Winzer im Klimawandel Die Wiederentdeckung der Höhe

Von Birgit Reichert

Markus Molitor steht oben auf dem Zeltinger Schlossberg und schaut auf seinen neu angelegten Weinberg. In der Höhe hat er gut 25 000 Riesling-Reben neu gepflanzt, die sich in einem breiten Streifen rund 800 Meter um den kompletten Berg ziehen. «Es ist sehr gut angewachsen», sagt der Winzer. «In vier bis fünf Jahren ernte ich hier meinen ersten Wein.»

Dass es Molitor in die höhere Lage gezogen hat, hat einen Grund: Der Klimawandel. Denn anders als im Tal weiter unten an der Mosel ist es in an den steilen Hängen oben deutlich kühler. «Das macht schon über ein Grad aus.»

Und dieses Grad ist ganz entscheidend. Denn leichtere Kabinettweine mit viel Aromatik - die könne man eben tendenziell nur in den kühlen Lagen anbauen, sagt Molitor, der zu den bekanntesten deutschen Winzern zählt. Nur dort könne die Rebe ausreichend lange heranreifen, ohne dass der Zuckergehalt explodiere - und somit der Alkoholgehalt zu hoch werde. «Von daher macht es sehr viel Sinn, auf die Zukunft hin in diese kühleren Lagen zu investieren.» Dabei nimmt er alte Weinbergsflächen ins Visier, die lange brachlagen.

Nicht nur an der Mosel findet derzeit eine Wiederentdeckung der höheren Weinbergslagen - der sogenannten oberen Riegel - statt. «Es ist schon insgesamt ein Trend, dass Winzer versuchen, dem Klimawandel etwas zu entfliehen», sagt der Sprecher des Deutschen Weininstituts, Ernst Büscher, in Bodenheim bei Mainz. Es würden Hänge wiederbelebt, die früher keiner mehr wollte und aufgegeben wurden - weil sie eben kühler und schattiger waren oder in Seitentälern lagen.

Pro 100 Meter Höhenunterschied habe man im Schnitt ein Grad weniger, sagt Büscher. Das sei vergleichsweise viel, wenn man bedenke, dass die Temperatur in den vergangenen 30 Jahren in der Vegetationsperiode von April bis Oktober in den deutschen Weinregionen um gut ein Grad gestiegen sei. «Seit 1988 ist es so, als wenn irgendjemand die Heizung angedreht hätte.» Es werde alle Jahre eigentlich nur noch wärmer.

Auch im Rheingau versuchten Winzer, in die Höhe zu gehen. Es gebe da aber geologisch Grenzen. Zudem würden das Zellertal, das die nördliche Pfalz mit Rheinhessen verbindet, oder Nebentäler der Nahe neu entdeckt.

Auch am Klosterberg in Bernkastel-Wehlen hat Winzer Molitor bereits vor mehreren Jahren eine brachliegende alte Lage im großen Stil neu «aufgerebt». Seitlich in ein bewaldetes Tal «geknickt», sei sie «gravierend kühler» als im Moseltal. Wie auch am Schlossberg habe es da im Vorfeld viel Geduld gebraucht: Molitor musste Dutzende Besitzer kleiner Parzellen überzeugen, an ihn zu verkaufen oder gegen andere Flächen zu tauschen. «Das ist wie Monopoly-Spielen den ganzen Tag», sagt der 56 Jahre alte Top-Winzer.

Auch an der Saar, «der kühlen Schwester der Mosel», ist Molitor unterwegs: Unter anderem erwarb er dort 2016 die frühere Staatsdomäne Serrig, die er nun auf Vordermann bringt. Molitor, der als 19-Jähriger das väterliche Weingut mit wenigen Hektar übernahm, besitzt heute rund 120 Hektar Weinberge an Mosel und Saar. Seine Reben stehen in weltweit bekannten Lagen wie Graacher Himmelreich, Zeltinger Sonnenuhr und Ürziger Würzgarten. Rund die Hälfte seiner 500 000 Flaschen im Jahr geht in den Export - in 40 Länder.

Viele Winzer reagierten auf die höheren Temperaturen auch mit einer geänderten Weinbergsarbeit, sagt der Geschäftsführer des Vereins Moselwein, Ansgar Schmitz, in Trier. Zum Beispiel könne man mit einer niedrigeren «Laubwand», also weniger Blättern, die Reife verzögern. Oder man schneide die Rebe im Frühjahr nicht ganz so stark zurück, damit die Pflanze mehr Früchte mit dann geringerem Fruchtzucker produziere. Umstritten ist, einfach früher zu ernten - weil die Trauben dann eigentlich noch nicht richtig reif sind.

Die als «obere Riegel» bezeichneten Lagen seien ideal für leichtere Weine, sagt Schmitz. «Am Markt wächst die Nachfrage nach filigranen Weißweinen. Das hat mit dem Lifestyle zu tun, es wird wieder mehr auf den Alkoholgehalt geachtet.»

In Baden-Württemberg, sagt Büscher vom Weininstitut, baue man nun teils statt Trollinger auch wärmeliebende Sorten wie Cabernet Franc an, der sonst in Bordeaux gedeiht. «Man hat herausgefunden, dass der ganz gut für diese Lagen passt und die Hitze besser verträgt.» Es gebe aber keinen Trend zum Anbau südländischer Sorten. Auch in Württemberg oder in Baden gebe es die Möglichkeit, auf weniger sonnenbestrahlte Hänge auszuweichen.

Ein Weinbaugebiet in Deutschland profitiere bisher vom Klimawandel: Saale-Unstrut, in Sachsen-Anhalt und Thüringen - die nördlichste deutsche Weinregion. «Die können jetzt Weine produzieren und haben die Temperaturen, die wir vor etwa 20 Jahren hatten», sagt Büscher. «Da ist das Thema Flucht nach oben noch nicht so da.»

Winzer Molitor treibt bei allem, was er tut, eines um: «Vor 100 Jahren kamen die teuersten Weine der Welt von der Mosel und der Saar.» «Ich will mithelfen, dass die Region wieder dahin kommt, wo sie mal war.» Und er hat weitere kühlere Lagen im Blick, beispielsweise die Wehlener Abtei.

Gerne würde er auch Flächen an der Spitze mancher Weinberge kaufen, die derzeit noch voller Bäumen und Büschen stehen. «Das waren und könnten wieder Top-Lagen sein.» Diese Flächen könne man aber nicht kaufen, weil das Land Rheinland-Pfalz sie im Zuge des Baus der Hochmoselbrücke bei Zeltingen-Rachtig als Ausgleichsflächen erworben habe. «Dass wir die nicht zurückbekommen, das finde ich ganz traurig», sagt Molitor. dpa