Emilia-Romagna bietet Geheimtipps für Genießer

Von Bernhard Krieger

Marco Montanari war schon oft mit seinem Leichtflugzeug über Italien geflogen. Über von Zypressen gesäumte Hügel, im Abendlicht aufglühende Sonnenblumenfelder, unendliche Weingärten, herrschaftliche Palazzi und mittelalterliche Städtchen. Ein Flug aber ließ den in der Toskana sesshaft gewordenen Aussteiger zum zweiten Mal die Koffer packen: 2002 drehte er eine Runde über eine verfallende Villa auf einem verwegenen Kalksteinfelsen bei Brisighella, und da war es um ihn geschehen. «Ich habe mich sofort verliebt», sagt der Schweizer.

Brisighella und sein wildromantisches Umland am östlichen Ausläufer des Apennin haben viel von der Toskana - nur eins noch nicht: die Kehrseite des Ruhms. Es gibt keine Touristenmassen, keine mittelmäßigen Restaurants mit schwindelerregenden Preisen, keine überteuerten Edel-Herbergen und noch keine Amerikaner, Engländer und Deutsche, die jeden Steinhaufen aufkaufen, um ihn mit Millionen-Investitionen in noble «Rustici» zu verwandeln.

In den vergangenen Jahrzehnten haben zig Millionen Nordeuropäer und Amerikaner ihre Italien-Sehnsucht in der Toskana gestillt und damit Stück für Stück ein verzerrtes Idealbild geschaffen. Der Westen des Apennin beeindruckt mit touristischer Perfektion. Die Emilia-Romagna-Seite rund um Brisighella dagegen ist unverfälscht, manchmal ein wenig spröde und ein bisschen verschlafen.

Dabei ist Florenz gerade mal 88 Kilometer oder gut eineinhalb Stunden mit dem Zug entfernt. Die Genießer- und Kunstmetropole Bologna ist ebenso nur eine Autostunde entfernt wie die endlosen Adria-Strände und die quirlige Hafenstadt Ravenna. Dort gibt es neben dem Grabmal von Italiens berühmtem Renaissance-Dichter, Dante Alighieri, in der «Basilica San Apolinare Nuovo» die größten noch erhalten Mosaiken der Antike zu bestaunen. Im Sommer ist das vor allem bei den nächtlichen Führungen ein unvergessliches Erlebnis.

In den großen Städten und am Meer tobt das Leben, in Brisighella aber spazieren selbst in der Hochsaison nur wenige Touristen durch das «Centro storico» mit seinem weltweit einzigartigen Bogengang, der die bunt getünchten Palazzi im ersten Stock miteinander verbindet. Einst als Verteidigungsgang angelegt, nutzten die Einwohner die «Antica Via degli Asini» später als Zugang zu ihren Ställen.

Über diesen «Eselsweg» gelangt man noch heute durch das steil ansteigende Gassengewirr hinauf zu drei imposanten Kreidefelsen, die das 8000-Seelen-Städtchen einrahmen. Auf dem ersten thront die Wallfahrtskirche «Monticino» aus dem 18. Jahrhundert, auf dem zweiten die 600 Jahre alte Festung «Manfrediana und Veneziana» und auf dem dritten ein etwas missratener Uhrenturm aus dem 19. Jahrhundert.

Auf der Dreifelsen-Wanderung mit Blick auf das grüne Lamonetal begegnet man nur selten ausländischen Touristen. Auch auf der romantischen Garten-Terrasse des Restaurants «Infinito» hoch über der Altstadt zwischen Festung und Uhrenturm sitzen abends bei Kerzenlicht vor allem Italiener, die Brisighella vor allem wegen seines berühmten Olivenöls kennen.

Die erste Olivenöl-Mühle bauten die Römer hier schon im zweiten Jahrhundert nach Christus, wo heute die romanische Kirche «Pieve del Tho'» von riesigen Oleanderbüschen geschmückt steht. Nicht weit davon entfernt liegt die Genossenschaft an der alten Handelsstraße von Florenz Richtung Faenza, das für seine Keramik weltbekannt wurde. Die besten Oliven werden von den Bauern der Genossenschaft handgelesen. Mit Hilfe einer besonders aromaschonenden Methode wird das pfeffrig-scharfe Top-Öl «Brisighello» gewonnen.

Dass es neben den herausragenden Olivenölen in der Region mittlerweile auch grandiose Weine gibt, ist unermüdlichen Pionieren wie Marco Montanari von der Villa Liverzano zu verdanken. Er und eine Handvoll anderer Winzer setzen seit einigen Jahren auf Klasse statt Masse und produzieren auf besonderen Terroirs in etwas höheren Lagen Sangiovese-Weine. Sie können es mittlerweile locker mit ihren berühmten Brüdern in der Toskana aufnehmen, kosten aber ebenso wie das Essen in den Top-Trattorien «La Casetta» und «La Cavallina» in Brisghella nicht einmal die Hälfte.

«Don» heißt sein wuchtiger, in Barrique-Fässern ausgebauter, aber zugleich vielschichtiger Top-Wein. Marco produziert ihn zusammen mit Horst, dem Lebensgefährten seiner Schwester, mit viel Handarbeit im Weinberg. Chemie kommt den beiden nicht auf die Reben. Das Unkraut bekämpfen sie in lieber mit der Hand. Der Zweitwein des Boutique-Weinguts mit gerade mal 12 500 Flaschen pro Jahr trägt den vielsagenden Namen «Rebello» - ein Wein, so mitreißend wie der 60-Jährige Winzer selbst.

