Von Marina Leunig
Zum Frühstück süße Müsliflocken, als Snack ein Eis, zum Kaffee den obligatorischen Keks: Süße Snacks gehören für viele zum täglichen Speiseplan. Die Lust auf kalorienhaltige Naschereien erscheint manchem unstillbar. Ist das eine Sucht?
Der amerikanische Integrativmediziner Frank Lipman schrieb bereits vor zwei Jahren in der Onlinezeitung «Huffington Post» über seine angebliche Zuckersucht und den Weg aus der Abhängigkeit. Seitdem wird viel gerätselt über die mögliche Sucht nach dem weißen Stoff. Lipman behauptete, das Verlangen nach Zucker werde dem Mensch als Baby in die Wiege gelegt: zunächst durch Milchzucker, später, indem Eltern ihre Kinder mit Süßigkeiten zu trösten oder belohnen versuchten. Bei Erwachsenen soll Zucker die Stimmung heben und Energie spenden.
Französische Forscher wollen 2007 bei Versuchen mit Ratten - die Süßes genauso gerne essen wie Menschen - sogar herausgefunden haben, dass Zucker ähnlich abhängig macht wie Kokain, Nikotin oder Alkohol. Sie hatten den Nagern die Wahl zwischen mit Saccharin gesüßtem Wasser und Wasser mit Kokain gelassen - 94 Prozent entschieden sich für die gesüßte Flüssigkeit. Ein Test mit Zuckerwasser zeigte zudem, dass sich sogar die an Kokain gewöhnten Tiere für das süße Wasser entschieden, sobald sie die Wahl hatten.
«Eine Zuckersucht gibt es nicht», sagt hingegen Falk Kiefer, Professor für Suchtforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim. Man könne das Verlangen nach Essen nicht mit einer Heroinsucht gleichsetzen. Aber es sei in der Tat so, dass sowohl Zucker als auch Heroin auf den gleichen Bereich des Gehirns wirkten: auf das Belohnungssystem. Dieser Meinung ist auch der Ernährungswissenschaftler und Buchautor Sven-David Müller: «Kokain, Psychopharmaka - so eine Sucht gibt es bei Schokolade nicht. Es gibt aber ein ausgeprägtes Verlangen.» Dieses erscheine manchen Menschen wie eine Sucht.
«Süß ist der Geschmack, den wir als erstes positiv wahrnehmen - das haben Tests an Säuglingen gezeigt», erklärt Müller. Denn Süßes sei für den Menschen im Allgemeinen gut verträglich und ungefährlich. Das Verlangen nach Zucker sei klassisch konditioniert, ergänzt Kiefer. «Kinder bekommen Geld, Süßes oder Lob, wenn sie etwas toll gemacht haben - unser Gehirn funktioniert so, dass Belohnung zu Motivation wird, das zu wiederholen, wofür wir belohnt werden.» Wenn man Zucker immer wieder mit etwas Positivem oder Tröstlichem verbinde, dann verlange das Gehirn in solchen Situationen automatisch danach.
Es gibt laut Müller keine Studie, die belegt, dass ein hoher Zuckerkonsum allein schädlich ist. «Von Zucker bekomme ich weder Diabetes Typ 2 noch Karies, wenn ich ansonsten nicht zu dick bin, mich ausreichend bewege und mir regelmäßig die Zähne putze», sagt auch Kiefer. Beide sind sich allerdings einig, dass mit einem übermäßigen Zuckerkonsum häufig andere Risikofaktoren einhergehen: Übergewicht durch zu kalorienreiches Essen, Bewegungsmangel oder chronischer Stress. Diese wiederum könnten zu Folgeerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Herz- oder Gelenkproblemen führen.
Es gebe zwar keine engere medizinische Grenze, wie viel Zucker der Mensch essen darf, sagen die Experten. Richtwerte liefert aber die Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Sie empfiehlt, höchstens zehn Prozent der täglichen Energiemenge in Form von Zucker aufzunehmen. Bei einem durchschnittlichen Bedarf von etwa 2000 Kalorien einer erwachsenen Frau bedeutet das: 50 Gramm Zucker pro Tag, mehr nicht. dpa
Zucker versteckt sich in vielen Lebensmitteln
Zucker steckt in allem, was süß ist. Aber auch Zitroneneis und Käsekuchen enthalten den süßen Stoff. Nur weil etwas sauer schmecke, sei es längst nicht zuckerfrei, betont der Ernährungswissenschaftler und Buchautor Sven-David Müller. Viele Leute wüssten nicht, dass auch in Senf oder Ketchup viel Zucker verarbeitet ist. Und Cappuccinopulver oder Bubble Tea seien absolute Zuckerbomben. Verbraucher sollten daher immer einen genauen Blick auf die Zutatenliste werfen: Begriffe, die auf -ose enden, wiesen darauf hin, dass ein Zuckerstoff enthalten sei.
Was hilft gegen das süße Verlangen?
Wer regelmäßig von Heißhungerattacken auf Süßes gequält wird, sollte vorbeugen. Denn Prävention ist laut Prof. Falk Kiefer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim das A und O. Das Essen sollte gut über den Tag verteilt werden. Ansonsten hungere man sich regelrecht in Zustände hinein, in dem Essen ein großer Belohnungsfaktor sei. Dadurch werde die Fixierung aufs Essen immer schlimmer und dementsprechend das unerklärliche Verlangen nach bestimmten Nahrungsmitteln.
Zuckergehalt verstärkt Alkoholwirkung in Glühwein
Der hohe Zuckergehalt von Glühwein und Punsch überdeckt den Alkoholgeschmack der winterlichen Getränke. Das verführe leicht dazu, mehr zu trinken als man verträgt, warnt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Bonn. Hinzu komme, dass Alkohol durch den Zucker schneller ins Blut gelangt und sich so die Wirkung des Zellgifts Alkohol verstärkt. Außerdem sinke die Reaktionsfähigkeit. Gewaltbereitschaft und Unfallgefahren stiegen dagegen an.