Bundestag beschließt Mehrwertsteuer-Senkung und Familienbonus

Die Mehrwertsteuer sinkt am 1. Juli um drei Prozentpunkte. Allerdings müssen Händler dies nicht zwingend an ihre Kunden weitergeben. Dürfen die dann ihre Rechnungen einfach selber kürzen?

Im zweiten Halbjahr 2020 zahlen die Deutschen weniger Mehrwertsteuer. Deren allgemeiner Satz sinkt von 19 auf 16 Prozent, der ermäßigte Satz von 7 auf 5 Prozent. Davon profitieren Verbraucher, wenn sie in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember Waren geliefert und Leistungen erbracht bekommen. Doch gilt das in jedem Fall? Antworten von Verbraucherschützern auf wichtige Fragen.

Müssen Unternehmen nun die Preise senken?

Nein. Unternehmen, Dienstleistern und Geschäftstreibenden steht es nach Angaben der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen im Rahmen der üblichen Preisgestaltung frei, ihre Preise beizubehalten und dadurch ihre Gewinnspanne zu erhöhen. Und laut Preisangabenverordnung muss Kunden der Endpreis von Waren und Dienstleistungen inklusive aller Steuern und Nebenkosten angegeben werden. Nur bei Verträgen, in denen die Mehrwertsteuer separat ausgewiesen ist, können Verbraucher also kontrollieren, ob die Senkung weitergegeben wird oder nicht.

Wichtig zu wissen: Kunden dürfen Rechnungen nun nicht selbstständig pauschal um 3 Prozent kürzen. Denn der Mehrwertsteuersatz fällt zwar von 19 auf 16 Prozent - mathematisch entspricht das aber nicht einem Rabatt von 3 Prozent, sondern nur von rund 2,5 Prozent. Wer einseitig Forderungen kürzt, gerät zudem unter Umständen automatisch in Verzug mit seinen Zahlungen, warnen die Experten.

Werden Preise vom 1. Juli an neu ausgezeichnet?

Nicht unbedingt. Wenn Händler und Anbieter von Dienstleistungen die Mehrwertsteuersenkung an ihre Kunden weitergeben wollen, müssen sie die Preisauszeichnung in den Regalen oder auf Aushängen nicht auf einen Schlag ändern. Sie können vielmehr auch Rabatte an der Kasse gewähren. Dabei kann der Händler außerdem frei entscheiden, ob dies für das gesamte Sortiment oder nur für bestimmte Produkte oder Warengruppen gelten soll, erklärt die Verbraucherzentrale.

Insbesondere in der Anfangsphase kann es vorkommen, dass auf den Rechnungen nicht der richtige Steuersatz steht. Deshalb sollten Kunden immer prüfen, ob richtig abgerechnet wurde, rät der Bund der Steuerzahler. Dabei ist zu beachten, dass prinzipiell der vereinbarte Endpreis maßgeblich ist, der Kunde also nicht automatisch von der Steuerersparnis profitieren muss. Ausnahme sind nur Verträge, die vor dem 1. März abgeschlossen wurden. Hier besteht in der Regel ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch auf die Steuerersparnis.

Was gilt, wenn eine Ware früher bestellt wurde, aber erst nach dem 1. Juli geliefert wird?

Entscheidend ist in der Regel das Datum der Lieferung oder der erbrachten Leistung. Wird die Lieferung verschickt, dann gilt das Versanddatum, also nicht das der Bestellung.

Ein Beispiel: Hat ein Kunde am Anfang des Jahres ein Angebot für eine Renovierung eingeholt, die zwischen dem 1. Juli und 31. Dezember 2020 ausgeführt werden soll, darf in der Rechnung nur die 16-prozentige Mehrwertsteuer zugrunde gelegt werden. Dass im Kostenvoranschlag noch 19 Prozent angesetzt worden sind, ist nun unerheblich. Auch wenn der Handwerker seine Rechnung erst nach dem 31. Dezember 2020 verschickt, gilt trotzdem der 16-prozentige Mehrwertsteuersatz aus dem Zeitraum der erbrachten Leistung. Das gilt so auch für Teilleistungen.

Ist dagegen ein Bruttopreis verabredet worden, der die Mehrwertsteuer mit einschließt, bleibt es bei der ursprünglich vereinbarten Summe - unabhängig vom aktuell geltenden Mehrwertsteuersatz.

Was gilt, wenn eine Ware schon angezahlt wurde?

Wurden beim Kauf Anzahlungen geleistet, muss bei der Endrechnung für Waren, die nach dem 1. Juli geliefert werden, die Besteuerung zum reduzierten Umsatzsteuersatz von 16 Prozent erfolgen. Das heißt: Die Rechnung muss korrigiert werden, weil der Zeitraum der Leistung dafür maßgeblich ist. Kunden haben dann also mit der geleisteten Anzahlung schon einen höheren Anteil an der Gesamtsumme bezahlt. Das gilt aber nur dann, wenn der Nettopreis plus Mehrwertsteuer ausgewiesen wird.

