Wegen großer Ärgernisse mit Wartezeiten für Reisende an deutschen Flughäfen sollen möglichst noch im Sommer ausländische Hilfskräfte zur Verstärkung kommen können. Die Bundesregierung sagte am Mittwoch rasche Regelungen zu, damit Betreiber vorübergehend leichter Personal vor allem aus der Türkei anheuern können - jedoch mit konkreten Vorgaben, um Sozial- oder Lohndumping zu unterbinden. Die Branche begrüßte die Unterstützung und peilt nun eine Umsetzung binnen einiger Wochen an. Die Politik machte zugleich klar, dass grundsätzlich die Firmen bei der Personalrekrutierung gefragt seien.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte in Berlin: «Wir ermöglichen, dass die Unternehmen Hilfskräfte aus dem Ausland, vor allem aus der Türkei, einsetzen können.» Sie betonte, dass es bei Sicherheit und Zuverlässigkeit keine Abstriche geben solle. Fehlendes Personal unter anderem bei der Gepäckabfertigung hat an Flughäfen zum Start der Hauptreisezeit teils chaotische Zustände ausgelöst.
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sagte, viele Bürgerinnen und Bürger freuten sich nach zwei Jahren Pandemie auf ihren Urlaub. Nun führten die Probleme zu Enttäuschungen, wenn etwa die Abfertigung «unendlich lange» dauere. Die Regierung wolle daher helfen, weil es offenkundig auf dem deutschen Markt nicht genügend Kräfte gebe.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte, nach Angaben der Branche gehe es um einige tausend Arbeitskräfte, die an Flughäfen in der Türkei derzeit nicht gebraucht würden. Eingestellt werden müssten sie von den Unternehmen selbst. Für den Einsatz in Deutschland sollten staatlicherseits schnell und befristet Voraussetzungen mit Einreise- und Aufenthaltstiteln sowie Arbeitserlaubnissen geschaffen werden.
Heil hob hervor, dass dafür Bedingungen gelten sollen, um Dumping auszuschließen. So werde nicht zugelassen, Personal in Leiharbeit anzustellen. «Die Firmen werden die Arbeitskräfte direkt anstellen müssen.» Bezahlt werden müsse zudem nach Tarif, vorgegeben würden außerdem gute Unterkünfte und nicht «irgendwelche Hütten». Ob dies in den nächsten Wochen klappe, sei nun die Aufgabe «von vielen».
Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV), Ralph Beisel, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wenn alle Rädchen so ineinandergreifen, wie uns das in Aussicht gestellt wurde, könnten die ersten Saisonarbeitskräfte in vier Wochen einsatzbereit sein.» Er dankte der Bundesregierung, dass sie schnell und unbürokratisch den Weg freigeräumt habe. Dies sei ein wichtiger Schritt, damit Dienstleister und Flughäfen die Kräfte in operativen Bereichen beschäftigen könnten. Der größte deutsche Flughafen in Frankfurt will «mehrere hundert» ausländische Hilfskräfte einstellen. Nach bisheriger Einschätzung könnten die ersten in acht Wochen mit der Arbeit beginnen, erklärte ein Sprecher.
In der Türkei hätten wegen der Insolvenz zweier Fluglinien rund 2000 Menschen ihren Job verloren, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft für Beschäftigte im Luftfahrtsektor (Hava Sen), Seckin Kocak, der dpa. Die meisten seien gut ausgebildet, erfahren und weiterhin auf der Suche nach Anstellungen. Er gehe davon aus, dass man aus dieser Personengruppe rekrutieren werde. Eine Anstellung in Deutschland, wenn auch nur kurzfristig, sei für viele eine attraktive Perspektive. Die Airline Atlas Global hatte 2020 Insolvenz angemeldet, Onur Air wurde in der Türkei erst vor wenigen Wochen die Fluglizenz entzogen.
Die Bundesregierung machte deutlich, dass die Erleichterungen nun vor allem der kurzfristigen Entschärfung der Krise dienen sollen. Es gehe um eine befristete Maßnahme, keine Dauerlösung, sagte Heil. Der Staat habe Fluggesellschaften und Airports in der Corona-Krise mit massiven Wirtschaftshilfen unter die Arme gegriffen. «Es wäre Aufgabe der Unternehmen gewesen, in ausreichendem Maße Vorsorge zu treffen.» Der Minister forderte die Branche auf, attraktive Arbeitsbedingungen mit anständigen Löhnen zu schaffen. Sein Wunsch sei, einen Tarifvertrag zu schaffen, «den wir für allgemeinverbindlich erklären können».