Der Zahnarzt aus Baden bei Zürich war immer schon umtriebig. Er half bei der Organisation Ärzte ohne Grenzen in Krisengebieten, bereitete sich auf eine Weltumseglung vor und träumte vom Auswandern ins Chianti. Anders als viele Träumer ging Marco aber wirklich, kaufte einen verfallenen Weiler bei Radda und baute ihn in jahrelanger Kleinarbeit wieder auf. Nebenher begann er Wein zu machen, holte sich einen Top-Önologen und brachte es mit seinem «Chianti Classico Livernano» 1999 zur höchsten Auszeichnung «Tre Bichieri» (Drei Gläser) in der italienischen Weinbibel «Gambero Rosso».

Mit der Zeit wurde ihm die boomende Toskana der High Society immer fremder. Als er zufällig über die «Villa Liverzano» flog, verkaufte er seine Anteile an dem Landgut in der Toskana, ging nach Brisighella und begann das herrschaftliche Haus aus der Spät-Renaissance mit seinen Fresken und der eigenen Kapelle zu restaurieren. «Es war auch ein bisschen wie nach Hause kommen», erzählt Marco, dessen Großvater aus der Emilia-Romagna stammte. Heute lebt er mit seiner Lebensgefährtin Renata, seiner Schwester Eliane und Horst in der Villa Liverzano fast so wie seine Vorfahren.

«Abends sitzen wir oft an einer großen Tafel mit unseren Gästen zusammen», erzählt Marco. Seine Schwester Eliana kocht dann Spezialitäten der Region, während Marco und Horst von ihrer Leidenschaft für den Wein erzählen. Auch wenn die Zimmer edel sind, getafelt wird so ungezwungen wie im Agriturismo. Am liebsten sitzen alle draußen auf der Terrasse, vor der frühmorgens Hasen und Rehe umherflitzen und abends die Grillen zirpen.

Die Emilia-Romagna ist wegen des Parma-Schinkens, der Tortellini-Pasta und des Aceto Balsamico aus Modena als Region für Genießer bekannt. Und wer schon einmal in den Gassen rund um die Piazza Maggiore in Bologna bei Feinkost Tamburini und den anderen Läden Fisch, Käse, Fleisch und Gemüse eingekauft hat, versteht, warum die Italiener die Stadt mit Arkadengängen um den Türmen auch «la Grassa» («die Fette») nennen. Motorsportfans bekommen beim Gedanken an die Formel-1-Rennen im nahen Imola und der Rennwagenschmiede Ferrari in Maranello leuchtende Augen.

Hier in der Apennin-Region aber kommen vor allem Aktiv-Urlauber auf ihre Kosten. Wanderer marschieren im Vena del Gesso «Romagnolo»-Park auf den Monte Mauro, um von dort an klaren Tagen bis auf das Meer und die Gipfel der Dolomiten zu schauen. Golfer finden in der Region um Brisighella spannende und landschaftlich reizvolle Parcours. So lohne sich nicht nur ein Ausflug auf den nahen Platz in Riolo Terme oder zum berühmten Golflcub Bologna, meint Maurizio de Vito Piscicelli.

Dessen Großvater baute Anfang der 1960er Jahre den ersten Platz der Region. Der leidenschaftliche Golfer de Vito Piscicelli führte alle 24 Plätze der Region im Verband «Emilia-Romagna Golf» zusammen und machte damit das Golfen für Touristen einfacher und attraktiver. Auch er ist einer dieser Pioniere, die mit Unternehmersinn, Eigeninitiative und Leidenschaft die Emilia-Romagna nach vorn bringen. Heute kann man über «Emilia-Romagna Golf» günstige Pakete buchen und auf allen 24 Plätzen der Region nach Belieben spielen.

Die Gegend um Brisighella ist aber nicht nur etwas für Golfer. Rennradfahrer finden verkehrsarme Nebenstrecken, Mountainbiker unzählige Trails durch die Schluchten der Kreidefelsen-Gebirge und in den Wäldern des Apennin. Und wem das Ganze zu anstrengend ist, der leiht sich bei Marco einen seiner «Cinquento» für eine Spritztour zu einem Espresso auf die Piazza von Brisighella. Das ist «molto italiano» und mindestens so schön wie in der Toskana. dpa

Brisighella in der Emilia-Romagna

Reiseziel: Brisighella liegt südwestlich von Bologna in der norditalienischen Region Emilia-Romagna. Klima & Reisezeit: Brisighella bietet eigentlich immer ein angenehmes Reiseklima, nur der Winter ist feuchtkalt. Aktiv-Urlauber sollten die heißesten Wochen im Juli und August meiden.

Anreise: Brisighella erreicht man mit dem Auto, dem Zug oder dem Flugzeug. Der nächste Flughafen ist Bologna.

Golfen, wandern, Rad fahren: Golfer buchen verschiedene Pakete für alle 24 Plätze der Region am günstigsten bei «Emilia-Romagna Golf» (Tel.: 0039 0544/916280, emiliaromagnagolf.com). Infos zu Wanderrouten und Radstrecken gibt es bei der Region Emilia-Romagna.

Unterkünfte: Rund um Brisighella gibt es Hotels aller Preisklassen vom Bed & Breakfast bis zum Grand Hotel sowie charmante Boutique-Hotels wie die Villa Liverzano (Tel.: 0039 0546/80461, liverzano.it).

Sprache: Ein bisschen Italienischkenntnisse sind sehr hilfreich. Mit Englisch kommt man jedoch auch gut zurecht.

Informationen: Fremdenverkehrsamt Emilia-Romagna. Piazzale Federico Fellini, 3 - 47921 Rimini, Italien (urlaubemiliaromagna.de).