Von Martina Scheffler
Eines will Stephan Beck klarstellen: Auf Sylt bekommt noch jeder sein Schnitzel und sein Bier - trotz Arbeitskräftemangel im Sommer. «Das soll hier nicht so rüberkommen, dass es heißt: Du wirst hier nicht mehr bedient.» Der Vorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Sylt sieht dennoch eine Lücke auf der beliebten Urlaubsinsel: 400 Kräfte fehlen nach seinen Angaben, ob im Restaurant oder beim Zimmerservice.
Das habe mehrere Gründe, angefangen bei hohen Mieten. «Für ein Wohnklo mit 28 Quadratmeter zahlen Sie 650 Euro. Was sollen wir den Angestellten als Arbeitgeber bezahlen?» Aber nicht nur die Preise seien ein Problem, Wohnraum fehle an sich. Wer vermiete, könne mit nur 100 Miettagen im Jahr mit Urlaubsgästen mehr verdienen als an 365 Tagen mit Dauermietern. «Die Politik muss schneller handeln», kommentiert Beck die bisherigen Ansätze, auf Sylt bezahlbaren Wohnraum nur für Sylter zu schaffen.
«Soll die Politik die letzten Dünen auch noch bebauen?», kontert Rudolf Reiff, Leiter der Geschäftsstelle Westerland der Agentur für Arbeit. Für ihn sind die Zahlen zum Arbeitskräftemangel auf Sylt ein «relativ stabiler Bereich». Das Problem habe es in anderen Proportionen schon vor 30 Jahren gegeben. Dies sei nicht nur ein Sylter Problem, sondern da ein Thema, «wo Saison herrscht», etwa an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern.
«Da herrscht auch Verdrängungswettbewerb.» So meldete die Geschäftsstelle Westerland Ende Juli 99 freie Ausbildungsplätze - bei keinem einzigen unversorgten Bewerber. Köche, Hotel- und Restaurantfachleute zählen im Agenturbezirk Flensburg, zu dem Westerland gehört, zu den Berufen mit den meisten freien Ausbildungsplätzen.
Auf Amrum und Föhr ist die Lage inzwischen ebenfalls angespannt. Überall würden Kräfte gesucht, sagt die Dehoga-Bezirksvorsitzende Angelika Hesse. Es gebe noch viele offenen Lehrstellen, während in früheren Jahren im Herbst des Vorjahres bereits die Auszubildenden feststanden. Ein Nachteil des Bewerbermangels: «Da kann man nicht mehr wählen.» Schon ein halbes Jahr vor Ende der Lehre hätten manche Auszubildenden einen Vertrag in der Tasche.
Ein weiterer Grund für ungedeckten Bedarf auf Sylt sind für Beck die veränderten Ansprüche der Bewerber. Wo es früher Wanderarbeiter gegeben habe, die im Sommer in der Gastronomie arbeiteten und in der kalten Jahreszeit im Wintersport, wollten die Menschen heute Ganzjahresjobs.
Große Mängel bei der Qualität der Ausbildung sieht die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Dies schrecke immer mehr junge Menschen ab, sagt Finn Petersen, Geschäftsführer von NGG Schleswig-Holstein Nord. Die Arbeitsbedingungen hätten sich stark verschlechtert, auf Sylt habe sich eine Dauersaison gebildet. «Und im Sommer wird sehr viel gearbeitet für sehr wenig Geld.» Oft würden Bestimmungen der Tarifverträge wie etwa 30 Tage Urlaub oder Urlaubsgeld nicht eingehalten. «Die Berufe sind nicht einfach», räumt Beck ein, der ein Restaurant in Westerland hat. «Aber es gibt große Aufstiegschancen.»
