Von Thomas Burmeister
Kein Berg ist je so aufwendig gefeiert worden wie in diesem Jahr das Matterhorn. Es liegt wohl auch daran, dass der Schönheitskönig der Alpen sich so lange verweigert hatte. Immer wieder ließ der einzigartig gezackte und kühn aufragende Berg seine Gipfelgeister - so jedenfalls glaubten es die Bauern im Mattertal - Steinbrocken nach unten schleudern. Wagt es nicht, mir aufs Haupt zu klettern! Doch vor 150 Jahren wurde Majestät Matterhorn von einer Seilschaft um den 25-jährigen Londoner Edward Whymper bezwungen.
Zum Jubiläum folgen unzählige Bergbegeisterte den Spuren der Erstbesteiger. Aber längst nicht alle mit einer nervenzehrenden Klettertour bis zum Gipfel, sondern mit den Augen: Der schönste Blick auf das 4478 Meter hohe Matterhorn - und auf gut zwei Dutzend weitere Viertausender - bietet sich vom gegenüberliegenden Gornergrat aus.
Auf seiner 3089 Meter hohen Aussichtsplattform gehören «Ah», «Oh», «Wow» und «Look at this!» zur Geräuschkulisse, sobald wieder ein Zug der Gornergratbahn oben ankommt. Bewunderung in etlichen Sprachen für ein Panorama aus schneebedeckten Gipfeln, massiven Gletschern, blauen Bergseen und grünen Tälern. Und natürlich für den Berg, der das alles so grandios überragt.
Alle 24 Minuten bringt die Zahnradbahn Passagiere in diese Traumwelt. Gut erkennbar ist auch die legendäre Hörnli-Hütte auf 3260 Metern. Generationen von Alpinisten haben dort vor dem Aufstieg aufs Matterhorn übernachtet. Nach umfangreicher Modernisierung gibt es nun statt Schlafsälen isolierte Gästezimmer.
Zum Jubiläum gehört, dass die Gornergratbahn von Anfang Juli bis Ende August Gäste zur improvisierten «höchstgelegenen Freilichtbühne Europas» bringt. Gleich neben der Station Riffelberg (2582 Meter) wird auf einer Alpenwiese das Theaterstück «The Matterhorn Story» aufgeführt - vor dem 4478 Meter hohen Gipfel als schweigendem Hauptdarsteller. Die Dramatik der Erstbesteigung wird nacherlebbar. Es geht um das Ringen zweier Seilschaften, als erste das Matterhorn zu erobern und damit in die Geschichte einzugehen. Als Whymper am 14. Juli 1865 ganz oben ankommt, ist der Wettkampf entschieden.
Das Matterhorn war der letzte Viertausender, dessen Eroberung noch Ruhm und Ehre versprach. Rund 80 Jahre nach der Bezwingung des Mont Blanc - mit 4810 Metern der höchste Berg der Alpen - ging das «Goldene Zeitalter des Alpinismus» zu Ende. Es begann die Ära des großen Geldverdienens mit dem Alpintourismus.
Zur Seilschaft um den ehrgeizigen Illustrator und Bergsteiger Whymper gehörten sechs weitere Männer: der französische Bergführer Michel Croz, die Briten Reverend Charles Hudson, Lord Francis Douglas und Douglas Robert Hadow sowie die beiden gleichnamigen Zermatter Bergführer Peter Taugwalder Vater und Sohn.
Der Anblick ihrer simplen Ausrüstung im Zermatter Museum lässt den Betrachter erschaudern. Schwere, unhandliche Eispickel, halbhohe Lederschuhe, teils ohne Eisenbeschläge und einfache Seile. Um so bewundernswerter, dass sie es bis auf das «Hore» schafften, wie die Einheimischen den Berg nennen.
Und das im Wettlauf mit einer von italienischer Seite emporkletternden Gruppe um den Bergprofi Jean Antoine Carrel. Enttäuscht gaben die Italiener auf, als sie 400 Meter über sich den Jubel der Whymper-Truppe hörten.
«Auch in Zermatt wurde das wahrgenommen, und man begann zu feiern», berichtet der Bergführer und Jubiläums-Buchautor Hermann Biner, der auch Präsident der internationalen Vereinigung der Bergführerverbände ist. Zu früh. Nur drei der sieben Männer kehrten zurück - Whymper und die beiden Taugwalders.
Was wirklich beim Abstieg vom Berg geschah, ist bis heute nicht zweifelsfrei klar. Sicher ist, dass der unerfahrene 19-jährige Hadow ausrutschte und beinahe alle mit sich in den Tod gezogen hätte. Doch das Verbindungsseil riss. Oder wurde es durchschnitten, wie manche meinen? Im Museum liegt ein Teil des Seils. Das zur Aufklärung entscheidende andere Stück blieb mit dem Lord Francis Douglas in der eisigen Nordwand zurück. Er war erst 18.
«Königin Victoria war so erbost über den Tod des jungen Lords, dass sie ihren Untertanen das Klettern in den Alpen verbieten lassen wollte», sagt Biner. Der «Ruf des Berges» erwies sich als stärker. Immer mehr Briten, bald auch andere Europäer sowie Amerikaner, wollten es Whymper gleichtun.
So wurde aus dem armen Dorf Zermatt eines der populärsten Reiseziele der Welt. Jedes Jahr klettern rund 3000 Alpinisten auf das «Hore». Zehntausende andere kommt für Ski- und Wandertouren. Vater und Sohn Taugwalder hatten jedoch nichts von dem vor 150 Jahren einsetzenden Boom. Sie wurden von der Kundschaft gemieden, weil Whymper sie nach Tragödie öffentlich mies machte.
«Whymper behauptete gar, er habe die Taugwalders nach unten geleiten müssen, obwohl es umgekehrt war», sagt Biner. Das Jubiläum ist nun auch Anlass zur posthumen Wiedergutmachung. So hat die Berner Regisseurin Livia Anne Richard ihr Stück «The Matterhorn Story» nicht Whymper, sondern den Taugwalders gewidmet. Und auf der Bühne stehen als Laiendarsteller auch Nachfahren der beiden Zermatter Bergführer. dpa
Reise zum Matterhorn
Anreise: Mit dem Zug über Zürich oder Basel mit Umstieg in Visp auf die Matterhorn-Gotthardbahn. Zermatt ist für den privaten Autoverkehr gesperrt. Autos müssen fünf Kilometer entfernt in Täsch geparkt werden. Weiterreise mit Bahn oder Taxi.
Besteigung: Jährlich versuchen rund 3000 Alpinisten, das Matterhorn zu besteigen. Tödliche Unfälle gibt es immer wieder. Die beliebteste, aber trotzdem technisch anspruchsvolle Route ist der Hörnligrat. Ein Bergführer nimmt etwa 1500 Euro für die Besteigung.
Informationen: Zermatt Tourismus, Bahnhofplatz 5, CH-3920 Zermatt, Tel.: 0041 27/966 81 00, zermatt.ch