Niederkirchener Weingüter besiegen den Frost

Die Niederkirchener Weingüter Daniel Reinhardt und das Sekt & Weingut Winterling haben sich in einer gemeinsamen Aktion erfolgreich gegen den Frost in den Weinbergen gestemmt. Hier der ungekürzte Erfahrungsbericht der beiden Initiatoren:

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"In der Nacht auf Montag, den 14. Mai, gab es bereits leichten Frost in den bedrohten Niederkirchener Lagen, der allerdings ohne Folgen für die Reben blieb. Die Wettervorhersagen für die Nacht auf Christi Himmelfahrt, am Donnerstag, meldeten allerdings nochmals Bodenfrost bis - 4 C. Bereits am 4. Mai 2011 fiel die Ernte von mindestens 300 ha Weinbergen zwischen Niederkirchen und Friedelsheim dem Frost zum Opfer. Ein neuerlicher Frostschaden wäre für viele Betriebe in der Region, neben den finanziellen Problemen, auch psychisch kaum zu ertragen gewesen.

Uschi Reinhardt (Weingut Daniel Reinhardt, Niederkirchen) und Susanne Winterling (Sekt & Weingut Winterling) wollten sich, unabhängig voneinander, nicht waffenlos ihrem Schicksal ergeben und kontaktierten fast gleichzeitig Frau Frieß von der Luftfahrtagentur Frieß, die in Niederkirchen ansässig ist. Es war Montag, 14. Mai 19.00 Uhr. Nach einem kurzen Gespräch mit Frau Frieß war klar, dass mindestens zwei geeignete Hubschrauber, mit erfahrenen Piloten, für Mittwochabend besorgt werden können.

Den beiden Initiatoren, die Weingüter Reinhardt und Winterling, war schnell klar, dass hier kein Alleingang möglich war, nur die Gemeinschaft der Winzer konnte die Menge an Arbeit bis zur Frostnacht am Donnerstag Morgen noch bewältigen. Am späten Montagabend wurden die entsprechenden Vorstände der umliegenden Gemeinden kontaktiert und eine kurzfristige Zusammenkunft für Dienstag 20.30 Uhr einberufen. Die Vertreter der Politik, bis hin zum Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, wurden auf verschiedene Weise angesprochen. Entweder gab es keine Rückmeldung, oder wurde über die Idee regelrecht gelacht.

Am Dienstagmorgen unterschrieb Martin Winterling persönlich haftend für zwei Helikopter. Frau Frieß war pausenlos am Organisieren, Ihr Mann war geschäftlich in Südfrankreich und kümmerte sich telefonisch von dort aus um alle flugtechnischen und -rechtlichen Dinge. Ein dritter Hubschrauber war gefunden, ein vierter in Aussicht. Die Sitzung im überfüllten Nebenraum des Klosterstübchens verlief, obwohl der Erfolg genau wie die Wettervorhersage nur vage war, ohne große Diskussionen. Alle waren bereit mitzuhelfen. Der Vorstand der Bauern- und Winzerschaft Niederkirchen, Martin Fußer, erklärte sich spontan bereit die finanzielle Absicherung über den Bauern- und Winzerverband zu übernehmen. Ende der Sitzung war 22.00 Uhr, bereits in der gleichen Nacht wurden die Einsatzpläne entworfen und in Karten übertragen.

Am Mittwoch brach ein gewaltiges Interesse seitens der Presse über die zur Pressesprecherin erklärten Susanne Winterling herein. Frau Frieß und ihr immer noch im Ausland weilender Mann leisteten unglaubliche Arbeit. Der vierte Helikopter wurde zugesagt und noch ein fünfter und sechster gefunden. Überfluggenehmigungen der Gemeinden wurden eingeholt. Um 17.00 Uhr landeten dann nach und nach sechs Hubschrauber auf einer Wiese gegenüber der Firma Landmaschinen Fischer. Thomas Fischer hatte sofort sein Einverständnis gegeben, die dort ausgestellten Mähdrescher weggefahren und die Wiese wie einen Englischen Rasen gemäht. Der Flugeinsatzleiter machte zusammen mit ortskundigen Winzern sofort einen Rundflug über das Zielgebiet, um eventuelle Gefahrenstellen für den Einsatz ausfindig zu machen. Frau Frieß sorgte gleichzeitig für eine Absperrung des 'Flugplatzes' und für alle anderen notwendigen Sicherheitsmaßnahmen. Wachen für die abgestellten Hubschrauber wurden eingeteilt. Um 20.00 Uhr gab es ein Treffen der Helfer zwecks Einteilung.

Ein Schlachtplan wurde entworfen. Helfer wurden mit gerade erst eingekauften Thermometern bewaffnet und in ihren Standort eingewiesen. Jeder der Helfer hatte ein Handy, mit dem er an drei Personen der Einatzleitung regelmäßig die Temperaturen melden soll. Die Einsatzleitung bekommt ein Funkgerät, da ein Handy-Kontakt mit den Piloten verboten ist. Über Funk wird später ein absolut professionell arbeitender Markus Andres alle Anweisungen an die Piloten weiterleiten. An Bord der Hubschrauber befinden sich ortskundige Winzer, die die Piloten konzentriert zu den kältesten Gebieten leiten. Die Piloten werden im Formationsflug das Gelände in einer geringen Höhe überfliegen. Eingehend wurden die gefährlichen Wendemanöver besprochen. Flugbeginn durfte aus Sicherheitsgründen erst eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang, also 5.09 Uhr, sein. Die Taktik war, dass alle sechs Hubschrauber zum Einfliegen erst eine Bahn über die vermutlich kälteste Region nördlich von Niederkirchen ziehen werden. Wenn dann die gemeldeten Temperaturen in Ruppertsberg oder Meckenheim ebenfalls kritisch wären, würde je ein Helikopter nach Ruppertsberg und Meckenheim abgezogen.