Holger Bodendorf, Sternekoch und Betreiber des Fünf-Sterne-Superior-Hotels «Landhaus Stricker», misst der Mitarbeiter-Motivation eine entscheidende Bedeutung zu. «Man muss schauen, wie man mit den Mitarbeitern umgeht.» So hätten Betriebe in der Hotel- und Restaurant-Kollektion, der das Landhaus angeschlossen ist, Gutscheine für Mitarbeiter gekauft, etwa für Rhetorikseminare. Zudem biete er für alle Mitarbeiter Wohnraum. Arbeitskräftemangel ist denn auch für Bodendorf kein Problem: «Hier und da» gebe es Engpässe. Die könnten aber aus eigenen Reihen ausgeglichen werden.
Da sich insgesamt aber doch die Reihen lichten, hält der Dehoga Schleswig-Holstein inzwischen in Spanien und Griechenland Ausschau nach Auszubildenden. Die ersten könnten zum 1. September anfangen, sagt Dehoga-Präsident Peter Bartsch. Ein Kollege auf Sylt habe bereits zugesagt, sechs griechische Bewerber einstellen zu wollen. dpa
Sylt.de
Das ferne Festland greift zum Namen Sylt
Von Heiko Lossie
Sylt sorgt neuerdings für erstaunliche Karrieren. Waren früher allenfalls die einstige Bretterbude Sansibar - heute Kult-Restaurant samt Handel - oder das Fischimperium Gosch über die Grenzen des Eilands hinaus bekannt, schmückt sich inzwischen eine ganze Produktpalette mit dem Namen der Insel. Sylt als Teil der Bezeichnung findet sich von Wodka über Dosenbrot bis hin zu Salatsoße. Oft haben sie mit der Insel eher wenig zu tun. Mal stammt das Rezept von dort, mal wird die Spirituose mit Kieseln vom Sylter Strand filtriert - und nicht selten soll der klingende Name einfach Kunden locken.
«Dieser Marketing-Trick ist ja nicht neu», sagt Gudrun Köster von der Kieler Verbraucherzentrale. «Die verkaufen Emotionen und Bilder, die im Kopf entstehen.» Rechtlich gebe es meist keine Handhabe gegen Ortsbezeichnungen in Produktnamen. Regionale Besonderheiten sind eine Ausnahme. Doch laut Inselmarketing arbeiten nur rund ein Dutzend Lebensmittelproduzenten wirklich auf dem Eiland.
Sylter Salatsoße und Wodka riefen die Verbraucherschützer bereits auf den Plan. Auch Foodwatch sieht einen Etikettenschwindel. «Mit regionaler Herkunft darf nur dann geworben werden, wenn dies durch die tatsächliche Herkunft der Zutaten gedeckt ist», fordert Sprecher Martin Rücker. Der Ursprung aller Hauptzutaten müsse klar werden.
Die Verantwortlichen vom Inselmarketing sagen: «Besser ist es natürlich, das Produkt "Sylter Art" zu nennen, um Missverständnisse direkt auszuschließen.» Ärgerlich seien Fälle einer «offensichtlichen Täuschung, wo alles daran gesetzt wird, dass das Produkt so gestaltet und vermarktet wird, als ob es auf Sylt hergestellt wird oder die Rohstoffe von der Insel kommen». Die Salatsoße sei ein Beispiel.
Sylt ist nicht allein. Gänseleberpastete mit viel Schwein, Rosinen statt versprochener Trauben, Orangensoße nur aus Aromen: Anlass zur Kritik haben die Verbraucherzentralen oft und machen Druck mit ihrem Portal «Lebensmittelklarheit.de», das Beschwerden auflistet. Die Industrie ist skeptisch. Ihr Dach-Verein «Die Lebensmittelwirtschaft» zeigt sich zwar offen für Gespräche, hält das Portal aber nicht für repräsentativ.
Für Wissenschaftler hängt der Trend zur Regionalisierung auch an der Sehnsucht nach Verwurzelung in einer globalisierten Welt. «In der Tat ist es ein weit verbreitetes Phänomen, Produkten eine "Heimat" zu geben», sagt Monika Kritzmöller. Sie lehrt Soziologie an der Universität St. Gallen und forscht zum Thema. Meist hätten Produkte aber gar keine Heimat mehr, vor allem in Zeiten globaler Produktion.
