Film El Bulli mit Interview von Starkoch Ferran Adriá

Von Ulrike Cordes

Verschwindende Ravioli, vakuumierte Champignons, Parmesankristalle, Cocktails aus Wasser, Haselnussöl und Salz: In bis zu 35 mikroskopisch kleinen Menügängen kommen solche Speisen, dekoriert auf Blättern, Steinen oder Metallgebilden, auf den Tisch. Mit seiner sogenannten Molekularküche begründete Ferran Adrià (49) den weltweiten Ruhm seines Restaurants «El Bulli». Die Liste der Auszeichnungen ist lang: Drei Michelin-Sterne, fünf Mal die Auszeichnung «bestes Restaurant der Welt», rund zwei Millionen Reservierungsanfragen jährlich sowie 2007 eine Einladung zur documenta in Kassel gehören dazu.

Der Meisterkoch gründete das Lokal 1984 in einer ehemaligen Strandschänke mit 50 Plätzen nördlich von Barcelona. Im Sommer schloss das nicht unumstrittene Ausnahmetalent das «El Bulli», um es vermutlich 2014 als Stiftung und ausbildende «Denkfabrik der kreativen Küche» neu zu eröffnen. Wer sich vergeblich um ein knapp 250 Euro teures Abendessen (ohne Wein) im Avantgardelokal bemüht hat, darf sich nun getrost mit Gereon Wetzels sehr ästhetischer, bereits preisgekrönter Doku «El Bulli - Cooking In Progress» abspeisen lassen. Adrià sagte selbst im Interview (s.u.): «Im "El Bulli" hat die ganze Welt Kreativität studiert. Es ist also kein Film über das Kochen, sondern einer über die Kreativität.»

Mit konzentriertem Blick, ganz ohne Kommentare verfolgte der Münchner Regisseur Wetzel mehr als ein Jahr lang die Entstehung einzelner Rezepturen. Die muten an wie Zauberei - und waren doch minutiöse Gemeinschaftsarbeit während der kalten Monate im Kochlabor in Barcelona. Denn Gäste bewirtet das Restaurant nur im Sommer und Herbst.

«Überraschung, Emotion und eine neue Textur», darum gehe es, verkündet der neugierig und extrem präzise wirkende Meister im weißen Kittel in der Doku. Für dieses Ziel wird von seinen Köchen nicht nur geschält und geschnippelt, ausgepresst und angebraten, sondern bei eher simplen Zutaten wie Gemüse, Obst und Meerestieren auch chemisch experimentiert, neuartig kombiniert, unermüdlich probiert, diskutiert, fotografiert und per Computer dokumentiert. Sehr ernsthaft geht das vonstatten. Nur kleine Scherze oder mal ein Wutausbruch von Adrià lockern die fast wissenschaftliche Atmosphäre auf. Nicht immer wissen Chef und Mitarbeiter, wohin die gastronomische Reise in der kommenden Saison gehen wird.

«Keiner von euch hat eine Ahnung von der Küche dieses Jahres. Wir auch nicht», erklärt der radikale Koch-Künstler später im Restaurant seinem wie ein Bataillon organisierten Team aus aller Welt. Erst hier vor Ort, nach Tests am Gast und eigenem Neuverkosten, setzt Adrià die Jahresmenüs fest, für die er auch die übliche Abfolge von Vor- und Hauptspeisen plus Nachtisch bewusst durcheinanderwirft. Der von Franzosen erfundene Begriff «Molekularküche» wird seiner überschäumenden Kreativität eigentlich längst nicht mehr gerecht. dpa

elbulli-derfilm.de

Interview mit Starkoch Adriá

Der Spanier Ferran Adriá (49) gilt als einer der kreativsten Köche der Welt. Seine Arbeit in seinem berühmten Restaurant «El Bulli» nahe der Stadt Roses an der Costa Brava wird in einem Film dokumentiert, der am 15. September in den deutschen Kinos startet. «El Bulli - Cooking in Progress» lässt dem Zuschauer das Wasser im Munde zusammenlaufen, beweist aber vor allem, dass Kochen harte Arbeit ist. Der Film von Regisseur Gereon Wetzel ist auch ein Denkmal für das Restaurant, in dem Adriá seine «Molekularküche» entwickelte. Seit Ende Juli ist es geschlossen, denn es soll in eine Stiftung umgewandelt werden. 

Was ist es für ein Gefühl, sich selbst auf der großen Leinwand zu sehen?

Adrià: «Es ist etwas Besonderes, auch wenn ich schon in vielen Fernsehdokumentationen aufgetaucht bin. Es ist ein großartiger Film, und ein historischer, denn das alles wird nicht mehr zurückkehren. Der Film hat ein bisschen etwas von einem wichtigen historischen Archiv, denn im "El Bulli" hat die ganze Welt Kreativität studiert. Es ist also kein Film über das Kochen, sondern einer über die Kreativität.»

