Reisen durch die Provence

Von Daniela David

Die Häuser des Dorfes drängen sich dicht aneinander. Sie hängen hoch oben am Felsen wie ein Nest auf einem Bergvorsprung. Saignon leuchtet ockerfarben im Morgenlicht. Ein kleiner Ort mitten in der Gebirgslandschaft des Großen Lubéron, im gleichnamigen Naturpark im Herzen der Provence im Süden Frankreichs. Während sich je 50 Kilometer weiter in Avignon und Aix-en-Provence die Touristen tummeln, geht es hier in der Vaucluse beschaulich zu.

Gerhard Rose geht an den beiden Platanen vorbei, die auf typisch französische Weise zurechtgestutzt den Dorfeingang markieren. Der Deutsche, der seit 2006 in Saignon lebt, hat gerade seine Töchter zur Schule gebracht. Jetzt läuft er durch die kleinen Gassen zur Bäckerei, kauft einige Baguettes und kehrt zurück zur Arbeit in der Auberge de Presbytère.

Als Seiteneinsteiger führt der 45-Jährige zusammen mit seiner französischen Frau dieses Gasthaus in einem Jahrhunderte alten Gebäude, das einst als Pfarrhaus diente. «Ich hatte mich gleich in Saignon verliebt, in den Ort und das authentische Leben hier», erzählt der ehemalige Unternehmensberater.

Was er damit meint, wird schnell klar, wenn man sich hier umsieht. Saignon hat sich seine dörfliche Ursprünglichkeit weitgehend bewahrt. Anders als in manchen Dörfern in der Provence wird das Bild hier nicht durch viele selten genutzte Zweitwohnungen bestimmt. Hier trifft man auf Urgesteine wie den betagten Monsieur, der jeden Tag aufs Neue Tisch und Stuhl auf die Straße stellt und dort in aller Öffentlichkeit seelenruhig Zeitung liest. Daneben ruht sein etwas beleibter Hund in einem Klappliegestuhl. Ein Bild für die Götter - nicht aber für die Kameras von Touristen, denn auf einem Pappschild hat er klargestellt: «Fotografieren - 5 Euro!»

Auf der Place de la Fontaine, dem zentralen Dorfplatz direkt am Springbrunnen, sitzen Gäste in der Sonne und trinken Kaffee, unweit vom öffentlichen Waschhaus, das gut restauriert an einstige Mühsal erinnert. Auch der Maler Andrew Petrov macht mittags dort Pause. Der Amerikaner kam 1999 nach Saignon, renovierte eigenhändig ein altes Haus und erfüllte sich den Traum vom Künstlerleben in Südfrankreich. Große Ölgemälde füllen sein Atelier, Alltagsszenen und französische Landschaften, Motive aus der buchstäblich malerischen Umgebung.

Daneben arbeitet der 42-Jährige als Kunstlehrer und gibt Malkurse. «Für viele meiner Schüler war es ein lebenslanger Wunsch, einmal wie die Impressionisten mitten im Mohnblumenfeld in der Provence zu stehen und zu malen», erklärt Andrew.

Aber nicht nur die üppige Blumenpracht oder die Lavendelfelder locken als Motive, sondern auch das Dorf selbst. In den Gassen stehen die Hobbymaler und verewigen das Stadtbild Saignons: hier einen mittelalterlichen Turm, da einen verwitterten Fensterladen und dort eine uralte Holztür neben einer unverputzten Steinmauer.

Ob zum Malen, Fotografieren oder um die Aussicht zu genießen - der Aufstieg auf den Felsen Le Rocher von Saignon lohnt sich allemal. Dort kann der Blick weit in alle Richtungen schweifen: hin zum berühmtesten Berg der Provence, dem Mount Ventoux, dem Gebirge des Lubéron oder bis zum 50 Kilometer entfernten Avignon. Auf dem Steinvorsprung sind noch Ruinenreste von drei befestigten Burgen zu erkennen, die sich im Mittelalter dort eng nebeneinander drängten. Auch eine antike Ölmühle gibt es zu sehen.

Saignon zählt zu den ältesten Dörfern Frankreichs. Der Ort ist seit prähistorischer Zeit besiedelt. Auch die Römer waren hier, und bis zur Französischen Revolution hatte Saignon sogar das Stadtrecht. Die für ein Dorf recht großzügigen Häuser zeugen heute noch davon. Der Name Saignon geht wahrscheinlich auf das lateinische Wort Signum für Signal zurück, vermutlich weil früher der strategisch gut gelegene Felsen für Signalfeuer genutzt wurde.

Am Fuße des Bergfelsens in der Tiefe eines ehemaligen Weinkellers im Burgwall aus dem 12. Jahrhundert hat Andrew Goldsby sein Lokal «La petite cave» eröffnet. Abends kocht der junge Brite und gelernte Koch hinter eineinhalb Meter dicken Mauern. «Nach Saignon kommen Gäste eigens angereist, um gut zu speisen.»

Das hätte in den 60er Jahren kaum einer für möglich gehalten, zählte doch das halb verlassene Dorf keine 400 Einwohner mehr. Dann wurde es von Hippies entdeckt und wieder belebt. Heute sind es rund 1000 Bewohner, darunter auch die Zugereisten aus dem Ausland.

Eine von ihnen ist Kamila Regent. Die polnische Galeristin beherbergt in ihrem Haus aus dem 18. Jahrhundert Künstler wie auch Touristen. Umgeben von zeitgenössischen Kunstwerken wohnen sie in farblich ungewöhnlich gestalteten Räumen.

Spätabends brennen nur noch wenige Lichter im Dorf. In der Bar der Auberge de Presbytère, der einzigen im Ort, schenkt der Chef provenzalischen Wein aus. Die eigene Bar, das war immer ein Traum von Gerhard Rose. Dass er ihn verwirklicht hat, genießen Einheimische und Gäste heute gleichermaßen. dpa

Informationen: Atout France, Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 100128, 60001 Frankfurt, Tourismusbüro CDT Vaucluse, 12 rue Collège-de-la-Croix, 84008 Avignon Cedex 1, Tel: 0033/4/90 804 700, franceguide.com provenceguide.com