Von Christiane Oelrich
Eine Kreditkartenbreite über dem Knie - kürzer dürfen die Röcke der Studentinnen an der renommierten Hotelfachhochschule EHL in Lausanne nicht sein. Studenten: Anzug, Hemd, Krawatte. Jeden Tag. Die älteste Hotelfachschule der Welt feiert ihren 125. Geburtstag, aber angestaubt finden die Studenten die Vorschriften nicht. "Es ist ein gutes Gefühl, sich jeden Tag schick anzuziehen", sagt Tobias Ehrlich (21) aus Fulda, der in Wien aufgewachsen ist. "Es gibt mir das Gefühl, etwas Relevantes zu tun. Und ich bin auch produktiver im Anzug."
Die EHL bildet Führungskräfte aus. Tausende Absolventen leiten und managen in aller Welt große Hotels, Consulting-Firmen und Abteilungen von Konzernen, die mit Hotellerie und Gastgewerbe zu tun haben. Aber zur Ausbildung gehört das Reinschnuppern in alle Hotelleriebereiche.
Alle der 3000 Studenten müssen während der vierjährigen Ausbildung mal Teller waschen, Küchen schrubben, kellnern, Schokolade herstellen, Suppe rühren, Schinken schneiden. "Wie soll man sonst später Teams anleiten können, wenn man nicht selbst weiß, wie es da zugeht", sagt Lara Monecke.
Die 19-jährige Deutsche ist in Venezuela aufgewachsen.
Es gibt Stipendien, aber viele ausländische Studenten müssen für die vierjährige Ausbildung 160 000 Franken (140 000 Euro) hinblättern, plus Unterbringung. Entsprechend sind zahlreiche Sprösslinge reicher Familien unter den Studenten. Für einige kommen Trainingseinsätze in Küche und Restaurant als Schock. "Einige sind es nicht gewohnt, zu putzen oder zu bedienen", sagt Meisterkoch Cyrille Lecossois, bei dem Studenten lernen, neue Rezepte zu kreieren. "Es kam auch schon mal einer zu spät und duzte mich dann lässig - das geht gar nicht. Hier lernen alle Respekt. Präzision. Pünktlichkeit. Ordentlichkeit."
Jeder muss mit schneeweißer und selbst gebügelter Schürze in sein Labor kommen. "Hier geht es nicht um Küchenfertigkeiten, sondern den Sinn für Innovation", sagt Lecossois. "Wenn du nicht selbst mit neuen Ideen kommst, macht es deine Konkurrenz." Lecossois treibt die Studenten aus den Niederlanden, Südkorea und Frankreich an, die hier ihre Kreationen ausprobieren: "Etwas mehr Tempo bitte, Leute!"
Audrey Gellet ist Pâtisserie-Chefin und macht mit einer andere Gruppe Schokolade. "Es geht nicht um die Fertigkeit selbst, aber um Teamarbeit und Führungsqualitäten", sagt sie. "Wer ist umsichtig, wer geht auf die anderen ein, wer sieht Probleme und findet Lösungen."
Schweiz und Spitzenhotellerie, das gehört seit 150 Jahren zusammen. "Schließlich wurde der Tourismus praktisch in der Schweiz erfunden", sagt Michel Ferla, Sprecher der EHL. Mit dem Ausbau der Eisenbahn kamen zuerst Engländer in die Alpen. Hoteliers merkten damals, dass sie keine einfachen Herbergen suchten. Sondern Luxus pur.
Einer, der das zur Vollendung trieb, war Cäsar Ritz, dessen Todestag sich am 25. Oktober zum 100. Mal jährt. Sein Grab liegt in seinem Heimatdorf Niederwald, in dem heute noch 45 Einwohner leben. Ritz wurde dort als 13. Kind einer Bauernfamilie geboren und war als Junge noch barfuß als Ziegenhirt unterwegs. Bei einer Kellnerlehre im Tal erwies er sich nicht als Naturtalent. "Aus dir wird nie ein rechter Hotelier", soll sein Chef ihn gescholten haben.
Doch Ritz ging nach Paris und Wien, studierte die Gepflogenheiten illustrer Gäste und hofierte sie dann mit großem Talent. "Der Kunde hat immer recht", war seine Maxime. Bald fragten Hotelbesitzer ihn um Rat, um ihre Häuser auf Vordermann zu bringen. Ritz sorgte für die ersten Zimmer mit eigenem Bad und entzückte Gäste mit seinem unerschöpflichen Krisenmanagement: Als in einem Grand Hotel einmal die Beleuchtung ausfiel, sorgte er mit einem Kerzenmeer für ganz besondere Stimmung. Beim Versagen der Heizung erhitzte er Steine am Feuer und füllte sie in kupferne Blumenkessel als Heizkörper.
1898 baute er sein erstes Hotel unter eigenem Namen am Place Vendôme in Paris. Es gehört bis heute zu den luxuriösesten Häusern der Welt. Prinzessin Diana verbrachte dort die letzten Stunden vor ihrem tödlichen Autounfall 1997. "Ritzy" wurde ein Begriff, mit dem Amerikaner bis heute Dinge von elegant bis stinkvornehm benennen.
Julia Kolb aus Lindau am Bodensee will nach der EHL-Ausbildung in die große Welt. Seit die 21-Jährige in Lausanne lernt, ist sie ein kritischer Hotelgast geworden: "Man hat mehr Verständnis, wenn mal etwas schief geht, aber weniger, wenn jemand nicht stets nett ist." Bei unangenehmen Gästen tief durchatmen - diese Lektion hat sie schon hinter sich. "Ruhe bewahren, lächeln." Gäste aus welchen Ländern besonders anstrengend sind, sagt sie nicht. Diskretion hat höchste Priorität bei den Hotelführungskräften von morgen. dpa