Kritzmöller attestiert der Masse der Kunden ein widersprüchliches Verhalten: «Der Konsument weiß um den werblich erzeugten Schein und gibt sich zugleich der ihm aufgespannten Gegenwelt mehr oder minder bewusst hin.» Die Ursache sei recht einfach: Da heute im Einzelhandel ein unübersichtlicher Überfluss das Bild präge, suchten die Kunden Orientierung. Das öffne dem «Illusionstheater» der Werbung zwar die Tür - sei aber eben auch gewollte Navigationshilfe.
Die Schattenseite: Hochglanzverpackungen verdrängten die Inhalte und Versprechen zum Wert der Ware lösten sich vom Produkt. So gelinge der Werbung das Kunststück, Schokolade zum Fitnessbringer zu machen. Doch die Verbraucher suchten eben diesen Halt. Schließlich hätten die Supermärkte den Bauern abgelöst, der Produkte früher noch unverpackt höchstpersönlich vom Hof verkaufte oder auf Märkten anpries. Werbung versuche daher heute, Brücken zwischen Hersteller und Kunde zu bauen.
Und selbst eine scheinbare Gegenbewegung in den Supermärkten folge eigentlich dem selben Grundprinzip. Wenn Pappschilder neuerdings am Gemüse- und Eierregal den Bauernhof des nahen Lieferanten zeigen, verknüpfe das nur vordergründig wieder Produkt und Inhalt. Vor allem versuche sich die Industrie dabei als ein Sinnstifter - im Fall des Pappschildbauern eben für ein vermeintlich besseres Kundengewissen.
Ob nun Bio, Schnäppchenmentalität, Wellness, Fitness oder fairer Handel - der Griff ins Regal spiegele Lebensstile. Und deswegen passt auch Sylt ins Bild. Die Firma hinter der Salatsoße argumentiert, der Name sei nicht irreführend. «Er weist emotional und fantasievoll auf den Produktcharakter, die nordische Eigenart und Geschmacksrichtung des Produktes und auf den Sylter Lebensstil hin.» dpa
Welchen Schutz hat der Name Sylt?
Austern, Bonbons, Salatsoße, Wodka - vieles schmückt sich mit dem Namen Sylt. Manches stammt tatsächlich komplett oder wenigstens teilweise von der Insel. Doch auch Produkte, die die Insel bestenfalls im Verkaufsregal erblicken, tragen das Eiland im Namen. Und sie dürfen das. Markenrechtlich genießt Sylt keinen Schutz, wie die Insel-Marketinggesellschaft berichtet. Bei Orten sieht das Gesetz so etwas nicht vor - jeder darf seine Möbelkollektion München nennen oder eben die Salatsoße Sylt.
Anders kann das bei regionalen Spezialitäten wie der schwäbischen Maultasche sein, für die die EU gewisse Schutzregeln gewährt. Doch im Falle Sylts müsste dann klar sein, dass die Insel für ein besonderes, die Gegend prägendes Lebensmittel steht. Laut Inselverwaltung gibt es aber nur rund ein Dutzend echte Insulaner-Lebensmittelproduzenten.
Das Bundespatentgericht entschied Mitte 2011, dass ein Betrieb vom fernen Festland seine Waren durchaus «Syltsilber» nennen darf. Begründung: «Bekanntermaßen existieren auf Sylt weder Silbervorkommen noch besitzt die Insel eine eigenständige Silberwarenindustrie beziehungsweise eine "inseltypische" Form der Silberbearbeitung.»
Anders verhält es sich etwa mit geschützten, weil eingetragenen Wort-Bild-Marken wie dem offiziellen Insellogo mit Sylt-Schriftzug, der Inselsilhouette und dem Slogan: «Meer. Leidenschaft. Leben.»