Architektur an der Ostsee

Von Andreas Heimann

Backsteinkirchen und Bäderarchitektur - dafür ist Mecklenburg-Vorpommern berühmt. Aber entlang der Ostseeküste tut sich architektonisch auch in anderer Hinsicht viel. Manchmal sind spektakuläre neue Bauten entstanden wie das Ozeaneum in Stralsund, das mit seiner Außenhaut an ein vom Wind geblähtes Segel erinnert. Manchmal werden aber auch sonst unscheinbare Zweckbauten zum Hingucker wie Ferienhäuser oder Tourist-Info.

Olaf Bartels ist der Autor des «Architekturführers Mecklenburg-Vorpommern». Sehenswerte Architektur gibt es für ihn im Nordosten an vielen Ecken. Ihm liegt daran, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass viele Bauten einen Blick lohnen, auch und gerade in den Tourismuszentren.

Ahrenshoop ist einer dieser kuschligen kleinen Ostseebadeorte, die mehr als Strand zu bieten haben - auch wenn der schon sehr schön ist. Die Dichte an Rohrdachhäusern, Reiterhöfen und Buchenhecken liegt weit über dem Landesdurchschnitt - genau wie die von wuchtigen Autos mit hohen PS-Zahlen und Hamburger oder Berliner Nummernschild. Vor allem aber hat der Ort für Kunstinteressierte viel zu bieten. Ahrenshoop war schon im 19. Jahrhundert ein Fluchtpunkt für Künstler.

Schon 2005 hat sich in Ahrenshoop ein Verein gegründet, der das Ziel verfolgt, der Kunst und den Künstlern einen passenden Ausstellungsort zu bieten: ein Kunstmuseum für rund 7,7 Millionen Euro - für einen Ort mit gut 750 Einwohnern ein Riesenprojekt. «Es soll im Herbst 2013 eröffnen, mit fünf Häusern, die eine Art Hof bilden», sagt Marion Müller-Axt, die Leiterin des Projektbüros Kunstmuseum. Auf 680 Quadratmetern wird es dann eine Dauerausstellung und regelmäßig Wechselausstellungen geben sowie einen Skulpturenpark.

So wenig wie sich die Ausstellung auf die Vergangenheit konzentrieren soll, so wenig klammert sich die Formensprache des Museums selbst an tradierte Formen: Die Häuser bekommen ausdrücklich kein Strohdach, das in Ahrenshoop so oft zu sehen ist, die Fassade wird mit Baubronze verkleidet, die natürlich nachdunkelt. «Das Museum ist selbst ein Kunstwerk», sagt Müller-Axt - und soll rund 60 000 Besucher pro Jahr anziehen.

Ungewöhnliche Bauwerke gibt es in Ahrenshoop viele. Der Kunstkaten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gehört dazu, der inzwischen aufwendig restauriert wurde und die Bunte Stube, 1929 im Bauhaus-Stil errichtet, damals eine zentrale Anlaufstelle für die Künstler. Etwas abseits im Paetowweg liegt die kleine Schifferkirche, die 1951 fertiggestellt wurde und gerade erst eine neue Orgel bekommen hat. Die Kerzenhalter und das Kreuz auf dem First fertigte der Dorfschmied.

Die vier Schiffsmodelle, die unter der Decke hängen und die Namen «Glaube», «Liebe», «Hoffnung» und «Frieden» tragen, hat ein Kapitän gebaut. Der Entwurf für das von außen bescheiden wirkende Gebäude stammt von dem Architekturprofessor Hardt-Waltherr Hämer. Innen erinnert es an einen Schiffsrumpf - Holz dominiert. Die Marmorplatte des Altars lag vorher auf dem Schreibtisch von Hämers Vater - wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war Improvisieren gefragt.

Ungewöhnliche Architektur gibt es auch im nahen Ostseeheilbad Zingst: Das Max Hünten Haus, dessen auffällige Fassade Glas, Holz und viel Farbe kombiniert, eröffnete im Dezember 2011. Es hat gleich mehrere Funktionen, die für den 3200-Einwohner-Ort, der jährlich 240 000 Gäste zählt, wichtig sind: Unter einem Dach haben Tourist-Information, Stadtbibliothek und eine Sammlung mit Literatur zu Fotografiethemen ihren Platz gefunden. Gäste können hier bei Workshops ihre Fotokenntnisse ausbauen.

Ribnitz-Damgarten ist nicht weit entfernt. Den überraschend großen Marktplatz säumen die Kirche auf der einen und das Rathaus auf der gegenüberliegenden Seite. Aber ein echter Hingucker ist auch hier ausgerechnet die Tourist-Information dazwischen. Und so posiert ein sandalentragender Tourist fürs obligatorische Erinnerungsfoto nicht etwa vor dem altehrwürdigen Rathaus, sondern lässt sich vor dem modernen rotbraunen Quader ablichten. «Da drinnen sind die Stadtinformation und ein Restaurant untergebracht», erklärt Olaf Bartels. Und das dafür unverzichtbare Zweckgebäude hat eben mal nicht die sonst übliche einfallslose Optik.

Die meisten Besucher des Ortes - rund 75 000 pro Jahr - zählt aber das Deutsche Bernsteinmuseum. Und das ist auf jeden Fall in einem architektonischen Schmuckstück zu Hause: «Ein altes Kloster, neu genutzt», erklärt Bartels, «zwei Gebäudeteile, die nun mit einem Glastunnel verbunden sind.» Das Kloster wurde 1330 gegründet und bestand bis 1587, bis ins 20. Jahrhundert lebten evangelische Stiftsdamen hinter den Klostermauern.

Das Bernsteinmuseum wurde 1975 gegründet. «Die Stadt hat nach der Wende den Antrag an die Treuhand gestellt, das Kloster zu übernehmen», erzählt Museums-Direktor Ulf Erichson. «Heute sind darin Standesamt, Stadtarchiv, Bibliothek, Kunstverein, Wohnungen und unser Museum untergebracht.» In der Klosterkirche gibt es seit 1985 keine Gottesdienste mehr - stattdessen eine Dauerausstellung zur Geschichte des Klosters und Wechselausstellungen zu anderen Themen.

Das Bernsteinmuseum wurde nach einem Umbau 2006 neu eröffnet. «Hier an der Küste werden pro Jahr 200 bis 300 Kilogramm Bernstein gefunden», erzählt Erichson. Rund 1600 Objekte zeigt die Dauerausstellung «Bernstein - Gold des Nordens», darunter viele ungewöhnliche Stücke, Bernsteine, in denen eine Ameise eingeschlossen ist, eine Gottesanbeterin, eine Mücke oder ein Fadenwurm zum Beispiel, aber auch Uhren, Ringe, Teller aus Bernstein oder Ketten in allen erdenklichen Varianten.

Die Ausstellung widmet sich auch der Geschichte des Bernsteins: Kästchen, Marienfiguren oder Schachspiele daraus gibt es seit Jahrhunderten. Gezeigt wird sogar eine Bärenfigur aus der Jungsteinzeit. Wer wissen möchte, wie Bernstein bearbeitet wird, kann Henning Schröder über die Schulter schauen: Deutschlands einzigem Bernsteindrechslermeister. Sein Arbeitsplatz ist ebenfalls in dem alten Klosterkomplex, der inzwischen vielseitig neu genutzt wird. dpa

Informationen: Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern, Platz der Freundschaft 1, 18059 Rostock, Tel: 0381/403 05 50, auf-nach-mv.de