Altmaier sagte mit Blick auf das Vorgehen in der Corona-Krise, er wolle nicht von einem Paradigmenwechsel sprechen. Die Strategie aber müsse angepasst und weiterentwickelt werden. Es gehe um eine Perspektive, die Mut mache.
Zwar sei der deutliche Rückgang bei der Zahl der Neuinfektionen zum Stillstand gekommen. Experten diskutierten darüber, ob und inwieweit eine neue Infektionswelle unterwegs sei. Auf der anderen Seite sei es ganz eindeutig so, dass «wir uns eine unveränderte Fortführung der Lockdown-Maßnahmen immer weniger leisten können».
Altmaier sagte weiter: «Es geht um die Substanz unserer Wirtschaft.» Viele Unternehmen seien innerhalb von zwölf Monaten nun schon seit insgesamt sechs Monaten geschlossen. Es gehe um eine Perspektive und um Planbarkeit. Gesundheitsschutz und vorsichtige, aber konsequente Öffnungen müssten miteinander verbunden werden.
Vor allem im Handel und in der Gastronomie war zuletzt der Ruf nach einem Ende des Lockdowns immer lauter geworden. Mehr als 40 Wirtschaftsverbände hatten Öffnungskonzepte an Altmaier übersandt.
Der wochenlange Lockdown mit der Schließung etwa der Gastronomie und vieler Einzelhandelsgeschäfte war zuletzt von Bund und Ländern noch einmal bis zum 7. März verlängert worden. Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder beraten am kommenden Mittwoch darüber, wie es weitergeht.
Der Wirtschaftsflügel von CDU und CSU forderte die Bundesregierung und die Regierungschefs der Länder auf, bei ihrem nächsten Treffen ein Öffnungskonzept zu präsentieren. Dreh- und Angelpunkt müsse ein Stufenplan sein, der transparent abbildet, wer wann und unter welchen Auflagen wieder öffnen darf, hieß es von der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT). Dieser Plan müsse mit passgenauen Testkonzepten und einer schnellen Impfkampagne begleitet werden. «Wir brauchen einen Stufenplan, der bundesweit gilt, aber regional umgesetzt wird», sagte der MIT-Bundesvorsitzende Carsten Linnemann.
Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) sprach sich für einen Strategiewechsel bei der Corona-Bekämpfung aus, «der noch im März zu Öffnungen führt». Pinkwart sagte, es gebe inzwischen Alternativen zum Lockdown: «Statt die Kontakte pauschal zu reduzieren, können wir uns über Tests Spielräume für die wirtschaftlich und sozial notwendigen Öffnungen erarbeiten.» Dafür werde aber dringend eine nationale Teststrategie und eine flächendeckend wirksame Nachverfolgbarkeit benötigt. Pinkwart ist Vorsitzender der Wirtschaftsministerkonferenz.
Im Zusammenspiel mit dem Nachweis von Tests, Impfungen und überstandenen Erkrankungen über Apps ermöglichten die Tests branchenübergreifende Öffnungen im Handel, bei Kultur- und Freizeiteinrichtungen und in der Gastronomie und Hotellerie, meinte Pinkwart. Zusätzliche Spielräume eröffneten außerdem die erweiterten digitalen Fähigkeiten der Gesundheitsämter, die in den vergangenen Wochen ihre Nachverfolgungstools erheblich verbessert hätten
In einer «Gesprächsgrundlage» des Bundeswirtschaftsministeriums für die Beratungen mit den Länderministern wird auf die schweren wirtschaftlichen Folgen des wochenlangen Lockwodns hingewiesen. Die lange Dauer des derzeitigen Lockdowns habe erhebliche Auswirkungen auf betroffene Unternehmen und führe teilweise zu einer «drastischen Verschärfung ihrer wirtschaftlichen Lage», heißt es in dem Papier, das der Deutschen Presse-Agentur vorlag.
Weiter heißt es: «Dies führt in vielen Fällen zu einer Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Existenz und zu der Gefahr eines längerfristigen Substanzverlustes der deutschen Volkswirtschaft: Arbeitsplatzverluste, Insolvenzen, weniger Ausbildungsplätze, rückläufige Zahl von Neugründungen, Attraktivitätsverlust vieler Innenstädte wären die Folge.»
Aus diesen Gründen hielten alle beteiligten Verbände eine «klare und planbare Perspektive» für die Öffnung der geschlossenen Unternehmen für notwendig. Alle Beteiligten seien sich einig, dass die Verfügbarkeit einer ausreichenden Zahl von Antigen-Schnelltests beziehungsweise von Selbsttests einen entscheidenden Beitrag zur Ermöglichung von Öffnungen leisten könne.