Ein sehr solidarischer Plan, denn die Anzahl an Maschinen reicht nur für ca 150 ha. Die Piloten übernachteten im Weingut Winterling, Wecken war für vier Uhr geplant. Kommt der Frost überhaupt? Wie heftig? Seit der Idee waren erst 48 Stunden vergangen!

Die ganze Nacht über werden die Temperaturen der amtlichen Wetterstationen beobachtet, ab drei Uhr beziehen die Helfer mit den Thermometern ihre Posten und dann wird auch klar: Der Frost kommt! Unzählige Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr markieren ab drei Uhr die Starkstromleitungen mit ihren Fahrzeugen und eingeschaltetem Blaulicht, die Strommasten werden beleuchtet. Der ortsansässige Party-Service Stähly beginnt sein Chili zu kochen, das er den Helfern zum Frühstück sponsern will.

Als die Piloten um 4.30 am Flugplatz ankommen, sind die Kabinen der Hubschrauber bereits vereist und müssen poliert werden. Die Temperaturen in den Senken waren bereits auf fast zwei Grad unter Null gefallen. Dann, um 5.11 Uhr, bei leichtem Morgengrauen, heben die sechs Helikopter ab und beginnen mit ihrer Arbeit. Dass die Piloten Profis sind, sieht man spätestens als sie sich in der Luft zum Formationsflug aufstellen und dann in nur zwei Metern Höhe über die Rebzeilen Fliegen. Kurz vor der, von der Feuerwehr vorbildlich abgesicherten Hochspannungsleitung steigen sie, springen darüber und fliegen im Tiefflug weiter. Der spannendste Augenblick naht: Die amtliche Wetterstation wird überflogen. Sie zeigt minus 1,9 Grad, Helfer in der Nähe messen sogar mehr als zwei Grad minus. Was passiert? Die Piloten und die mitfliegenden Winzer sind gespannt. Über Funk erhalten sie die erlösende Nachricht: Nach Überflug plus 0,8 Grad! Erlösung und Freude, es funktioniert.

Kurz danach wird der Ruppertsberger Hubschrauber gerufen, in Ruppertsberg gibt es ebenfalls kritischen Frost. Wenig später muss auch der Meckenheimer Helikopter abziehen und die kritischen Meckenheimer Senken überfliegen. Meckenheim hat allerdings viel weniger Frostprobleme, so dass dieser Hubschrauber nach wenigen Minuten dem Ruppertsberger zu Hilfe kommt.

In Niederkirchen werden, gerade noch rechtzeitig, etwa 150 ha überflogen, nachdem die Temperaturmelder an allen Messpunkten keinen Frost mehr anzeigt, wird das abgeflogene Gebiet nach Süden erweitert.

Kurz nach 6.30 Uhr kehren alle Hubschrauber wieder wohlbehalten von ihrem Einsatz zurück, wo schon Chili und Schorle zum Frühstück warten. Alle sind irgendwie glücklich und bangen trotzdem. Hat es gereicht?

Erste Schadenschätzer machen sich noch vor 10.00 Uhr auf den Weg. Im zuerst abgeflogenen Gebiet gibt es keine, oder nur sehr geringe Schäden.

Am Freitagabend dann eine allgemeine Schadensaufnahme. Die gemeldeten Schäden werden in Karten übertragen und mit den Flugruten verglichen. Die Überflugszeiten der Messpunkte und die notierten Temperaturen in eine Grafik übertragen.

Fazit: Meckenheim und Ruppertsberg haben, auch in ungünstigen Lagen, nur geringe Schäden. In einem nicht überflogenen Gebiet in Ruppertsberg gibt es stärkere Schäden. Im Bereich nördlich der Flugrute über Niederkirchen, also im nicht geflogenen Gebiet, gibt es z. T. schlimme Schäden. Auch in dem erst später überflogenen Gebiet südlich der Kernzone gibt es Schäden in unterschiedlicher Höhe. Hier war man offensichtlich zu spät gewesen. Definitiv wurden in Niederkirchen, Meckenheim und Ruppertsberg Weinberge in einer Größenordnung von schätzungsweise 250 ha vor Frostschäden geschützt! Ein großer Erfolg für diese eingeschworene Niederkirchener Gemeinschaft!

Die gewonnenen Daten werden jetzt zusammen mit der Luftfahrtagentur Frieß ausgewertet und danach ein Notfallplan für die Zukunft erarbeitet. Ziel ist, in Zukunft eine noch größere Fläche zu schützen, denn allen Beteiligten tut es um jeden Rebstock leid, der nicht gerettet werden konnte! Obwohl Politiker informiert waren und auch zum DLR Neustadt Kontakt aufgenommen wurde, lief die Aktion ohne Unterstützung des Landes Rheinland-Pfalz und ohne wissenschaftliche Begleitung, mit einer Vorbereitungszeit von weniger als 48 Stunden zwischen Idee und Umsetzung mit 6 Hubschraubern, reibungslos und generalstabsmäßig ab. Eine für alle Beteiligten immer noch unglaubliche Leistung und sicherlich die größte Aktion dieser Art, die es in Deutschland bisher gegeben hat.

Die Initiatoren sind jetzt auf der Suche nach einem geeigneten Finanzierungsmodell, damit das Spätfrost-Problem in der Region Niederkirchen demnächst vielleicht der Vergangenheit angehören wird."

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