brutal lokal Kochkunst der Region

Von Christian Volbracht

Poul Andrias Ziska von den Färöer Inseln im Nordatlantik kocht mit Eissturmvögeln und fermentiertem Lammfleisch, Jonnie Boer bringt Tulpenzwiebeln und Seerosen aus seiner holländischen Heimat auf die Teller, und Jordi Roca aus Gerona destilliert Schafswolle. Hauptsache kreativ und regional heißt die Devise der meisten Spitzenköche, die sich in diesem Jahr beim Schaukochen auf dem Festival «Chefsache» in Köln präsentierten.

Doch neben den internationalen Stars wie Roca oder Albert Adrià aus Barcelona oder Joachim Wissler aus Bergisch Gladbach sucht auch die junge deutsche Nachwuchsgeneration eigene Wege und neue Konzepte. Da ist Maria Groß, die selbstironisch als Maria Ostzone auftritt und jetzt im Ausflugslokal «Bachstelze» am Rand von Erfurt kocht. Kneipenessen aus der Hand einer Gourmet-Köchin, denn die quirlige Thüringerin hatte sich vorher einen Michelin-Stern erkocht und war dann aus dem Reich des «Fine Dining» wieder ausgestiegen.

Sie steht allein in der Küche, duzt alle Gäste und deckt den Tisch mit zusammengeschnorrtem Besteck: «Kochkunst ist schön, muss aber finanzierbar sein», sagt sie. Zu ihren Spezialitäten zählen Lammhüfte und Lammbries mit Pastinaken und Rote-Bete-Couscous.

Bei Felix Schneider vom Restaurant «Sosein» in Heroldsberg nördlich von Nürnberg bekommen die Gäste nur ein einziges Menü. Es wird zeitgleich serviert, die Türen werden dann verschlossen, damit sich das kleine Team um bis zu 40 Gäste kümmern kann: Schneider kocht radikal regional, stellt die eigene Butter her, kauft keine Schnitzel ein, sondern ganze Kälber, die zerlegt und vollständig verwertet werden. «Ein Koch darf nicht nur kochen, sondern muss sich mit dem Produkt befassen», sagt er. Heißgeräucherte und luftgetrocknete Leber werden beim Rezept Schlachtschüssel zum Beispiel gerieben als Aroma verwendet.

Schneider hat sich rund um Nürnberg ein Netzwerk von Produzenten gesucht, die ihm die gewünschten Produkte liefern. Er entdeckt ständig neue Eigenschaften von vermeintlichen Standardprodukten wie Kohlrabi und Zwiebeln, kocht jungen Grünkohl schon im September.

Ähnlich produktorientiert ist die Strategie von Billy Wagner, der mit Hipsterbart und modischem Clochard-Look das Konzept seines Restaurants «Nobelhart und Schmutzig» in der Berliner Friedrichstraße präsentiert. «Wir kochen brutal lokal, um geil zu sein», sagt er. 45 Produzenten rund um Berlin liefern Gemüse und Schweine, die auf Obstwiesen groß geworden sind. Sein Küchenchef Micha Schäfer zeigt, wie er Kohlrabischeiben in reduzierter Joghurt-Molke mit Rosenblättern und gegrilltem Speck anrichtet. Zu einer nach einer japanischen Methode geschlachteten Forelle gibt es Stückchen von Petersilienstängeln und einen Sud aus Eisenkraut.

Auch bei weit berühmteren und hoch dekorierten Köchen steht die Qualität regionaler Produkte im Vordergrund, etwa bei Jonnie Boer aus Zwolle oder Andreas Döllerer aus Golling im Salzburger Land. «Folgt eurem Herzen und nehmt die Sachen aus der Region», rät Boer den in Köln versammelten Nachwuchsköchen. «Man braucht keine Bohnen aus Nicaragua.» Auch Döllerer hat sich ein eigenes Netzwerk von Lieferanten für seine «Alpine Küche» aufgebaut. Er selbst sucht ständig Neues, kocht mit dem Aroma der bitteren Wurzel des Gelben Enzians oder backt Fenchel in einem Salzteig mit Gletscherschliff, um dem Gemüse den mineralischen Geschmack des feinen Gletschersandes zu verleihen. Die große Leber des Süßwasserfisches Aalrutte oder Quappe kommt anstelle von Gänsestopfleber auf den Teller.

Extremer ist die Suche nach Zutaten wohl nur bei Poul Andrias Ziska von den Färöer Inseln. Dort fischt man fette junge Eissturmvögel, die gerade vom Sturm vom Felsen ins Meer geweht wurden und noch zu schwach zum Fliegen sind. Es gibt Gerichte mit Walfleisch, man lässt Hammelköpfe und Lamm-Mägen fermentieren und verwendet eigentlich alles, was man am Strand findet.

«Keine gute Küche ohne gute Produkte», sagt auch Albert Adrià aus Barcelona, der viele Jahre im Schatten seines Bruders Ferran stand, dem Erfinder der sogenannten Molekularküche. Inzwischen gilt Albert als der eigentliche kreative Kopf des Bruderpaares. Er zeigte seine Kunst in Köln und beeindruckte die Gäste bei einem Essen im Restaurant «Vendôme» in Bergisch Gladbach. Adrià bot Austern mit Sauerkrautsaft und Zigarren aus dünnem Teig mit einer luftigen Vanille-Creme-Füllung. Joachim Wissler bereitete dünne Scheiben von der Lechtalforelle mit gegrilltem Tomatenwasser, Tannenharz und Saiblingskaviar.

Das überraschendste Gericht zeigte Jordi Roca, der mit seinen Brüdern in Gerona eines der am besten benoteten Restaurants der Welt führt: In einer Schokoladenkomposition sorgt gärende Hefe dafür, dass das Dessert auf dem Teller langsam pulsiert wie ein kleines Herz. Die Roca-Brüder haben ein eigenes Kochlabor, ebenso wie die Adriàs in Barcelona. So kann die kreative Avantgarde-Küche auch sehr teuer sein. Albert Adrià sagt: «Wenn man kreativ sein will, braucht man drei Dinge: Geld, Geld und Geld.» dpa