Mehrere Verbände weisen laut Papier ausdrücklich darauf hin, dass Aktivitäten bei gutem Wetter im Freien in der Regel mit einem deutlich geringeren Infektionsrisiko verbunden seien. «Daraus ergeben sich Öffnungsperspektiven für gastronomische Betriebe mit Außenbereich.»
Aus Sicht der Wirtschaft sei es wünschenswert, dass Bund und Länder gemeinsam bundesweite Kriterien festlegen, unter denen Öffnungen möglich werden, heißt es im Papier. «Nur so kann die Entstehung eines Flickenteppichs unterschiedlicher Strategien und Vorgehensweisen verhindert werden. Anderenfalls wären erhebliche Reibungsverluste und Verunsicherungen zu befürchten.» dpa
Aiwanger: Handel bis Mitte März und Tourismus bis Ostern öffnen
Vor den neuen Bund-Länder-Gesprächen zu den Corona-Maßnahmen dringt Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger auf eine rasche Öffnung von Einzelhandel und auch Tourismus. «Wenn es das Infektionsgeschehen irgendwo zulässt - und die jetzigen Zahlen lassen das in meinen Augen zu -, dann müssen wir in den nächsten Wochen bis spätestens Mitte März den Handel wieder öffnen», sagte der Freie-Wähler-Chef am Samstag auf einem Online-Sonder-Bundesparteitag.
Zudem müsse man «bis zu den Osterferien den Tourismus wieder flott machen». Gegebenenfalls mit Corona-Schnelltests müssten die Menschen dann wieder in Hotels, in Ferienwohnungen, in Biergärten im Freien gehen dürfen. «Wir müssen dafür sorgen, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Und deshalb lehnen wir auch eine weitere Verschärfung oder eine weitere blinde Fortführung des Lockdowns ab», betonte er.
Zudem forderte Aiwanger eine Lockerung der strikten Kontaktregeln. Der Mensch sei ein soziales Wesen, er dränge ins Freie, wolle sich mit anderen Menschen treffen - und das sei auch gut so. «Wir dürfen und wir sollen die Menschen nicht mehr länger in den Keller sperren, sondern wir müssen jetzt geordnete Öffnungsschritte wagen.»
Er forderte eine Perspektive für die Wirtschaft und eine Perspektive für die Gesellschaft. «Und die heißt nicht Dauer-Lockdown», sagte Aiwanger. Das bedeute, das «Merkel & Co.» nun nicht einfach wieder vier Wochen hinten dranhängen dürften.
Der Bund und die Länder beraten an diesem Mittwoch über mögliche Öffnungsschritte in der Pandemie. dpa
Müller: «Wir können nicht dauerhaft im Lockdown leben»
Für Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) kann eine No-Covid-Strategie nicht der einzige Maßstab bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie sein. «Wir können nicht dauerhaft im Lockdown leben», sagte Müller in einem Interview mit dem «Tagesspiegel» (Samstag). Öffnungen erst ab einer Inzidenz von zehn Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche wie von Wissenschaftlern gefordert, seien aus der Gesundheitsperspektive zwar das richtige Ziel, aber nur langfristig und sehr schwer zu erreichen. Dabei drohten fatale Folgen etwa Sozialen, Bildung und Wirtschaft.
«Ich möchte auch die Inzidenz von zehn erreichen! Die Frage ist: Will ich das im kompletten Lockdown erreichen oder versuchen, auf dem Weg dahin schon ein paar Dinge möglich zu machen?», sagte Müller. Er sehe sich eher auf dem zweiten Weg.
Seit einem Jahr würden die Bürger aufgefordert, die Einschränkungen mitzutragen, bis ein Impfstoff oder ein Medikament vorhanden sei. «Jetzt haben wir Impfstoffe, und wir müssen nun alle Kraft darauf verwenden, um damit die Gesundheit der Menschen zu schützen – durch Impfen und durch vermehrte Tests», sagte der SPD-Politiker.
Die erneut steigenden Infektionszahlen bereiteten ihm große Sorgen. Wegen dieser Gefahr vor allem durch die Mutanten müsse man vorsichtig bei möglichen Öffnungsschritten vorgehen. «Wir mussten lernen, dass das Virus viel schneller durchschlägt, die Infektionsketten rasant eskalieren und das Impfen noch dauert», sagte der Regierende Bürgermeister. dpa