Wie ist das mit einem Umtausch?

Beim Umtausch von Waren wird der ursprüngliche Vertrag rückgängig gemacht und ein neuer Vertrag geschlossen. Wird ein Gegenstand ab dem 1. Juli umgetauscht, gilt für die neue Ware der Steuersatz von 16 beziehungsweise 5 Prozent, erklärt der Bund der Steuerzahler. Es muss dadurch für den Kunden aber nicht unbedingt billiger werden, denn auch für den neuen Artikel kann der ursprüngliche Endpreis fortbestehen. dpa

Mehrwertsteuersenkung heizt Preiskampf im Lebensmittelhandel an

Von Erich Reimann

Erst zog Lidl die Preissenkung um mehr als eine Woche vor. Dann schlugen Aldi und Rossmann zurück und legten bei vielen Produkten noch ein Prozent Rabatt auf die Steuersenkung drauf. Und das ist nur der Anfang.

Die Mehrwertsteuersenkung hat schon vor ihrem offiziellen Inkrafttreten einen neuen Preiskampf im deutschen Lebensmittelhandel ausgelöst. Vorreiter war der Discounter Lidl, der schon mehr als eine Woche vor dem offiziellen Stichtag die Preise reduzierte. An den Regalen in den Filialen prangt schon seit dem 22. Juni für jedes Produkte ein großes rotes Schild mit dem alten und dem neuen Preis und einem markanten «Billiger!». Konkret: Dosentomaten kosten jetzt 38 statt 39 Cent, Fischstäbchen 3,42 statt 3,49 Euro.

Doch war das Vorpreschen von Lidl nur der Auftakt im Rotstift-Wirbel der Lebensmittelhändler. Denn der Erzrivale Aldi legte am vergangenen Samstag noch eine Schippe drauf und senkte die Lebensmittelpreise nicht nur wie vom Gesetzgeber vorgegeben um zwei, sondern sogar um drei Prozentpunkte. Dies koste Aldi einen dreistelligen Millionenbetrag, betonte das Unternehmen. Doch will der Konzern offenbar sein Preisimage stärken.

Und die Drogeriemarktkette Rossmann machte am Montag genau das Gleiche. «Die Mehrwertsteuersenkung soll für unsere Kunden klar und unkompliziert sein, daher gehen wir auf drei Prozent Rabatt und unterscheiden nicht zwischen dem Normal- und ermäßigten Steuersatz», sagt Raoul Roßmann, Geschäftsführer Einkauf und Marketing.

Auch Rewe will die Mehrwertsteuersenkung vollständig an die Kunden weitergeben, geht aber einen anderen Weg. Statt bei allen Produkten die Steuersenkung eins zu eins weiterzugeben wie viele Konkurrenten, senkt der Handelsriese lieber die Preise bei ausgewählten Produkten «deutlich und dauerhaft» und wirbt dafür mit dem Slogan «Mehr als die Mehrwertsteuersenkung sparen». Außerdem werde Rewe Woche für Woche zweistellige Preisnachlässe auf wichtige Warengruppen geben - in dieser Woche etwa einen 10-prozentigen Rabatt auf das Drogerie-Sortiment, kündigte ein Unternehmenssprecher an. Die Rewe-Discount-Tochter Penny gibt dagegen ab dem 1. Juli die Mehrwertsteuersenkung an der Kasse an die Kunden weiter.

Edeka und Netto senkten schon am Montag die Preise - allerdings nicht ganz so großzügig wie Aldi oder Rossmann. Für eine Vielzahl der Produkte runde die Supermarktkette die Verkaufspreise - nach Abzug der steuerlichen Vorteile - zugunsten der Kunden ab, erklärt Edeka und die Discount-Tochter Netto runde sogar alle Preise zugunsten der Kunden.

Abseits des Lebensmittelhandels verzichten dagegen viele Händler auf einen Frühstart und warten den 1. Juli ab. Das gilt etwa für Deutschlands größte Drogeriemarktkette dm und die Nummer eins im Schuhhandel Deichmann. Auch die Elektronikketten Media Markt und Saturn geben die Steuersenkung eins zu eins an die Kunden weiter.

Aufmerksam sein müssen die Kunden beim Shoppen bei Amazon. Ein Unternehmenssprecher betonte am Montag zwar: «Wir haben das Ziel, die Umsatzsteuerermäßigung vollständig an Kunden weiterzugeben. Bei den eigenen Angeboten von Amazon werden die Kunden von Einsparungen für Millionen von Produkten profitieren.» Doch wies er gleichzeitig darauf hin, dass die Verkäufer auf dem Amazon Marketplace individuell darüber entschieden, ob und wie sie den Preisnachlass weitergeben.

