Von Peter Zschunke
Die ersten Weine des 2018er Jahrgangs sind im Stahltank und gären. "Wenn ich eine gute Temperatursteuerung habe, ist das sehr hilfreich", sagt die rheinhessische Winzerin Hanneke Schönhals. "Die Digitalisierung hilft mir im Keller ebenso wie im Weinberg."
Bereits Ende August habe sie die Weißburgunder-Trauben gekostet und sich für eine Vorlese entschieden, um noch mehr Säure zu erhalten. "Das hätte uns keine Digitalisierung der Welt sagen können", lacht die Winzerin aus Biebelnheim (Kreis Alzey-Worms). Jetzt ist der Most am Gären, möglichst langsam bei 17 bis 18 Grad.
Eine langsamere Gärung ist aromaschonender, weil dann weniger Aromastoffe mit dem Kohlendioxid herausgerissen werden. "Das ist wie in der Küche", vergleicht Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. "Wenn es gut riecht, ist das nicht gut fürs Essen, weil die Aromen, die man riecht, nicht mehr im Essen sind."
Die temperaturgesteuerte Gärung habe vor etwa 25 Jahren Einzug gehalten in der deutschen Weinwirtschaft und die Qualitäten seitdem deutlich vorangebracht, sagt Büscher. Dabei könne die Digitalisierung die Steuerung der drei Phasen im Gärprozess unterstützen: Am Anfang muss der Most noch ein bisschen wärmer sein, damit die Gärung in Gang kommt. Dann wird die Gärung mit einer Senkung der Temperatur etwas heruntergefahren. Damit der Zucker vollständig vergoren, also in Alkohol umgewandelt wird, kann die Temperatur zum Schluss noch einmal leicht gesteigert werden.
Digitalisierung im Weinbau erfasst alle Stufen, vom Anbau der Reben bis zur Vermarktung. Der "Weinbau 4.0" wird Anfang November ein Schwerpunktthema der Fachmesse Intervitis in Stuttgart sein. "Erst die Verfügbarkeit digitaler Daten erlaubt ihre Zusammenführung, die automatische Auswertung mit klugen Algorithmen und vor allem die sofortige Weiterleitung an den Akteur in Weinberg, Keller, Vertrieb und Management", erklärt der Leiter des Instituts für Weinbau und Oenologie in Neustadt an der Weinstraße, Ulrich Fischer.
Im Keller kommt es darauf an, Gärung und Reife des Weins mit Blick auf die angestrebte Qualität zu steuern und möglichst viele Parameter zu messen. Besucher aus den USA oder Neuseeland seien oft erstaunt, wie wenig in Deutschland gemessen werde, wie sehr allein auf Erfahrung vertraut werde, sagt Fischer. "Diesen Blindflug im Keller wollen wir vermeiden."
Das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR), zu dem Fischers Institut gehört, rät den Winzern, nach dem Keltern die Moste untersuchen zu lassen. In der pfälzischen Winzergenossenschaft Weinbiet Manufaktur wird dafür die "GrapeScan"-Technik genutzt: Dieses etwa ein Meter breite Gerät leitet eine Mostprobe über ein Schlauchsystem vor eine Linse. Mit Hilfe der Infrarot-Spektroskopie werde jede Traubenanlieferung der Genossenschaftsmitglieder auf 15 Parameter überprüft, sagt Geschäftsführer Bastian Klohr.
Besonderes Augenmerk gilt dem ph-Wert als Gradmesser für die Säure. Er bestimmt, welche Mikro-Organismen sich in einem Most entwickeln und dann die Gärung beeinflussen. Wenn er wie in diesem Jahr eher zu hoch ist, kann der pH-Wert mit der Zugabe von Säure gezielt abgesenkt werden.
Schon im August hat Weinbauminister Volker Wissing die Säuerung zugelassen. In den nördlichen Anbaugebieten Europas ist dies normalerweise nicht erlaubt. Bei außergewöhnlichen Witterungsbedingungen können die Länder die Säuerung aber ermöglichen. "Der Klimawandel führt zu einer neuen Situation", erklärt Fischer. Und dafür gebe es sowohl im Weinberg als auch im Keller kaum Erfahrungswerte. "Umso mehr müssen wir messen und schauen, wie sich die Traubenmoste verändern, welche neuen Mikro-Organismen auftreten."
"Der Gärfortschritt wird dann nicht mehr im Büchlein des Kellermeisters festgehalten, sondern über Beamer oder eine App dargestellt, so dass ich permanent mitbekomme, wie meine Tanks am Gären sind", fügt der Experte hinzu. So kann auch frühzeitig erkannt werden, wenn die Gärung abbricht. "Dann greifen wir ein, indem wir die Temperatur anheben, um die Hefe zu unterstützen und zum Durchgären zu bringen", erklärt Fischer.
Früher seien Gärungen oft hängen geblieben. Die Weine mit viel Restsüße - also noch nicht in Alkohol umgewandelten Zucker - seien dann als liebliche Weine verkauft worden. "Diese Freiheiten haben wir heute nicht mehr, weil wir uns an den Bedürfnissen der Märkte ausrichten müssen."
Vor allem größere Betriebe wie Winzergenossenschaften nutzen bereits eine automatisierte Gärsteuerung. Steigt die Temperatur im Tank zu hoch, springt die Kühlung an.
"Der Kellermeister könnte dann eigentlich von Honolulu aus arbeiten", scherzt Klohr. "Er weiß, was gerade im Tank stattfindet." Aber es sei während der Gärung weiterhin nötig, jeden Tag zu kosten, wie sich der Wein entwickle. "Die digitale Unterstützung ist eine wertvolle Ergänzung", erklärt der Geschäftsführer der Genossenschaft in Neustadt an der Weinstraße. "Aber die Erfahrung des Kellermeisters kann durch nichts ersetzt werden."
So geht auch Hanneke Schönhals jetzt jeden Tag in den Keller und kostet, wie weit die Gärung ist. "Bei einem lebendigen Produkt kann ich mich nicht auf eine hundertprozentige Digitalisierung verlassen." dpa