Alkoholkonsum auf bester wissenschaftlicher Evidenz basieren. Er stellte klar, dass die DGE für ihre aktuellen Empfehlungen unverändert die eines kanadischen Instituts für Suchtforschung übernimmt und die beste verfügbare aktuelle wissenschaftliche Evidenz ignoriert, wonach ein leichter bis moderater Alkoholkonsum sehr wohl mit einer deutlichen Senkung der Herz-Kreislauf- wie auch der Gesamt-Sterblichkeit einhergeht (1).
Worm zeigte auch aktuelle Meta-Analysen von Langzeitbeobachtungsstudien auf, die für leichten bis moderaten Weinkonsum kein Risiko für Krebserkrankungen nachweisen konnten (2, 3).
Eine Erklärung für die verfälschte Darstellung der Datenlage könnten z.B. Interessenkonflikte von Akteuren der einzelnen Organisationen sein. Drei federführende Autoren der Empfehlungen des kanadische Suchtinstitut geben an, von Movendi international (früher Guttempler) unterstützt zu sein - also von einer weltweit agierenden Alkohol-Abstinenz Bewegung -, die übrigens auch die WHO in ihrer Alkohol-Arbeit finanziell fördert. Dass die DGE das alles ignoriert und deren Empfehlungen undifferenziert und unkritisch aufnimmt, widerspricht allen Regeln der evidenzbasierten Ernährungsmedizin.
Worm kommt zu seinem evidenzbasiertes FAZIT:
Leichter bis moderater Weinkonsum zu den Mahlzeiten, vorzugsweise im Rahmen einer mediterranen Ernährung und einer gesunden Lebensweise, reduziert nach bester verfügbarer Evidenz bei den meisten Menschen im mittleren und höheren Alter das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und die Gesamtsterblichkeit und erhöht nicht das Krebsrisiko und sollte für die meisten mit hoher Wahrscheinlichkeit als sicher angesehen werden.
Wie heute moderater Alkoholkonsum im Spannungsfeld zwischen seriöser Gesundheitsinformation und Fake-News steht, hat Prof. Dr. Kristian Rett (Internist, Endokrinologe) dargestellt. Die wissenschaftlich fundierte Gegenposition zum neo-prohibitionistischen Zeitgeist erfordere nach Rett Antworten auf drei Fragen:
1. Woher kommt die Erzählung, Alkohol sei in jeder Form und Dosis giftig („no safe level“)?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fördert die Global Burden of Disease Study (GBDS), ein riesiges Datensammlungsprojekt, aus dem zwei Publikationen zum Thema Krankheitslast durch Alkoholkonsum hervorgegangen sind, die im renommierten Fachblatt „Lancet“ mit vier Jahren Abstand veröffentlicht wurden. Die Autoren sind dieselben, aber die Aussagen widersprechen einander diametral. Die Kernaussage der Erstversion (4) (GBDS 2018) lautet: Es gibt keine risikoarme Dosis und schon gar keine gesundheitlichen Vorteile durch den moderaten Konsum. Globale Abstinenz sei somit alternativlos und von den politischen Verantwortlichen durch steuerliche Maßnahmen und Verfügbarkeitsbeschränkungen anzustreben.
Die Zweitversion (GBDS 2022 (5)) kommt nach Berücksichtigung von z.B. Alter und Regionen zu völlig anderen Ergebnissen und verwirft das globale Abstinenzparadigma. Alkohol führt nur bei jungen Menschen zum Verlust gesunder Lebensjahre, die Schwellendosis und die risikoarme Dosis liegen bei 0,5 bzw. knapp 2 Standardgetränken pro Tag, ab dem 40. Lebensjahr geht geringer bis moderater Alkoholkonsum gar mit einem Überlebensvorteil und einem geringeren Herzinfarkt-, Schlaganfall- und Diabetesrisiko einher. Damit haben die Autoren der Global Burden of Disease Study 2022 ihre Schlussfolgerung von 2018 widerrufen, wonach Alkohol in jeder Form und Dosis giftig sei. Die WHO wie auch die DGE ignorieren diese Kehrtwende und geben eine widerlegte Datenlage als „wissenschaftlichen Konsens“ aus. Der einfältige Slogan vom „no safe level" ist klar eine Falschinformation (4, 5).
2. Woran erkennt man seriöse Gesundheitsinformation und wie ist der „Leitfaden für Journalisten zur Berichterstattung über Alkohol“ der „Less Alcohol Unit“ der WHO einzuordnen?
Ob eine Gesundheitsinformation seriös ist, kann anhand einer 15-Punkte-Checkliste überprüft werden. Die 3 wichtigsten der 10 W-Fragen sind: Wer schreibt, wer bezahlt und wie hält man es mit der Wahrheit. Die 3 wichtigsten Fragen aus dem TRINK-Spruch sind die nach der Transparenz, der Neutralität und dem Kleptokraten-Einfluss). Das Ergebnis enttarnt den Leitfaden der WHO nach Rett als unseriös.
3. Gibt es zu den gesundheitlichen Auswirkungen moderaten Alkoholkonsums seriöse Quellen?
Ein Beispiel ist der bereits erwähnte aktuelle Bericht der National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine (1). Dort fassen 14 angesehene US-Wissenschaftler die aktuelle Studienlage gemäß den Standards seriöser Gesundheitsinformation zusammen. Inhaltlich ist vor allem die Trennung von Nie-Trinkern und ehemaligen Trinkern bedeutsam, was den sick-quitter-bias („Verzerrung durch Personen, die wegen Erkrankungen aufgehört haben zu trinken“) eliminiert. Im Ergebnis geht moderater Alkoholkonsum gegenüber lebenslanger Abstinenz mit einem Überlebensvorteil einher (16% geringeres Sterberisiko).
Quellen
(1) National Academies Science Engineering Medicine, Review of Evidence on Alcohol and Health (2025)
(2) Lucerón-Lucas-Torres M, Cavero-Redondo I, Martínez-Vizcaíno V, et al: Association between wine consumption and cancer: a systematic review and meta-analysis. Front Nutr 2023; 10:1197745
(3) Wojtowicz JS: Long-Term Health Outcomes of Regular, Moderate Red Wine Consumption. Cureus 2023; 15:e46786)
(4) Gakidou, Et et al. Alcohol use and burden for 195 countries and territories,1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016, The Lancet, Published online August 23, 2018 dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(18)31310-2
(5) Gakidou, E et al. Population-level risks of alcohol consumption by amount,
geography, age, sex, and year: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2020, Lancet 2022; 400: 185–235