Der Online-Modehändler Zalando kündigte an, er werde die temporäre Steuersenkung «vollumfänglich an die Kundinnen und Kunden weitergeben».

Für den Handelsexperten Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn kommt es nicht überraschend, dass sich der Preiskampf im deutschen Handel ausgerechnet jetzt zuspitzt. Er warnte schon frühzeitig: «Die Mehrwertsteuersenkung erhöht die Gefahr eines Preiskrieges im Einzelhandel.» Denn sie biete den Händlern eine fast einzigartige Möglichkeit, sich zu profilieren.

Dass der Preis plötzlich besonders im Lebensmittelhandel wieder ein heißes Thema ist, hat aber nicht nur mit der Mehrwertsteuersenkung zu tun. «Die Händler rücken den Preis wieder stärker in den Vordergrund, weil sie damit rechnen, dass die Verbraucher aufgrund der wirtschaftlichen Verwerfungen beim Einkauf schon bald wieder stärker auf den Cent achten», erklärt Robert Kecskes von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK).

Eigentlich ist es kein Muss, dass Händler, Friseure, Handwerker oder Gastronomen die Mehrwertsteuersenkungen an die Kunden weitergeben. «Im Rahmen der üblichen Preisgestaltung steht es Unternehmen, Dienstleistern und Geschäftstreibenden frei, ihre Preise beizubehalten und dadurch ihre Gewinnspanne zu erhöhen», räumt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ein.

Bei einer Umfrage der Handelsberatung BBE, an der vorwiegend kleinere und mittlere Unternehmen abseits des Lebensmittelhandels teilnahmen, gab jeweils rund ein Fünftel der befragten Händler an, die Steuersenkung nicht oder nur teilweise an die Kunden weitergeben zu wollen. Ein weiteres Fünftel war noch unsicher über das weitere Vorgehen.

Grundsätzlich sei im Textil-, Sport- und Schuhhandel die Zurückhaltung am größten, die Mehrwertsteuersenkung vollständig weiterzugeben, berichtete die BBE. Der BBE-Experte Sebastian Deppe sieht allerdings große Risiken bei einem solchen Vorgehen. Denn die Kunden erwarteten beim Mehrwertsteuer-Thema Bewegung von den Händlern. «Die Gefahr ist sonst, dass die Leute sich betrogen fühlen», warnte er. dpa

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HINTERGRUND

Eine Senkung der Mehrwertsteuer soll die wegen der Corona-Pandemie und Kurzarbeit geschwächte Kaufkraft wieder stärken. Bis Jahresende fallen statt 19 nur noch 16 Prozent Mehrwertsteuer beim Einkauf an. Der ermäßigte Satz, der für viele Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs gilt, wird von 7 auf 5 Prozent reduziert.

Viele Supermärkte, Auto- und Möbelhäuser haben bereits angekündigt, die Ersparnis eins zu eins an ihre Kunden weiterzugeben - teils wurden bereits zum Wochenbeginn Preise gesenkt.

Die Opposition kritisierte die vorübergehende Steuersenkung trotzdem als weitgehend wirkungslos. Sie bedeute für den Einzelhandel einen «absurden bürokratischen Aufwand», zugleich spare ein durchschnittlicher Haushalt im Monat gerade einmal 30 Euro, sagte FDP-Fraktionsvize Christian Dürr. Linke und Grüne bezweifelten, dass die Ersparnisse wirklich beim Verbraucher ankommen. Sie sei eine gewagte, unkalkulierte Wette. Auch die AfD bezweifelte wirtschaftliche Impulse.

Zweiter großer Bestandteil des Konjunkturpakets ist ein Bonus von 300 Euro für jedes kindergeldberechtigte Kind. Die ersten 200 Euro sollen im September mit dem Kindergeld ausgezahlt werden, die restlichen 100 Euro im Oktober. Der Kinderbonus wird nicht auf die Grundsicherung angerechnet, bei Besserverdienern aber mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag verrechnet, so dass vor allem Familien mit weniger Geld profitieren.

Weitere Erleichterungen gibt es für Firmen, etwa durch geänderte Abschreibungsregeln. Außerdem sollen sie aktuelle krisenbedingte Verluste besser mit Gewinnen aus dem Vorjahr verrechnen können und so in der schwierigen Zeit mehr Geld in der Kasse haben.

Der Bund übernimmt den Großteil der Kosten für das Konjunkturpaket: Knapp 13 Milliarden Euro an Steuerausfällen entstehen durch die Senkung der Mehrwertsteuer, der Kinderbonus schlägt mit weiteren 5,4 Milliarden Euro zu Buche. Um das zu stemmen, will Finanzminister Olaf Scholz (SPD) noch einmal mehr Kredite aufnehmen. Inzwischen sind für 2020 Rekordschulden von 218,5 Milliarden Euro vorgesehen. Den zweiten Nachtragshaushalt soll der Bundestag noch in dieser Woche beschließen. dpa