Von Sabine Glaubitz
Durch Lille muss man mit der Nase nach oben flanieren. «Le nez en l'air», wie in dem kleinen Stadtführer auf Französisch steht. Übertrieben haben die Autoren damit nicht. Im historischen Zentrum der Stadt steht ein barockes Haus im flämischen Baustil neben dem anderen. Nicht nur Fußball-Fans, die zur EM nach Lille kommen, können über die Architektur staunen.
Kunstvoll verzierte Mittelgiebel und religiöse Skulpturen schmücken die Fassaden aus dem 17. Jahrhundert. Damals gehörte die Stadt an der Grenze zu Belgien noch zu Flandern. Lille wurde 1667 französisch, doch trägt heute noch den Beinamen «Hauptstadt von Flandern».
Egal ob man im Bahnhof Lille-Flandres aus dem 19. Jahrhundert ankommt oder am modernen Lille-Europe, wo die Hochgeschwindigkeitszüge einlaufen - das Herz der Stadt, der Grand Place, ist in weniger als zehn Minuten zu Fuß zu erreichen. Seit der Befreiung von Lille durch die Alliierten im Jahr 1944 trägt der Platz den Namen des Politikers und Generals Charles de Gaulle. Der Sohn der Stadt führte den Widerstand des Freien Frankreichs gegen die deutsche Besatzung an und war von 1959 bis 1969 Frankreichs Staatschefs. Doch in Lille trifft man sich nur auf dem Grand Place.
Bevor Lille französisch wurde, war die Stadt flämisch, burgundisch und spanisch. Handelsstadt seit ihrem Entstehen im Mittelalter, Festungsstadt unter Sonnenkönig Ludwig XIV., industrielle Hochburg im 19. Jahrhundert: Lille spiegelt ein einzigartiges architektonisches Kulturerbe wider.
Auf dem Grand Place rivalisieren die verschiedenen Stile und Epochen am stärksten miteinander. Neben dem neoklassizistischen Opernhaus von Louis Cordonnier besticht vor allem «La Vieille Bourse», die Alte Börse. Sie besteht aus 24 kleinen Handelshäusern und entstand zwischen 1652 und 1653, als die Stadt noch spanisch war.
La Grand Place im Herzen von Lille gilt neben dem Stanislas-Platz im lothringischen Nancy als einer der schönsten Plätze Frankreichs. Von hier aus geht es in die Rue de Béthune, die geradewegs zum Palais des Beaux-Arts führt. Das Prachtmuseum aus dem 19. Jahrhundert ist mit mehr als 60 000 Werken das größte Museum außerhalb von Paris. Seinen Titel als Kulturhauptstadt Europas hat Lille 2004 erfolgreich verteidigt - mit zwölf «Maisons Folies», früheren Fabrikhallen und Brauereien, sowie einem Postgebäude, die alle zu Kunst- und Kulturzentren umfunktioniert wurden.
«Le Barbier qui fume», «Le Barbue d'Anvers» oder «Au Vieux de la Vieille»: Das sind die Namen von Estaminets, traditionellen Gaststätten, die die flämische Kultur und die regionale Küche verkörpern. Sie haben in der Altstadt in dem Gewirr aus Gassen und Passagen ihre Adresse, auch die Patisserie Méert in der Rue Esquermoise. Seit Jahrhunderten werden hier die platt gedrückten Gaufres hergestellt. De Gaulle mochte die Waffeln am liebsten mit Buttercreme und Madagaskar-Vanille gefüllt.
Die nächste Spezialität ist mehr oder weniger herb und gleitet mit einem Malzgeschmack den Gaumen hinunter: das Bier «Ch'ti». Es floss 2008 literweise in der Erfolgskomödie «Willkommen bei den Sch'tis». Gebraut wird es seit 1979 in der Brasserie Castelain in Bénifontaine.
Im wenige Kilometer von Lille entfernten Lens hat vor rund drei Jahren der Pariser Louvre seine Zweigstelle eröffnet. Das rund 150 Millionen Euro teure Museum besteht aus mehreren rechteckigen Kuben. Der flache Neubau aus Glas und poliertem Aluminium erstreckt sich auf einem ehemaligen Bergwerksgelände. Die Dauerausstellung in der Zeitgalerie schleust in einem beeindruckenden «Open-Space» kostenlos durch mehr als 4000 Jahre Kunstgeschichte.
Das alte Zechengelände, auf dem der Louvre-Lens steht, hat es 2012 auf die Weltkulturerbe-Liste der Unesco geschafft. Das gut erhaltene Bergwerk 11/19 gehört zu den Zeugen jener Zeit, in der die Stadt Zentrum des Kohlebergbaus war. Heute beherbergt es ein Kulturzentrum.
In dem 13 Kilometer von Lille entfernten Roubaix liegt «La Piscine». Mit seinen Skulpturen um das Wasserbecken und seinen Malereien in den Umkleidekabinen gehört das ehemalige Schwimmbad zu den schönsten Kunsttempeln der Region Nord-Pas-de-Calais. Auch wenn Lille der offizielle Austragungsort für die Begegnung Deutschland gegen Ukraine ist, gespielt wird im nahegelegenen Villeneuve-d'Ascq.
Vom modernen Stade Pierre-Mauroy ist es nicht weit zum Kunstmuseum «LAM», das neben Werken von Pablo Picasso, Joan Miro und Alexander Calder die größte Sammlung für Outsider-Art in Frankreich besitzt. Wer nach Lille fährt, sollte Zeit mitbringen. dpa
Reise nach Lille
Anreise: Mit dem Thalys bis Brussel-Zuid/Bruxelles-Midi (Brüssel) oder Liège-Guillemins (Lüttich), von dort weiter nach Lille. Mit dem Auto von Köln über Aachen Richtung Lüttich, Brüssel und Namur. Die Strecke bis Lille beträgt rund 330 Kilometer.
Übernachtung: Hotels mit Standardausstattung und Frühstück sind zwischen 90 und 150 Euro pro Nacht zu bekommen.
Informationen: Atout France - Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 100128, 60001 Frankfurt (E-Mail: info@rendezvouzenfrance.com, www.rendezvousenfrance.com) Internet: www.lilletourism.com