Von Doris Heimann
In der Kneipe «PiwPaw» im Zentrum von Warschau drängen sich abends um acht die Gäste. Grüppchen von jungen Leuten stehen bei Kerzenschein zusammen, die Barmänner am Tresen zapfen ein Bier nach dem anderen, Kellner flitzen hin und her. «Wir haben 40 verschiedene Sorten Bier», sagt einer von ihnen stolz. Eine Maske trägt er nicht - genauso wenig wie die Gäste.
Das «PiwPaw» in der Zurawia-Straße ist eine von zahlreichen Kneipen und Restaurants in Polen, die sich dem von der Regierung verordneten Lockdown widersetzen. Eigentlich dürften die Gastronomie-Betriebe ihre Speisen und Getränke nur außer Haus anbieten. Michal Maciag kümmert das nicht. «Man muss doch irgendwie leben», sagt der Eigentümer des «PiwPaw». Mehrere Millionen Zloty habe er durch den Lockdown verloren, aus dem Rettungsschirm der Regierung erhalte er vielleicht 300 000 Zloty - umgerechnet etwa 70 000 Euro. «Ich hatte eine supergut funktionierende Firma. Diese Firma existiert jetzt schon nicht mehr», sagt Maciag frustriert.
Der Kneipenbesitzer ist nicht allein. «Otwieramy» (Wir öffnen) nennt sich eine Kampagne von Gastronomie-Betreibern und anderen Unternehmern, die ein Ende des Lockdowns fordern. «Wir erwarten von der Regierung, dass sie uns erlaubt, normal zu arbeiten, und dass sie Arbeitsplätze nicht grundlos zerstört. Wir wollen, dass Bars und Restaurants öffnen können», sagt Michal Wojciechowski von der Initiative «Streik der Unternehmer - Polen ohne Spaltung», die federführend bei der Aktion ist. Mehrere Hundert Restaurants und Kneipen sind nach seinen Angaben daran beteiligt.
Dabei gibt es in anderen Bereichen in Polen durchaus Lockerungsschritte. Die Corona-Zahlen sind zuletzt stark zurückgegangen: Noch gut 7000 Neuinfektionen und 456 Todesfälle innerhalb von 24 Stunden meldete das Gesundheitsministerium am Donnerstag. Zu Spitzenzeiten waren es bis zu 28 000 Neuinfektionen täglich. Hotels, Museen, Kinos und Theater dürfen ab Freitag wieder öffnen - Restaurants aber nicht.
In Warschau geht es nicht überall so offen zu wie im «PiwPaw». Das Steakhaus «Whiskey in the Jar» an der Marszalkowska-Straße hat seine Lichter im Erdgeschoss gedimmt, ein einsamer Kellner hütet die Bar. Doch von draußen kann man im ersten Stock Menschen sitzen sehen. Drinnen hängen Jacken und Mäntel an der Garderobe, in der Küche brutzelt Fleisch, Teller werden dekoriert. Eine Nachfrage macht den Kellner misstrauisch. «Wir führen hier heute Bewerbungsgespräche», sagt er und weist die Besucherin zum Ausgang.
Die Polen sind ideenreich bei dem Versuch, die illegale Öffnung mehr oder weniger notdürftig zu kaschieren. «Personalschulung», murmelt die Kellnerin in einer Cocktailbar und zieht hastig die Vorhänge zu einem hinteren Raum zu. Dort sitzen Pärchen im Kerzenschein. Manche Restaurants überreichen ihren Gästen einen einseitigen Vertrag, wonach sie an einem «Testessen» teilnehmen. Andere veranstalten «Food Workshops». Das «PiwPaw» hat sich eher scherzhaft zum «Museum für Kronkorken» erklärt.
Die Miteigentümerin einer Weinbar, die ebenfalls geöffnet hat, möchte mit der deutschen Presse nicht reden. Ihre Begründung: Die «Mainstream-Medien» in Polens Nachbarland würden negativ über Corona-Skeptiker berichten.
Die Gesundheitsämter und die Polizei haben ihre Kontrollen in den Kneipen und Restaurants zwar verschärft. Doch vielen in Polen macht das nicht so richtig Angst. Denn die Rechtslage für die Corona-Einschränkungen ist ziemlich wackelig.
Die Gastronomen bekommen Beistand von Fachleuten wie dem Rechtsanwalt Piotr Wodkowski aus Torun, der die Initiative «Juristen für Gastronomen» gegründet hat. Steht in einem Restaurant eine Kontrolle an, schickt die Initiative einen Anwalt vorbei. «Wir wachen darüber, dass die Kontrolle korrekt abläuft, weisen gegebenenfalls auf Rechtsverstöße hin», sagt Wodkowski. Mittlerweile würden Anwälte aus vielen Städten mitmachen. Zwar würden die Kontrollen vorher nicht angekündigt. Meist sei es aber so, dass die Restaurants in sozialen Medien ihre Öffnung ankündigten - die Kontrolle komme dann in den ersten Tagen.
Bislang haben die Gerichte in Polen oft zugunsten der Bürger entschieden und Bußgeldbescheide wegen Verstößen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen wieder aufgehoben. «Die Verordnung ist problematisch. Denn laut der polnischen Verfassung muss der Ausnahmezustand erklärt werden, damit derart weitgehende Einschränkungen verhängt werden können und de facto die Gewerbetätigkeit verboten wird», erklärt der Jurist Wodkowski. Doch die nationalkonservative PiS-Regierung ist bislang davor zurückgeschreckt, den Not- und den Ausnahmezustand verhängt. Denn dann hätten die Unternehmer Ansprüche auf hohe Entschädigungen.
Auch im «PiwPaw» habe es Kontrollen gegeben, sagt Kneipenbesitzer Michal Maciag. Bußgelder, Gerichtsverfahren - als Unternehmer habe er «keine Zeit», sich um das alles zu kümmern. Es klingt, als sei es ihm schon egal. dpa