Von Peter Zschunke
Das sirrende Geräusch der elektrischen Rebschere ist in diesen Tagen in vielen Weinbergen zu hören. Für die Winzer beginnt damit ein neues Arbeitsjahr. «Es ist ein Kreislauf, alles ist im Fluss», sagt die rheinhessische Winzerin Hanneke Schönhals. Bei leichtem Schneefall schneidet sie im sanft nach Süden geneigten Biebelnheimer Weinberg Pilgerstein eine Rebe nach der anderen vom Weißburgunder-Weinstock. «Die Toplagen schneide ich in Ruhe selbst, das hat für mich immer etwas Meditatives.»
Dabei ist Rebschnitt mit etwa 80 bis 100 Arbeitsstunden pro Hektar eine ziemlich aufwendige Sache. Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut in Bodenheim bei Mainz sagt: «Das ist neben der Traubenlese am arbeitsintensivsten im Weinberg.»
Jeder Weinstock hat im vergangenen Jahr mehrere Triebe entwickelt. Die Winzerin betrachtet sie genau und entscheidet, welcher als sogenannte Bogrebe stehen bleibt. Diese eine Rebe wird nicht abgeschnitten. Aus ihr sollen neue Triebe mit Blüten und Trauben wachsen. Die anderen Zweige werden nach dem Schnitt in einem weiteren Arbeitsgang aus dem Drahtrahmen entfernt, zu Boden geworfen und klein gehäckselt.
Die Bogrebe wird etwas gekürzt, so dass acht bis zehn Knospenansätze erhalten bleiben. Diese Rebe wird dann gebogen und am Draht befestigt. Das Rebenbiegen muss abgeschlossen sein, bevor die ersten grünen Blättchen austreiben - in der Regel geschieht dies zwischen Mitte und Ende April, sobald die Durchschnittstemperatur acht bis zehn Grad erreicht.
Manche Winzer fangen schon vor dem Jahreswechsel mit dem Rebschnitt an. «Aber wie der Mensch braucht auch die Rebe ihre Ruhe», sagt Hanneke Schönhals. «Die Rebe ist das ganze Jahr in Aktion und hat jetzt Zeit, Nährstoffe einzulagern.» Vor dem Abwerfen der Blätter im Herbst hat die Pflanze unter anderem Stickstoff und Phosphor aus den Blattzellen gespeichert - diese werden im Winter nach und nach in den Weinstock und die Wurzeln geleitet.
Der Trend gehe in die Richtung, schon unmittelbar nach dem Blattfall im Herbst mit dem Rebschnitt zu beginnen, sagt der Abteilungsleiter Weinbau bei der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz, Markus Heil. «Das ist auch den aktuellen, größeren Betriebsstrukturen geschuldet.» Allerdings gebe es bei einem frühen Rebschnitt die Gefahr von Frostschäden, erklärt Heil. Ab Temperaturen von minus 15 Grad müsse man bei empfindlichen Rebsorten mit Schäden an den Knospen rechnen. «Rebsorten, die als frostempfindlich bekannt sind, stellt man daher zurück und beginnt etwa mit dem robusteren Riesling.»
Der Bundesverband Ökologischer Weinbau (Ecovin) empfiehlt hingegen, sich für den Rebschnitt bis Februar oder März Zeit zu lassen. «Diese Arbeit muss erst kurz vor dem Austrieb abgeschlossen werden», sagt Ecovin-Geschäftsführer Ralph Dejas.
Es sei durchaus sinnvoll, mit dem Rebschnitt erst im neuen Jahr zu beginnen, erklärt auch Ernst Büscher im Deutschen Weininstitut. «Der Stock bracht eine gewisse Zeit, um zur Ruhe zu kommen.» Einige Winzer sammeln nach seinen Angaben auch Erfahrungen mit dem Minimalschnitt: Hierbei wird der Weinstock nicht auf ein oder zwei Reben zurückgeschnitten, sondern darf weiterwachsen. Lediglich die Spitzen dieser Ruten werden abgeschnitten. Dies kann mit einem Laubschneider geschehen, was eine erhebliche Ersparnis von Arbeitszeit ermöglicht. Außerdem könne so eine Reifeverzögerung bis zu zwei Wochen erzielt werden, was in Zeiten des Klimawandels von Vorteil sei, erklärt Büscher.
Hanneke Schönhals hat den väterlichen Betrieb im vergangenen Jahr übernommen. Seit 30 Jahren wirtschaftet das Weingut Schönhals ökologisch. Die junge Winzerin hat viel vor, will eigene Ideen einbringen, von der Arbeit im Weinberg bis zum Marketing, dabei aber behutsam vorgehen: «Ich muss schauen, was ich verändere und wo ich zunächst noch tief durchatme.»
Während es beim Rebschnitt bereits um den neuen Jahrgang geht, reift im Hauskeller des Weinguts Schönhals der 2018er Wein. In zwei kleinen Barrique-Fässern mit je 225 Litern liegt als besondere Spezialität ein Orange-Wein, der zusammen mit der Maische, also den Beerenschalen vergoren wird. Dabei hat Kellermeister Martin Knab keine Reinzuchthefe dazu gegeben, sondern die sogenannte Spontanvergärung wirken lassen.
«Die Hefe war in diesem Jahr kaum zu zügeln», sagt er zu dem ungeschwefelten, naturbelassenen Wein aus der Rebsorte Cabernet Blanc, einer pilzwiderstandsfähigen, kurz als Piwi bezeichneten Rebsorte. Das Weingut Schönhals hat rund ein Viertel seiner Flächen mit diesen neuen Rebsorten bepflanzt, die wegen ihrer Resistenz gegenüber Pilzkrankheiten weniger Pflanzenschutz benötigen.
Im vergangenen Herbst hat das Weingut gut 100 000 Liter Wein in die Fässer gebracht. Die ersten 2018 Weißweine werden schon im Februar in Flaschen gefüllt. Noch etwas länger braucht der Rotwein. Hanneke Schönhals nimmt mit einem Schlauch eine Fassprobe aus dem noch von ihrem Großvater angeschafften 1200-Liter-Stückfass mit einem 2018er Satin Noir, einer weiteren Piwi-Sorte. Tiefdunkel läuft er aus dem Schlauch ins Glas. «Da sind viel Schalen- und Fruchtaromen spürbar», sagt die Winzerin. «Der darf jetzt noch eine Weile im Fass reifen.» dpa