Das Sterben der irischen Pubs

Gerry Mellet ist ein Wirt vom alten Schlag. Einer von der Sorte, deren Wort noch gilt im Pub. Wenn sich die Männer an der Bar nicht darüber einigen können, wie genau die Golf-Regeln beim Ryder Cup auszulegen sind, dann wird zum Schluss eben Gerry gefragt. Seit 32 Jahren steht der 55-Jährige hinter dem Tresen, wie viel Gläser «Guinness» er aus dem Zapfhahn gelassen hat, weiß er nicht. Er weiß nur eines: «So schlecht wie jetzt ging es den Pubs in Irland noch nie.»

Rund 7000 Pubs versorgen in Irland ihre Gäste mit Lebenswichtigem wie «Guinness», Kartoffelchips und den neuesten Neuigkeiten. In ländlichen Gegenden sind sie nicht nur Gaststätte, sondern auch eine Art soziale Einrichtung. «Für die Iren war es früher einfach völlig normal, jeden Tag für ein paar Drinks ins Pub zu gehen», sagt Mellett. So gibt es etwa im 2000-Einwohner Nest Tullow noch heute 13 Pubs. Für schlechte Zeiten wie diese einfach zu viel.

«Jedes Jahr machen 300 bis 400 Pubs in Irland zu», sagt Mellett, der auch Vorsitzender der Vereinigung irischer Land-Pubs ist. Der Umsatz ging im vergangenen Jahr um 14,1 Prozent zurück, ergänzt der Präsident des Verbandes der irischen Getränke-Industrie, Kieran Tobin. Im Jahr davor ging es bereits um fast neun Prozent nach unten. Das Vertrauen der Verbraucher in die Wirtschaft sei nun einmal «massiv zurückgegangen».

Statt ihr Geld ins Pub zu tragen, legen die Iren es deshalb lieber auf die hohe Kante. Fast im Gleichschritt mit der Arbeitslosenquote ist in Irland in den vergangenen beiden Jahren der Wirtschaftskrise auch die Sparrate nach oben geschossen - von zwei bis drei auf zwölf Prozent. Die Iren haben Angst. Dass schon die Arbeitsvermittler aus Australien und Neuseeland in Dublins Straßen stehen und verängstigte Iren zum Auswandern überreden wollen, macht die Situation auch nicht gerade besser.

So schlimm wie Mitte des 19. Jahrhunderts, als eine Million Iren nach mehreren Kartoffel-Missernten am Hunger starben und eine weitere Million aus Not außer Landes ging, ist es aber lange noch nicht. Obwohl Irland seine Banken mit bis zu 50 Milliarden Euro stützen muss, obwohl das Haushaltsdefizit mit 32 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein fast schwindelerregendes Rekordniveau erreicht hat: Die grüne Insel ist nach wie vor ein Hochpreisland.

Ein Pint «Guinness» kostet im Pub - etwa in Dublins Ausgehviertel Temple Bar - immer noch locker fünf Euro, einen Döner gibt es kaum unter 7,50 Euro und für einen Tag im Parkhaus muss der Kunde schlappe 50 Euro in den Automaten schieben. Hunderttausende Iren weichen zum Einkaufen schon ins benachbarte Nordirland aus, wo sie vom derzeit gerade günstigen Kurs des britischen Pfundes profitieren. Nicht nur deshalb sagt etwa der Wirtschaftswissenschaftler und Publizist Marc Coleman recht gelassen: «Die Krise wird ein bisschen überbewertet. Wir schaffen das schon.»

«Publican» Gerry Mellett macht die Regierung des umstrittenen Ministerpräsidenten Brian Cowen für den Niedergang seiner Branche mitverantwortlich. Die Promillegrenze sei von 1,00 zunächst auf 0,8 Promille und jetzt auf 0,5 Promille gesenkt worden. «Hier auf dem Land ein Taxi zu bekommen, ist ein ernsthaftes Problem», sagt Mellett. Und 80 Prozent seines Umsatzes macht er mit Bier.

Das staatlich verordnete Rauchverbot vergrault zusätzlich Gäste. Eine halbe Million Euro hat Mellett in den vergangenen zehn Jahren in sein «Ardattin Inn» in einem 200-Seelen-Dorf, 90 Autominuten von Dublin entfernt, investiert: Neue Theke, neue Küche, neue Einrichtung. «In der gleichen Zeit ist der Umsatz um 40 Prozent zurückgegangen», klagt er.

Für Gerry Mellet gibt es nur eine Lösung: «Wir müssen die jungen Leute wieder ins Pub holen, sonst geht eine Kultur verloren.» Derzeit ziehe es die Jugend weg von den Kneipen. «Die jungen Leute kaufen sich den Alkohol lieber im Supermarkt, dort ist er viel billiger», klagt Mellet. «Die Preislücke ist viel zu groß.»

Tatsächlich sind die Umsätze mit Alkohol außerhalb der Gaststätten im vergangenen Jahr um 6,4 Prozent gestiegen, sagt Kieran Tobin. Auf Musik-Events, Quizabende, hochwertige Speisen und guten Wein zu setzen - für Mellet sind das mögliche Auswege aus der Krise. Eines steht für ihn jedenfalls nach 32 Jahren hinter dem Tresen fest: «Wir werden weitermachen - was anderes haben wir nicht gelernt.» (Michael Donhauser, dpa)