Wild im Weinberg So schützen sich Winzer

Von Doreen Fiedler

In der mächtigen Brust von Rainer Porscha schlagen zwei Herzen im Takt. Der 54-Jährige ist überzeugter Winzer und Bauer, stattliche 40 Hektar Weinberge und 180 Hektar Ackerfläche bewirtschaftet er in Rheinhessen. Und Porscha ist Jäger. Mehrmals die Woche schnappt er sich abends sein Gewehr und geht auf die Suche nach Kaninchen, Hasen und Wildschweinen, die sich die Früchte seiner Arbeit schmecken lassen wollen.

Wenn er nicht aufpasste, würden sich die Tiere stark vermehren, sagt Porscha. «Da muss man am Ball bleiben, da muss man hinterher sein.» Im Jagdrevier rund um seinen Heimatort Badenheim sowie einem weiteren Revier in der Nähe ist er mit dafür verantwortlich, dass die Tiere nicht zu große Schäden in der Landwirtschaft anrichten. Das Konfliktpotenzial zwischen Wild und Winzern ist in Rheinland-Pfalz groß: Nirgendwo sonst in Deutschland wird so viel Wein angebaut - und das Land hat mit Hessen die höchste Walddichte.

Vor allem Wildschweine seien in den vergangenen Jahren für die Winzer zum Problem geworden, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. «Die fressen ganze Weinberge leer.» Besonders schlimm sei die Situation dort, wo es angrenzende Wälder gebe, also zum Beispiel an der Mosel, der Nahe, aber auch in Franken. «Wildschweine krachen durch Zäune, die sind sehr geschickt in der Vorgehensweise.»

Im Waldböckelheim im Kreis Bad Kreuznach schießt Porscha jedes Jahr einige Wildschweine - rund um Badenheim kämpft er eher mit Kaninchen, die gerne Rinde von Rebstöcken schälen, um ihre ständig wachsenden Zähne abzuwetzen, und die Jungreben anfressen. «Wenn die Population groß ist, buddeln die Karnickel so viele Löcher, dass die Traktoren umkippen oder sich die Winzer beim Gang durch die Rebzeilen die Beine brechen.»

Auch wegen Rehwild wird Porscha immer wieder von Winzern gerufen. «Dann gehe ich hin und kümmer mich darum», sagt er. Die Böcke, Ricken und Kitze knabberten die frischen Triebe der Reben systematisch Reihe für Reihe ab. Schießt Porscha einen Bock, hängt er sich das Geweih in sein Büro - allerdings kommt er manchmal auch zu spät. Badenheim wird eingerahmt wird von einer Autobahn, einer Bundes- und einer Landstraße. «Die meisten Rehe holt sich die Straße.»

Dabei ist Rainer Porscha keiner, der sich über die Wildunfälle freut. Ihm ist daran gelegen, dass jeder seinen Platz bekommt - deswegen hegt er die Arten, von denen es seiner Meinung nach nicht genug gibt. Auf seinem Ackerland legt der passionierte Jäger Wildrasenflächen an - mit Rotklee, Hafer, Buchweizen, Blauen Lupinen -, damit sich Feldhasen und Rebhühner in Ruhe vermehren. «Ich will, dass meine Enkelkinder die Tiere noch sehen können.»

Jäger seien stets dafür verantwortlich, im gesamten Revier einen ausgewogenen Bestand zu erhalten, sagt Günther Klein vom Landesjagdverband Rheinland-Pfalz. Ganz Deutschland ist - abgesehen von befriedeten Bereichen wie Ortschaften und Friedhöfe - in Jagdbezirke eingeteilt. Ein Jäger pirscht und lauert also nicht nur im Wald und auf Wiesen, sondern jagt auch auf Feldern sowie zwischen Rebstöcken und Obstbäumen.

Fraßschäden im Weinberg können für die Winzer große finanzielle Verluste darstellen. Erstattet bekommen sie Schaden durch Wild - anders als etwa Landwirte mit Ackerflächen - oft nicht, wenn sie keine Schutzvorrichtungen getroffen haben. Eine behördliche Statistik gibt es zu Wildschäden nicht. Die Zeitschrift «Der Deutsche Weinbau (DDW)» befragte ihre Leser zum Thema und erfuhr, dass die Hälfte der Adressierten mehrmals im Jahr von Wildschäden betroffen ist. Mehr als die Hälfte gab an, dass die Zahl der Schäden zunehme.

Der «DDW»-Umfrage zufolge gilt die Jagd als wesentlich effektiver als diejenigen Mittel, die Tiere verschrecken sollen. «Oft reicht es, wenn man ein paar Kaninchen schießt. Die anderen merken das und gehen fort», berichtet auch Porscha. Dabei ist die Jagd im Weinberg nicht ganz einfach: Von einem Ansitz würde man nur zwei oder drei Reihen sehen. Und eine Drückjagd funktioniert nicht, weil die Wildschweine tagsüber nicht in den Reben liegen.

