Kulturhauptstadt 2012 ist Guimaraes

Von Manuel Meyer

«Hier also hat alles angefangen», sagt Luisa. Die Brasilianerin steht vor dem Taufbecken in der Sao Miguel Kapelle in Guimarães, in dem angeblich Afonso Henriques getauft wurde, jener Mann, der später als Afons I. zum ersten König von Portugal gekrönt wurde - ebenfalls hier in Guimarães, der ersten Hauptstadt Portugals.

Deshalb gelten die Burg und die davorstehende Kapelle von Sao Miguel als Nationalheiligtum für die Portugiesen. 2012 könnte das verträumte Universitätsstädtchen mit 52 000 Einwohnern seinen verwelkten Ruhm neu beleben. Dann ist Guimarães gemeinsam mit Maribor in Slowenien Europäische Kulturhauptstadt.

Wenn die Feierlichkeiten am 21. Januar beginnen, werden Luisa und Fernando zu ihrem großen Bedauern nicht mehr in Portugal sein. Wie für viele Brasilianer darf für das kulturbegeisterte Pärchen Guimarães auf der Reise nicht fehlen. Während Urlauber aus Europa, Asien oder den USA im Norden des Landes eher Porto oder Braga anschauen, suchen viele Portugiesen und Brasilianer in Guimarães nach ihren Wurzeln.

Für sie ist das am Fuße der Serra da Penha gelegene Städtchen die Wiege der Nation. «Hier wurde Portugal geboren», steht in großen Buchstaben auf der Wehrmauer, die die heutige Altstadt bereits im Mittelalter gegen die Spanier schützte.

Dabei wurde Guimarães eigentlich von Spaniern gegründet. Um das Jahr 960 ließ hier die galicische Gräfin Mumadona Dias auf ihrem Landgut eine Klosterburg bauen, um sich vor den ständigen Attacken der Normannen und der arabischen Truppen zu wehren.

Im 12. Jahrhundert gründet der spanische König Alfonso VI. von Kastilien und Leon zwischen dem Douro- und dem Modego-Fluss die Grafschaft Portucalense und überlässt sie als Lohn für seine Dienste während der Rückeroberung der Iberischen Halbinsel von den Mauren seinem Schwiegersohn Heinrich von Burgund. Heinrich lässt sich in der Klosterburg der Gräfin Mumadona Dias nieder, wo angeblich auch sein Sohn Afonso Henriques geboren wurde. Afonso Henriques besiegte 1140 endgültig die Mauren und zwang die spanische Krone drei Jahre später im Vertrag von Zamora dazu, die Unabhängigkeit seiner riesigen Grafschaft als unabhängiges Königreich Portugal anzuerkennen.

Die Burg, in der er sich die Krone aufsetzen ließ, zerfiel im Laufe der Jahrhunderte, nachdem die portugiesischen Könige nach Lissabon umgezogen waren. Doch Diktator Salazar ließ die Burganlage in den 1940er Jahren von Grund auf restaurieren, um es zu einem Wallfahrtsort der portugiesischen Nation zu machen. So gilt die Burganlage mit ihrem 27 Meter hohen Bergfried auch heute noch als eine der besterhaltenen mittelalterlichen Festungen Portugals.

Luisa und Fernando sind beeindruckt von den Steinplatten, die die Gräber adeliger Krieger in der Kapelle bedecken - und von den Wandteppichen, Waffen und Möbeln im nahen Palast der Herzöge von Bragança. Sie zeichnen in dem Herrenhaus aus dem 15. Jahrhundert die gesamte Geschichte Portugals nach - und liefern ein paar nette Anekdoten.

Eine geht so: Katharina Henrietta, Herzogin von Bragança, wurde 1662 von Guimarães aus an den englischen Hof geschickt, um sich dort mit König Karl II. zu vermählen. Als portugiesische Adelige war sie aufgrund der Handelsbeziehungen zu den portugiesischen Kolonien und Japan daran gewöhnt, Tee zu trinken. Und so brachte Katharina den Tee nach England und führte ihn am Hofe ein. Sie sprach allerdings kein Englisch und servierte den adeligen Hofdamen den Tee mit dem Satz «para ti», was auf Portugiesisch «für dich» bedeutet. Daraus wurde in England «Tea». Die Geschichte muss nicht stimmen. Aber sicher ist, dass die Herzogin aus Guimarães den Engländern die Liebe zum Tee lehrte.

Jeder Stein in der mittelalterlichen Altstadt, die 2001 zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt wurde, scheint eine ganz besondere Geschichte zu haben. Zum Pflichtprogramm gehören das alte Rathaus aus dem 14. Jahrhundert, die Kirche de Nuestra Senhora da Oliveira mit dem Gedenkstein der Schlacht von Salado und das Kloster Santa Marinha da Costa aus dem Jahre 1154, in dem heute ein hübsches Pousada-Hotel untergebracht ist. Auf der Rua de Santa Maria, der ersten Straße Portugals, kommen Besucher an vielen Zeugen der Vergangenheit wie dem Kloster Santa Clara vorbei.

Prächtige Herrenhäuser mit kunstvollen Kachelfassaden zieren den Toural-Platz. Bunte, schief gemauerte und mit Holzbalkonen verzierte Häuser umrahmen die malerischen Plätze Largo da Oliveira und Santiago. Abends servieren die Restaurants hier in mittelalterlichem Ambiente zu portugiesischem Wein lokale Spezialitäten wie Bacalhau (Stockfisch) oder Caldo Verde, eine Art Grünkohlsuppe mit deftigen Chourico-Würsten.

Im kommenden Jahr dürfte es mit der romantischen Gemütlichkeit vorbei sein. Das hofft zumindest João Serra. «Wir rechnen mit bis zu 1,5 Millionen Touristen, die uns 2012 allein wegen des Kulturprogramms besuchen werden», sagt der Präsident der Guimarães Stiftung, der für das Kulturhauptstadt-Programm zuständig ist. Zusätzlich zu den üblichen Besuchern aus Spanien und Brasilien sollen Touristen aus Italien, Frankreich, Deutschland, Japan und den USA nach Guimarães reisen.

Mit einem Budget von 25 Millionen Euro bastelten João Serra und sein Team ein abwechslungsreiches Kulturprogramm mit Musik, Theater, Kunstausstellungen und Kino, in dessen Mittelpunkt die Einwohner von Guimarães stehen. Zusammen mit international renommierten Künstlern wie dem englischen Regisseur Peter Brook, dem portugiesischen Filmemacher Manoel de Oliveira oder dem Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa aus Peru sollen sie die Veranstaltungen mit Leben füllen.

Es soll Künstlerresidenzen und Programme geben, die Guimarães auch über das Jahr 2012 hinaus zu einem Ort «kreativen Schaffens» werden lassen, erklärt João Serra - und so die von der Wirtschaftskrise hart getroffene Universitätsstadt neu erblühen lassen. dpa

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