Craft Beer und Bier-Trends Interview mit Oliver Lemke

Interview mit Oliver Lemke über Reinheitsgebot, Craft-Beer und die Berliner Bier-Szene 

Was bedeutet Ihnen 500 Jahre Reinheitsgebot heute?

Ein Qualitätsversprechen, das historisch gewachsenes Kundenvertrauen erhält, indem es die heutige Bierproduktion in eine 500 Jahre alte Tradition stellt. Ein Qualitätsversprechen, das uns weitestgehend 'Skandale' erspart, indem es dafür sorgt, dass ausschließlich natürliche Inhaltsstoffe verwendet werden. Ein Qualitätsversprechen, das die Politik besänftigt, weil es aktiver Verbraucherschutz ist

Ist das Reinheitsgebot überhaupt noch modern und muss geändert werden?

Seit 1516 hat sich im Laufe der Jahrhunderte die jeweils aktuelle Gesetzgebung bzgl. der Herstellung von Bier im Detail oftmals geändert. All diese Gesetze und Verordnungen einschließlich der heute gültigen Gesetzgebung haben jedoch eines gemeinsam: Die Grundaussage von 1516, eine Beschränkung der Zutaten dergestalt, dass nur 'reine', soll heißen, nur natürliche Zutaten erlaubt sind. Was auch immer der Anlass für diese Gesetzgebung von 1516 gewesen sein mag - wann auch immer der glückliche Begriff Reinheitsgebot tatsächlich geprägt wurde ist dabei völlig unerheblich. Entscheidend ist, dass der Konsument bis zum heutigen Tag mit dem Begriff Reinheitsgebot ein Qualitätsversprechen verbindet dem die derzeitige Gesetzgebung voll entspricht. Ein derartiges historisch gewachsenes Kundenvertrauen ohne vorhandene Not in Frage zu stellen ist - vorsichtig gesagt - kontraproduktiv.

Warum wurde Craft Beer zum Trend?

Ich würde hier nicht von einem Trend sprechen, denn ein Trend hat eine begrenzte Lebensdauer. Craft Beer ist vielmehr schon eine Rückkehr zur 'Normalität' - kleine und mittelständische Betriebe brauen in klassisch handwerklicher Weise vielfältige Biere für regionale Märkte. Über die Ausrichtung der Produkte entscheiden dabei die Brauer gemäß geschmacklicher Präferenzen und nicht die Betriebswirte anhand von Zahlen. So war es über viele Jahrhunderte. Nach der Entwicklung der letzten Jahrzehnte hin zu austauschbaren massenkompatiblen hellen Lagerbieren, produziert von international tätigen Riesenbrauern ist es nur logisch, dass irgendwann Produkte nachgefragt werden würden, welche die Wünsche jenseits dieser massenkompatiblen Biere befriedigen. Wie auch in anderen Märkten wird sich neben dem Massenmarkt dieses Marktsegment dauerhaft etablieren.

Was ist das Typische für die Berliner Bier-Szene?

Ist sie anders/größer als in anderen Städten (auch weltweit)? Im internationalen Vergleich ist die Berliner Craft Szene sehr überschaubar. In Deutschland erscheint sie, gemessen an der Anzahl der Marken relativ groß, gemessen an der Anzahl tatsächlicher Brauereien ist sie jedoch eher übersichtlich. Tatsächlich werden die meisten Berliner Biere (Flasche) außerhalb der Hauptstadt im sogenannten Lohnbrauverfahren hergestellt und abgefüllt. In Berlin kann man meiner Meinung nach eine zweigeteilte Entwicklung beobachten. Während die einen versuchen, der ursprünglichen Idee der Craft Bewegung zu folgen - die u.a. den Geschmack der Biere sowie klassische Herstellungsmethoden im Focus hatte, steht für andere Craft Beer Marken das Marketing ihres Geschäfts im Vordergrund. Groß gegen klein und gegen das Reinheitsgebot oder auch um jeden Preis anders zu sein.

Wird Craft Beer den großen Bier-Produzenten Marktanteile abnehmen?

Langfristig sicherlich schon, da die Craft Beer Konsumenten nicht nur, aber auch aus dem Kreis der 'Massenbiertrinker' kommen werden. Am Ende werden jedoch auch die 'großen Brauer' profitieren, da die durch Craft angestoßene höhere Wertigkeit des Produktes Bier auch ihnen zu gute kommen wird und sie so höhere Margen erzielen können. Außerdem werden es einige der Großen verstehen, mit guten Produkten 'auf den Craft Zug aufzuspringen'

Sehen Sie einen weiteren Bier-Trend?

Wenn auch Craft an sich keinen Trend darstellt (s.o.), so unterliegen die nachgefragten Bierstile sehr wohl Trends. Derzeit sind hopfenintensive Biere mit Fruchtaromatik (IPA-Familie) sicherlich noch der Haupttrend, da sie sich sehr deutlich von den gelernten Fernsehbieren unterscheiden und somit den Craft Novizen unter den Konsumenten am ehesten 'Erweckungserlebnisse' bescheren. Mit fortschreitender 'Bierbildung' der Konsumenten werden diese jedoch auch andere Bierstile für sich entdecken. Eines schönen Tages werden sie sich auch über ein gut gemachtes Pils freuen können, auch wenn ihnen dieser Bierstil derzeit als völlig langweilig und nicht zum Craft Thema passend vorkommt.