Beaune, der Burgunderwein und sein Hôtel-Dieu

Von Jens Golombek

Auf dem Stadtwappen von Beaune schwebt vor blauem Hintergrund die Gottesmutter mit goldenem Heiligenschein. Auf ihrem rechten Arm sitzt das Jesuskind, in der linken Hand hält Maria eine Traubenrebe. Jede andere Frucht wäre deplatziert. Seit dem Mittelalter ist Beaune Zentrum des Weinanbaugebiets in Burgunds süd-lichem Département Côte-d'Or.

Anders als in der nahen Hauptstadt Dijon haben die Stadtväter hier ausschließlich auf die Tradition von Weinbau und Weinhandel gesetzt. So ist Beaune zur Freude vieler Touristen das geblieben, was es schon immer war: eine idyllische, aber quirlige Kleinstadt, umgeben vom wuchtigen Ring seiner einst wehrhaften Wallanlagen.

Die verkehrsberuhigte Altstadt mit ihren Plätzen und engen Straßen hat typisch französisches Flair. Zwar sind die Preise in vielen Restaurants maßlos überteuert, aber der Besucher muss es sich eben schon etwas kosten lassen, will er in unmittelbarer Nähe des schönsten Krankenhauses der Welt dinieren. Dabei wirkt das Hôtel-Dieu mit seiner trutzigen grauen Fassade eher abweisend.

Erst beim Betreten des Innenhofs erschließt sich die architektonische Anmut des 1443 gegründeten Hospizes. Der rechteckige, mit Kopfsteinen gepflasterte Platz wird umschlossen von einem Gebäudeensemble aus Fachwerk, Galerien, hoch aufragenden Kaminen, verschnörkelten Erkern und steilen Satteldächern, deren bunt glasierte Ziegel zu harmonisch-geometrischen Mustern angeordnet sind.

Das Herzstück des Hôtel-Dieu bildet der Große Armensaal im Ostflügel, der wie ein riesiges Kirchenschiff anmutet - nur dass der 72 mal 14 Meter große Innenraum leer ist und die kargen Mauern anstelle der Seitenaltäre von Krankenbetten flankiert werden. Die purpurroten Bettbezüge und Vorhänge sind ein auffallender Farbtupfer in der eher schlichten Halle. Schwer vorstellbar, dass noch bis 1971 hier Kranke und Behinderte betreut wurden. Selbst für die Siechenden des Spätmittelalters dürfte das Hospiz nicht gerade ein Ort der Erholung gewesen sein. Historische Quellen belegen, dass sich zwei Kranke je eines der hintereinander aufgereihten Betten teilen mussten - und die sind erschreckend schmal und kurz.

Bequemer kann man sein Haupt in den vielen anderen jahrhundertealten Gemäuern Burgunds zur Ruhe betten. Immer mehr Privatleute machen mit liebevoll eingerichteten Gästezimmern den Hotels Konkurrenz. So hat auch in Beaunes Umgebung mancher Winzer einen Flügel seines schlossartigen Weinguts für zahlende Gäste ausgebaut. Im Château de Melin zum Beispiel gelangt man tatsächlich über eine Wendeltreppe in sein Gemach, nächtigt unter schweren Eichendeckenbalken in einem pompösen Himmelbett und bekommt am Morgen von der Maitresse de Maison zum Frühstück an einer langen Tafel vor einem riesigen Kamin eine frisch gebackene Apfeltarte aufgetischt.

Das Château La Rochepot bietet solchen Service leider nicht. Das Schloss liegt 15 Kilometer westlich von Beaune auf einer dicht bewaldeten Felskuppe und überragt das kleine Winzerstädtchen gleichen Namens. In der Französischen Revolution niedergebrannt und erst 1926 wieder komplett aufgebaut, befindet es sich in Privatbesitz und kann nur im Rahmen einer Führung besichtigt werden.

Die Innenräume wirken wie die riesenhaften Sets eines aufwendigen Märchenfilms. Auch von außen ist La Rochepot mit seinen Türmchen, Zinnen, Mauern und dem vorgelagerten Bollwerk nebst Zugbrücke noch am ehesten mit der überkandidelten Architektur des Zauberinternats Hogwarts aus den Harry Potter-Büchern zu vergleichen. Aber gerade dieser absurde Mix aus Raubritterburg und Dornröschenschloss macht das Chateau zu einem Besuchermagneten.

Zu den Überresten der Abtei Sainte Marguerite nördlich von Beaune verirren sich hingegen nur wenige Touristen. Zu versteckt liegt die Ruine in einem weiten, felsigen Taleinschnitt. Ab und an folgt eine Wandergruppe dem bescheidenen Wegweiser und ist dann umso erstaunter über den Anblick der wuchtigen gotischen Mauern, die nach steilem Aufstieg gleich hinter dem Waldsaum die Wipfel der Bäume überragen.

Begleitet von seinem Hund steht Philippe Roelandt in ausgebeulten Jeans am schmiedeeisernen Tor seines Anwesens. Vor elf Jahren erwarb der belgische Wasser- und Forstingenieur das Gelände. «Ich habe immer von einem Grundstück mit Wald geträumt - und eine fast 1000 Jahre alte Abtei dazubekommen. Jetzt ist die Restaurierung von Sainte Marguerite zu meiner Lebensaufgabe geworden.» Und die wird Philippe Roelandt wohl noch eine Weile beschäftigen.

Die Begeisterung des umtriebigen Selfmade-Manns wirkt ansteckend. Stolz führt er durch freigelegte Kellergewölbe, schreitet über das Gras, das den Boden der dachlosen Abteikirche bedeckt und schwärmt von der Perfektion der Gotik. Noch ist die ehemalige Augustiner-Abtei eine Baustelle. Absperrgitter stehen im Chorraum, nebenan liegen Haufen von nummerierten Steinen. Selbst das Wohnhaus, das Roelandt sich in Eigenregie gebaut hat und das inmitten der Ruine einen gelungenen Kontrast zur alten Bausubstanz bildet, ist erst halb fertig. «Man möchte ihm direkt helfen», seufzt eine Besucherin voller Mitgefühl.

Roelandt deutet hinüber zu einem verfallenen Gebäude, rechts neben dem gedrungenen Turm der Toreinfahrt. «Hier soll ein kleiner Schankraum für Besucher entstehen.» Was will er denn hier ausschenken? Wein? «Nein, davon gibts in Beaune doch schon genug», sagt er. «Zu jeder Abtei gehört einfach ein zünftiges Bier. Die Augustiner haben hier bestimmt auch welches gebraut.»

Zum Umtrunk lädt er die Besucher in die Küche seines Wohnhauses ein und stellt die gekühlten Flaschen auf den wuchtigen Esstisch. Passende Etiketten für sein Klosterbier hat Roelandt schon drucken lassen. Auf den Flaschen klebt die Reproduktion eines alten Schwarzweißfotos der Abtei, das irgendwann vor dem Ersten Weltkrieg geknipst wurde. Und woher kommt das Bier? «Na aus Belgien, das können die dort besser als hier in Burgund. Santé!», sagt Roelandt, hebt das Glas und nimmt einen tiefen Schluck. dpa

Informationen: Französisches Fremdenverkehrsamt, Atout France, Postfach 100128, 60001 Frankfurt, beaune-tourisme.fr