Von Benno Schwinghammer
In Dietenhofen sagen sie immer noch «Sekt-Bronte». Wer dort eine koffeinhaltige, fränkische Dorfbrause trinken will, bestellt lieber unter dem alten Namen. Obwohl der örtliche Braumeister Hans Sauernheimer die Bezeichnung des Trunks schon in der Nachkriegszeit änderte, lebt sie in den Köpfen der Bewohner weiter. Auch jetzt noch, wo die Limonade, die sie hier schon seit 90 Jahren kennen, in ganz Deutschland und besonders in der Hauptstadt so bekannt geworden ist. Wer in Dietenhofen eine «Sekt-Bronte» bestellt, bekommt Club Mate vorgesetzt.
Sauernheimer selbst will damit nichts mehr zu tun haben. Der heute 84-Jährige hatte es lange in den Gaststätten und Läden der Region versucht. Über Dietenhofen hinaus kannte sein Getränk auch nach Jahrzehnten fast keiner. «Es ist schwer zu verkaufen gewesen», erinnert er sich. Sein Schwiegervater, so sagt es die Legende, soll das Rezept 1924 auf einer Messe entdeckt und erworben haben. Eine Goldgrube wurde Club Mate aber nie - bis Sauernheimer das Rezept an die nahe gelegene Bierbrauerei Loscher in Münchsteinach abgab.
Vielleicht möchte er deshalb niemanden zum Gespräch treffen. Denn tatsächlich wurde Club Mate unter seinem neuen Brauherr das, was es heute ist: Ein Szenegetränk deutscher Metropolen, das aus Berlin genauso wenig wegzudenken ist wie Hipster oder das Berghain. Klischeehaft, aber erfolgreich.
Hunderte Kilometer entfernt vom Trubel: Mittelfranken, Münchsteinach, tiefste Provinz. Dort wo die Menschen einander auf der Straße grüßen, selbst wenn sie sich nicht kennen. Der Geruch von Gülle liegt in der Luft. Schauspieler Günther Strack hatte hier ein Weingut, bis er im Ort gestorben ist. Die 1400 Einwohner ehren ihn mit dem «Günther-Strack-Platz». Eine «Club-Mate-Straße» gibt es noch nicht.
Geschäftsführer Marcus Loscher stört das nicht. Es lässt ihn kalt, dass schon in den Nachbardörfern die meisten nicht kennen, was in der deutschen Szene seit Jahren Status Quo ist. «Wir tragen uns da nicht sehr groß nach außen und wollen das auch nicht», sagt der 35-Jährige, der mit seinen Jeans und dem Schlabberhemd genauso wenig Szenemensch ist wie Münchsteinach das fränkische Neukölln. Loscher sitzt in dem schlichten Büro der Brauerei, vor ihm eine geöffnete Flasche - natürlich Club Mate, das er «literweise» trinke. Wachsen wolle man zwar, aber nicht explodieren, erklärt er. Deshalb auch keine Werbung.
Einen Werbespruch hat Club Mate dann aber doch: «Club Mate... Man gewöhnt sich dran». Ein Sinnbild für ein Getränk, das gar nicht wirklich gut, doch aber anders schmeckt. Loscher kennt fast niemanden, der die Brause von Anfang an mochte - sich selbst eingeschlossen. Viel Koffein, viel Kohlensäure und Mate Tee aus Südamerika. Einige ekelt es vor dem Geschmack. Andere dagegen - Szene, Hacker, Piraten - erheben es in den Kultstatus. Als es 2011 einen Lieferengpass gab, wurde im Internet gar die «Matecalypse» ausgerufen.
Der Mann, der das alles möglich machte, wird nur «Freke» genannt. Vermutlich hätte «die Mate» auch ohne Frederik Over ihren Weg nach Berlin gefunden - der Ex-Hausbesetzer und Getränkehändler in Berlin-Friedrichshain war aber nun mal der Erste, der sie in die Hauptstadt brachte. 1994 war das. Hans Sauernheimer hatte das Patent gerade verkauft und sein Geschäft dicht gemacht, weil er zu alt wurde. Loscher hatte angefangen, die Brause zu brauen, als ein DDR-Lkw Marke «Robur» auf den Platz in Münchsteinach fuhr.
Nach Berlin kehrte Over mit 200 Kästen auf der viel zu kleinen Ladefläche zurück. «Da müsste ich heute noch den Führerschein für entzogen bekommen», meint er. Im Berlin der Nachwendejahre rissen ihm vor allem Besetzerkneipen, illegale Clubs und die aufkommende Hackerszene mit Koffeindurst den Franken-Import aus den Händen. «Daraus ist es dann zum Selbstläufer geworden», erklärt er. Besonders sei das Getränk aber auch durch Engpässe geworden. Mate gabs nicht immer. Und wenn, musste man schnell sein.
1995 zog Over für die PDS ins Abgeordnetenhaus ein - und nahm Club Mate gleich mit. Seine Fraktion habe sie ins Berliner Landesparlament gebracht, betont er. Nicht die Piraten 2011. Und auch damals hätten die Kollegen von den Grünen schon eifrig mitgetrunken, sagt er. Von der Politik hat Over Abstand genommen. Auch aus Berlin ist er weggezogen. Heute besitzt er ein Feriendorf in Brandenburg.
Club Mate schaffte es aber nicht nur doppelt ins Abgeordnetenhaus, sondern auch auf fremde Kontinente. An der Stirnseite in Marcus Loschers Büro hängt eine Weltkarte. «Club Mate Worldwide» steht drauf. Gelbe Pinnnadeln stecken in den USA, Israel, Neuseeland, Südafrika oder Chile. In 38 Länder exportiert Loscher - das seien aber trotzdem nur 3 Prozent des Gesamtumsatzes, betont der Geschäftsführer.
Mit den Zahlen der ganz Großen kann die Brauerei nicht mithalten: jährlich werden mehr als eine Milliarde Liter Cola in Deutschland abgesetzt. Loscher dagegen verkauft nach eigenen Angaben Flaschen im zweistelligen Millionenbereich. Abseits von Berlin vor allem in Hamburg, Bremen und NRW. Ausgerechnet das Herkunftsland Bayern aber ist noch ein weitgehend weißer Fleck.
Wirklich in die Karten schauen lassen will sich Loscher aber nicht.
Eigentlich möchte er dieses Gespräch auch gar nicht führen. Nachahmer könnten aufgerüttelt werden. Die großen Konzerne hätten sicher schon Pläne in den Schubladen, vermutet er. Ob es für die Platzhirsche nicht am einfachsten wäre, den Familienbetrieb einfach aufzukaufen? Loscher überlegt lange. Andere hippe Brausen seien seit ihrer Übernahme tot, sagt er schließlich. So etwas funktioniere nicht. Vielleicht hofft er das auch nur.
Hans Sauernheimer hatte selbst nie Glück mit seinem Getränk - über den gegenwärtigen Erfolg möchte er nicht mutmaßen: «Wie lang das ein Dauerbrenner bleiben kann, das hängt vom Geschick von Herrn Loscher ab», sagt er. Es schwingt Zweifel mit. Der jahrelange Hype könnte endlich sein.
Loscher befürchtet das auch. Er kennt die Konkurrenzbrausen aus Mate-Blättern. Er kennt die Mate-Kaugummis, Zigaretten und die Schokolade. Auch deswegen braut er nebenher weiter Bier, erzählt er, während er durch den Betrieb führt. In der Halle neben ihm rattern tausende Flaschen über Fließbänder. Nein, nur auf Club Mate setzen möchte er nicht: «Das wäre ja Selbstmord.» dpa