Berlin und der wilde Tourismus

Von Julian Mieth

Daniel Dagan hat nichts gegen Touristen - auch nicht in seiner Nachbarschaft. «Es ist doch wunderbar, wenn Menschen aus aller Welt in die Stadt kommen», sagt der Anwohner aus der Wilhelmstraße in Berlin-Mitte. Dies gelte jedoch nur, solange sich die Besucher benehmen. Das ist das Problem: Zunehmend werden Berliner Wohnungen in Feriendomizile umgewandelt. Und die meist jungen Zwischenmieter kommen vor allem zum Feiern. Das Ergebnis sind nächtlicher Lärm und Müllberge im Hausflur. «Ich kann wegen des ganzen Ärgers schon nicht mehr schlafen», sagt Dagan. Ein Einzelfall?

Der Berlin-Tourismus boomt. Mittlerweile 12 000 Ferienwohnungen soll es in der Stadt geben, schätzt die Berliner Mietergemeinschaft - insgesamt sind es 112.000 Betten in der Hotellerie. Für Vermieter und Besucher aus dem Ausland ist das ein gutes Geschäft: Die Kurzzeit-Berliner zahlen deutlich mehr als feste Mieter, aber weniger als für ein reguläres Hotelzimmer.

Das ärgert naturgemäß den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), weil der Branche Einnahmen verloren gehen. Darunter zu leiden haben aber vor allem die Bewohner der umfunktionierten Mietshäuser. Nach einer Umfrage geben 95 Prozent von ihnen an, negative Erfahrungen gemacht zu haben. Ähnliche Probleme gibt es längst auch in anderen deutschen Großstädten wie Hamburg und München.

Lange Zeit hat Dagan gedacht, dass das Problem mit den unliebsamen Nachbarn nachlassen würde. «Stattdessen wurden immer mehr Wohnungen für Touristen freigegeben», sagt er. Von rund 930 Wohnungen etwa an der Wilhelmstraße würde ein Drittel als Ferienapartments genutzt - Reinigung und Wäscheservice inklusive. «Mittlerweile ist das kein Wohnhaus mehr, sondern ein Hotelbetrieb», sagt Dagan zu der Anlage, in der er wohnt. Eine andere Mieterin klagt: «Hausgemeinschaft ist hier zum Fremdwort geworden.»

Weil die Hausverwaltung auf Beschwerden nicht reagierte, minderte Dagan wie auch andere Anwohner die Miete. In Dagans Fall kündigte die Hausverwaltung die Wohnung und verklagte ihn. Das Verfahren ging bis zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Dort steht an diesem Mittwoch ein Urteil an. Sowohl Geschäftsführung als auch Pressesprecher der Wohnungseigentümer waren auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Politik und Verwaltung haben das Problem mit den hotelähnlichen Angeboten zwar erkannt. Schon 2010 änderte der Senat die Verordnung über den Betrieb von baulichen Anlagen. Auflagen für den Brandschutz und die Rettungswege wurden strenger. Für Apartments mit mehr als zwölf Betten gelten die gleichen Vorschriften wie für Hotels. Nur eingehalten werden sie selten.

Das Bezirksamt Mitte wollte die Ferienwohnungsflut eindämmen, scheiterte aber vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Das Amt hatte dem Eigentümer des Hauses in der Wilhelmstraße die Vermietung von Wohnungen an Touristen verboten und von einem ungenehmigten Beherbergungsbetrieb gesprochen. Das sahen die Richter anders, da die Eigentümer Mietverträge mit einer Nutzungsdauer von drei bis acht Monaten angaben. Geschlagen will sich die Behörde nicht geben. «Wir prüfen zurzeit mit dem Senat, wie wir das Verfahren doch noch gewinnen», so Bezirksstadtrat Carsten Spallek (CDU).

«Das Urteil hätte schon im ersten Anlauf anders ausfallen müssen», sagt Dehoga-Hauptgeschäftsführer Thomas Lengfelder. Dabei hat er nichts gegen die Privatvermietung von Zimmern. Allein die gewerbsmäßigen Großanbieter ärgern ihn. «Unterlägen sie den gleichen Anforderungen wie Hotels, gäbe es auch einen fairen Wettbewerb.»

Längst haben auch andere Städte ähnliche Probleme. In Hamburg erinnerte man sich darum an das 30 Jahre alte Wohnraumschutzgesetz. Demnach ist es in Zeiten von Wohnraummangel verboten, Unterkünfte nur kurzzeitig zu vermieten. Genau ein solches Gesetz fehle in Berlin, meint die Berliner Mietergemeinschaft.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung will per Verordnung ein Verbot von zweckentfremdeten Wohnungen wieder einführen. Nach Angaben ihrer Sprecherin Daniela Augenstein soll dies aber lokal gelten. «Bis Ende des Jahres wollen wir damit durch zu sein.» Eine solche Verordnung war 2002 vom Oberverwaltungsgericht gekippt worden.

Zwar rechnet sich Dagan gute Chancen in Karlsruhe aus. Als politisches Signal könnte ein Urteil zu seinen Gunsten Bewegung in die Sache bringen. Dass dann aber bald Ruhe in seine Nachbarschaft einkehrt, glaubt er nicht. dpa