Haben Sie spontan zugesagt mitzumachen?

Adriá: «Nein, nein. Zuerst habe ich Nein gesagt. Wir hatten gerade 1000 Stunden gefilmt für den audiovisuellen Katalog, den wir gemacht haben. Ich war so erschöpft, ich hatte genug von den Filmteams, aber gut, es war eine neue Idee, da haben wir dann doch Ja gesagt.»

Aus dem Restaurant soll 2014 eine Stiftung werden. Warum?

Adriá: «Ich habe mich so entschieden, weil ich weiter kreativ sein will. Man sieht im Film sehr viel, wie wir kreativ arbeiten, aber man sieht wenig, wie die Gerichte dann hergestellt werden. Also parallel neue Dinge zu entwickeln und ein Restaurant zu führen, das ist sehr hart. Etwas völlig Neues zu erfinden, das ist heute viel schwieriger als noch vor 20 Jahren. Man braucht heute mehr Mitarbeiter, mehr Zeit, mehr Geld. In der Stiftung werden wir mehr Zeit haben. Es wird ein Ort sein, an dem sich Köche treffen, aber es wird kein Restaurant im klassischen Sinne sein.»

Kochen ist eine Sprache, haben Sie oft gesagt. Haben wir diese Sprache zu wenig geübt in den letzten Jahren?

Adriá: «Nun, früher hat nur die Großmutter gekocht. Ein Mann hat niemals zu Hause gekocht. Noch vor 30 Jahren haben die meisten Frauen acht Stunden am Tag gekocht, die Wäsche gewaschen und auf die Kinder aufgepasst. Heute gehen die meisten Menschen, Frauen und Männer, arbeiten. Da bleibt weniger Zeit für's Kochen. Wir müssen also eine neue, gute, aber schnelle Küche entwickeln.»

Wie könnte die aussehen?

Adriá: «Nehmen wir einfach ein paar Stangen weißen Spargel, kochen ihn, etwas Olivenöl darüber, das geht schnell und schmeckt lecker. Aber wenn wir gefüllte Ravioli mit einer guten Sauce Bolognese zubereiten wollen, dann ist das ein Problem, das dauert. Wir kaufen Kochbücher, in denen Rezepte sind, die wir angeblich zu Hause nachkochen können. Aber wir fragen uns: Wie soll das gehen? Daher veröffentlichen wir jetzt ein Buch, das "The Family Meal" heißt, darin sind die Gerichte, die wir für das Personal im "El Bulli" gekocht haben. Es geht schnell, schmeckt und ist nicht teuer. Darin gibt es 31 Menüs, die pro Person drei, vier Euro kosten. Drei Gänge, inklusive Nachtisch. Die Zubereitung dauert 40 Minuten, mit Dessert!»

Könnte das eine neue Art des Kochens werden?

Adriá: «Es fehlt eine neue Art des Kochens für zu Hause, ganz dramatisch, denn die Menschen haben nicht so viel Geld. Lass uns Lamm machen, sagen vielleicht manche. Ja klar, aber Lamm kostet! Pro Person kostet das zehn Euro. Wer jetzt, sagen wir, 1500 Euro verdient, der kann nicht jeden Tag Lamm kochen. Wir müssen mit dem Populismus aufhören, damit, dass wir sagen "Jeder muss gut essen! Jeder muss acht Stunden am Tag kochen".»

Wie schätzen Sie den kulturellen Wert und Einfluss ihrer Arbeit ein?

Adriá: «Nun, es ist wahr, dass ein Essen in einem Restaurant wie dem "El Bulli" mehr bedeutet, als einfach gut zu speisen. Es gibt eben Orte, wo die Küche, das Essen, auch ein Erlebnis sein kann - so wie eine Oper zu sehen oder ins Theater zu gehen. Es gibt natürlich auch Theateraufführungen, die manche schlecht finden. Es muss jeder seine eigenen Erfahrungen machen, die Emotion ist wichtig. Es kann sein, dass du das Werk des besten Künstlers ansiehst und es bewegt dich nicht. Es mag Kunst sein, aber mir kommt es auf die Emotionen an. Kochen auf diesem Niveau ist genial, eine geniale Art der Emotion.»

Wenn Sie nur noch eine letzte Mahlzeit hätten, eine Henkersmahlzeit, was würden Sie bestellen?

Adriá: «Wenn ich sterben muss, dann ist es mir egal, was ich esse. Luxus in Sachen Essen bedeutet, das essen zu können, auf das man in einem bestimmten Moment Appetit hat.» (Dirk Steinmetz, dpa)