Außerdem besteht die Gefahr, dass die Schrotkugeln, die oft zur Kaninchenjagd verwendet werden, abprallen. «Man muss sehr vorsichtig agieren», sagt Klein. Porscha geht ohnehin lieber mit einem Kleinkaliber auf Pirsch: Er kann das Kaninchen besser essen, wenn es keine Schrotkugeln enthält.

Was Porscha schießt, landet bei ihm erst im Kühlraum, der zwischen den Weintanks steht, und dann auf dem Teller. Der Badenheimer hat nämlich noch ein drittes Herz in seiner Brust: eines für gutes Essen. «Wildschweinbratwurst ist mein Leibgericht. Alles, was ich jage, esse ich auch.» dpa

Zahl der Beschwerden von Winzern und Bauern über Wild nimmt zu

Die Zahl der Beschwerden von rheinland-pfälzischen Landwirten und Winzern über Wildschäden hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Die Häufigkeit hänge vor allem von der Population der Wildschweine ab - und diese dürfte stark gewachsen sein, erklärte das Umweltministerium in Mainz auf Anfrage. Wie viele Schwarzkittel im Land leben, sei zwar unbekannt, doch sei die Zahl der erlegten und tot aufgefundenen Tiere ein guter Indikator. Und diese habe sich seit Beginn der 1980er Jahre kontinuierlich nach oben bewegt.

Zwar ist der Populationsanstieg der Wildschweine laut Ministerium ein bundes- und europaweites Phänomen. Doch in Rheinland-Pfalz finde das Schwarzwild besonders guten Lebensraum: «Große zusammenhängende Waldgebiete, ausgeprägter Raps- und Maisanbau und optimale Rückzugsgebiete entlang der Flusstäler durch verwilderte Weinberge.» Hinzu kämen Effekte durch den Klimawandel: Eichen und Buchen böten mehr Futter, in den milden Wintern sei die Sterblichkeit geringer.

Die Landwirte und Winzer ärgern sich über die Wildschweine, weil diese immer wieder Triebe, Früchte und Körner fressen. Die Problematik «verschärfe sich», erklärte das Ministerium. Auch das Deutsche Weinbauinstitut hört von zunehmenden Klagen. Ein Sprecher des Landesjagdverbandes erklärte, die Jäger seien in ihren Revieren nicht nur für Wälder und Wiesen verantwortlich, sondern auch für die Bejagung in Feldern und Weinbergen.

Taktiken gegen Wildschäden im Weinberg

Rehe, Wildschweine, Kaninchen und Vögel bevölkern auch Weinberge - ganz zum Unwillen der Winzer. Mit verschiedenen Methoden versuchen sie, die Triebe und Trauben zu schützen. Eine Auswahl:

PFLANZENRÖHREN: Jungreben werden in Plastikschalen und Tetra-Paks gepackt, um sie vor den Zähnen der Tiere zu schützen.

ELEKTROZÄUNE: Zäune müssen niedrig angebracht und hoch genug sein, damit Rehe nicht darüber springen können. In Zäunen ohne Strom können sich Tiere verfangen.

VERBISSMITTEL: Insbesondere Netzschwefel wird aufgebracht, um die Tiere abzuhalten. Regnet es, ist das Pflanzenschutzmittel aber schnell wieder abgewaschen.

NETZE: Eng um die Traubengegend der Rebstöcke gelegt sind sie ein sehr wirksames Mittel. Die Netze sind auch eine effektive Methode gegen zweibeinige Tiere - zum Beispiel entlang der Weinwanderwege.

FLATTERBÄNDER, AUFGEHÄNGTE CDS UND RAUBVOGELATTRAPPEN: Der Abwehreffekt hält oft nicht lange an. Stattdessen stellen Winzer auch Holzstangen auf, damit sich Greifvögel niederlassen können.

KNALLSCHRECK- UND ULTRASCHALLGERÄTE: Knallgeräte werden besonders häufig gegen Stare eingesetzt. Auch hier tritt schnell ein Gewöhnungseffekt auf. Effektiver sind Feldhüter, die gezielte Schreckschüsse abfeuern.

ÜBELRIECHENDES: Menschenhaare, Toilettensteine oder Mottenkugeln sollen die empfindlichen Nasen der Tiere stören. Die Gefahr ist allerdings, dass die Geruchsnote auch im Wein landet.

HOCHSTAMMREBEN: Hasen und Kaninchen kommen nicht an die begehrten Knospen und jungen Triebe, wenn der Austrieb erst weiter oben beginnt. Bei normalen Reben kann durch Aufbinden und Ausgeizen das Wachstum verstärkt und somit der Gefahrenzeit verkürzt werden.

JAGD: Gilt als effektiv, ist aber auch sehr aufwendig. Notwendig ist ein gutes Verhältnis zwischen Jägern und Winzern.