Danzig zur Europameisterschaft 2012

Von Michael Zehender

Freitagabend kurz vor sechs: In wenigen Minuten wird die Partie zwischen Widzew Lodz und Lechia Danzig angepfiffen. Doch von Fußball-Stimmung ist in der Innenstadt von Danzig (Gdansk) nichts zu spüren. «Es gibt da eine Fußball-Kneipe irgendwo in einer Seitenstraße», weiß ein Einheimischer. «Zweimal rechts, dann links», weist er den Weg. Doch in der beschriebenen Bar sitzen nur eine Handvoll Gäste. Sie widmen sich ihrem Abendessen. Nirgends läuft ein Fernseher, auf dem das Spiel übertragen wird. Aus einem Radio dudelt Popmusik.

«Fußball ist hier zwar Sportart Nummer 1, aber so richtig Stimmung kommt nur bei Großereignissen auf», erklärt Andreas Kasperski, der seit vielen Jahren Touristen durch seine Heimatstadt führt. Im Juni, wenn Europas beste Mannschaften in Polen und der Ukraine ihren Meister ermitteln, können die Danziger beweisen, wie fußballverrückt sie wirklich sind. Drei Vorrundenspiele und ein Viertelfinale werden in Danzig ausgetragen.

Das schönste EM-Stadion haben sie schon. Nein, das sagt nicht etwa ein Danziger, sondern Jan Wawrzyniak, Direktor des Polnischen Fremdenverkehrsamtes in Berlin. Wie ein überdimensionaler Bernstein, etwas achtlos in eine Betonwüste geworfen, wirkt es aus der Ferne, die Metallkonstruktion erinnert an die Kräne der berühmten Werft, das Dach an die Wellen des Meeres. «Das Stadion ist eng mit der Geschichte der Stadt verknüpft», sagt Andreas Kasperski, «es könnte wohl in keiner anderen Stadt stehen».

Wo heute das Stadion steht, gab es früher nur eine Müllkippe und verlassene Kleingärten. Rings um das Stadion ist noch vieles Baustelle. Eigentlich könnte man auch sagen, die ganze Stadt ist eine einzige Baustelle. Das beginnt schon am Flughafen, wo der Weg vom Flieger zum Gepäckband über eine provisorische Hintertür führt, ein Pappschild weist den Weg für «Schengen-Passagiere». Rechtzeitig zur Fußball-EM wird das neue Terminal jedoch fertig, verspricht Danzigs EM-Koordinator Michal Brand.

Mit Baustellen kennt sich Danzig aus leidvoller historischer Erfahrung aus. 1945 wurde die Stadt bei den Kämpfen zwischen Deutschen und Russen in Schutt und Asche gelegt. 90 Prozent des Stadtzentrums waren zerstört. Wie kaum eine andere Stadt war Danzig in den deutsch-polnischen Nationalitätenkonflikt verstrickt. Mit den Schüssen auf die Westerplatte begann hier der Zweite Weltkrieg. In jahrzehntelanger Arbeit haben die Danziger viele der historischen Häuser wieder errichtet. «Im Grunde ist alles, was man heute sieht, Attrappe», erklärt Kasperski. Und noch immer gibt es Ruinen und Baulücken.

Die nächste Riesenbaustelle steht bereits ins Haus: Auf einem Teil der Danziger Werft, wo der politische Umbruch mit der Solidarnosc-Bewegung seinen Ursprung nahm, soll ein neues Stadtviertel entstehen. Wo früher 16 000 Menschen arbeiteten, sind heute bei einer ukrainischen Werft gerade noch 2200 beschäftigt. Dafür haben sich Künstler angesiedelt, in einer heruntergekommenen Lagerhalle hat ein angesagter Club eröffnet. Eigentlich sollten die Bagger bereits längst angerollt sein, doch die Wirtschaftskrise machte den Planungen einen Strich durch die Rechnung.

Am Langen Markt im Zentrum von Danzig mit seinen herrlich herausgeputzten Patrizierhäusern ist von den Baustellen nicht viel zu sehen. Lediglich der berühmte Neptunbrunnen wird gerade noch saniert. Zur EM wird hier das Herz der Stadt schlagen - auch wenn die offizielle Public-Viewing-Arena auf dem Platz Zebran Ludowych in der Nähe des Bahnhofs eingerichtet wird. «Wir rechnen mit rund 170 000 Fußballfans in der Stadt», erklärt EM-Koordinator Brand.

Obwohl die deutsche Mannschaft zu den Vorrundenspielen in die Ukraine muss - erst im Viertelfinale könnte es nach Danzig gehen - hat sich das Team schon lange vor der Auslosung die ehemalige Hansestadt als Mannschaftsquartier ausgesucht. Abgeschieden hinter einem kleinen Waldstück liegt das Hotel «Dwor Oliwski», ein paar Kilometer außerhalb des Zentrums. Vor der Parkanlage rauscht ein Bach - die Idylle ist perfekt, eigens zum Training wurde ein kleiner Fußballplatz errichtet.

Nicht weit vom Mannschaftshotel der Deutschen entfernt und mit der S-Bahn nur rund 20 Minuten vom Danziger Zentrum entfernt, liegt der Badeort Zoppot (Sopot), die Partyhochburg der Region. Zur EM hat sich die Stadt mit einem neuen Kurhaus herausgeputzt. Direkt nebenan werden die Iren ihr Quartier in einem Nobelhotel aufschlagen. Bis zur berühmten Seebrücke ist es von dort nur ein Steinwurf. «Ich liebe Danzig, aber hin und wieder musst du einfach nach Zoppot kommen», sagt Andreas Kasperski. dpa

Die Europameisterschaft in:

Posen

Warschau

Breslau

Reise nach Danzig

Anreise: Die Anreise nach Danzig, polnisch Gdansk, erfolgt von Deutschland aus am besten mit dem Flugzeug. Rechtzeitig zur EM wird die Anzahl der Verbindungen aufgestockt. Unter anderem gibt es Verbindungen nach Frankfurt/Main, München und Berlin. Ab Juni gibt es zudem eine direkte Zugverbindung von Berlin nach Danzig. Die Fahrt dauert rund sieben Stunden.

Übernachtung: Zwar gibt es in der Stadt sowie in der Umgebung eine Vielzahl an Hotels, doch zu den Spielen sind bereits fast alle Zimmer ausgebucht. Wer mit etwas niedrigerem Standard zufrieden ist, kann noch auf der Pferderennbahn ein Platz im Zelt ergattern. Dort wird ein Fancamp errichtet.

Diese Spiele finden in Danzig statt: Am 10. Juni tritt Spanien gegen Italien an, am 14. Juni spielt Spanien gegen Irland, am 18. Juni Kroatien gehen Spanien. Außerdem wird das Viertelfinale am 22. Juni in Danzig ausgetragen, in dem Deutschland spielen würde, sofern die Mannschaft von Joachim Löw Gruppensieger wird.

Highlights: Danzig ist vor allem für seinen Bernstein bekannt. Neben dem Bernsteinmuseum im Vortorkomplex sei Bernsteinfans ein Besuch der Brigittenkirche empfohlen. Dort gibt es eine Bernsteinmonstranz zu sehen. Daneben gibt es zahlreiche Bernsteinmanufakturen. Literaturinteressierte können auf den Spuren von Günter Grass wandeln, der in Danzig geboren wurde.

Informationen: Polnisches Fremdenverkehrsamt, Kurfürstendamm 71, 10709 Berlin, Tel: 030/210 09 20, polen.travel