Die Verbraucherzentralen erklärten, die Bundesregierung habe sich das Chaos viel zu lange angesehen und mache es nun endlich zur Chefsache. Die Mobilitätsexpertin des Bundesverbands (vzbv), Marion Jungbluth, sagte: «Das aktuelle Chaos zeigt, wie wichtig gute Fluggastrechte sind.» Der Weg zu Entschädigungen sei oft lang. Dafür sollten aber wenige Klicks genügen und Überweisungen dann automatisiert kommen. Zudem gehöre die Vorkasse-Praxis abgeschafft. Dass Flüge in der Regel vorab bezahlt werden müssen, könne für Kunden ein erhebliches finanzielles Risiko bedeuten. «Stattdessen dürfen Reise- oder Flugkosten erst kurz vor Reiseantritt fällig werden.»
Die Gewerkschaft Verdi kritisierte, dass keine Deutschkenntnisse als Voraussetzung für die ausländischen Helfer vorgesehen seien. «Das Luftfahrtbundesamt setzt Kenntnisse der deutschen Sprache voraus, um sich bei Tätigkeiten im Luftverkehr verständigen zu können», sagte die Verdi-Vizevorsitzende Christine Behle der dpa. «Das ist wichtig, weil zum Beispiel unsachgemäße Beladung eines Flugzeugs zu einem Absturz führen kann.» Faeser hatte eine Frage, ob Deutschkenntnisse zur Voraussetzung gemacht würden, mit «Nein» beantwortet.
Zu den Personalengpässen kommen teils noch andere operative Probleme für den Betrieb hinzu. Schwierigkeiten beim Aufspielen einer neuen Flugsicherungsoftware beeinträchtigten am Mittwochmorgen weite Teile des Luftverkehrs über Deutschland. In der Zentrale in Langen bei Frankfurt musste über mehrere Stunden die mögliche Verkehrsmenge um die Hälfte verringert werden, wie eine Sprecherin der bundeseigenen Deutschen Flugsicherung sagte. Ab 9.00 Uhr sei wieder der normale Betrieb möglich gewesen. Reine Überflüge waren nicht betroffen. dpa
Flug-Chaos: Tourismusbeauftragte wirft Unternehmen Fehlplanungen vor
Die Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Müller, wirft der Luftverkehrsbranche angesichts chaotischer Zustände an deutschen Flughäfen Fehler bei der Personalplanung vor. «Wir mussten alle lange pandemiebedingt aufs Reisen verzichten. Also wollen viele Menschen nun endlich wieder raus und ihre Ferien genießen. (...) Dass so ein Zeitpunkt kommen würde, war auch nicht schwer vorherzusehen», sagte die Grünen-Politikerin der «Bild» (Mittwoch). Es sei «umso frustrierender», wenn «nach den enorm schwierigen Corona-Jahren» nun die «hohen Passagierzahlen gerade auf personelle Engpässe im Luftverkehr» stießen. Es sei «in der gesamten Flugbranche anscheinend zu erheblichen Fehlplanungen» gekommen.
Die Bundesregierung habe «schnell gemeinsam reagiert», um die Situation zu entschärfen, sagte Müller. «Vor allem sollen die Sicherheitskontrolle und die Abfertigung an Flughäfen wieder schneller und reibungsloser funktionieren. Deshalb ist geplant, kurzfristig Bodendienstleister und Fachkräfte aus dem Ausland einzustellen, ohne dabei die Sicherheits-, Sozial- und Arbeitsstandards zu vernachlässigen.»
Der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, kritisierte im Gespräch mit der Zeitung: «Wir haben in Deutschland 2,2 Millionen Arbeitslose, die gerne arbeiten möchten. Die Ampel-Regierung sollte sich daher schnell um die Ausweitung der Kapazitäten der Ausbildung und Sicherheitsüberprüfung statt Anwerbeaktionen kümmern.»
Die drei zuständigen Bundesminister für Verkehr, Inneres und Arbeit, Volker Wissing (FDP), Nancy Faeser (SPD) und Hubertus Heil (SPD) wollen am Mittwoch Maßnahmen zur kurzfristigen Abhilfe der Situation vorstellen. Daran hatte eine Koordinierungsgruppe auf Ebene der Staatssekretäre seit Mitte des Monats gearbeitet. dpa
Flug-Chaos hält Urlauber nicht von Reisen ab
Berlin/Frankfurt (dpa) - Die Probleme im Luftverkehr können nach Einschätzung von Lufthansa-Chef Carsten Spohr nicht schnell gelöst werden. Die von Personalmangel, Teileknappheit und eingeschränktem Luftraum geprägte Situation werde sich «kurzfristig kaum verbessern», sagte der Chef der größten Airline-Gruppe Europas in einem Entschuldigungsschreiben an die Passagiere. Während die Gewerkschaft Verdi über zunehmende Angriffe und gesundheitliche Belastungen für das Personal klagt, berichtet der Touristik-Konzern Tui von einer ungebrochenen Nachfrage. Verkehrsminister Volker Wissing ist nach eigener Aussage «selbst Opfer der schwierigen Zustände an den Flughäfen geworden». Der FDP-Politiker verwies im «Kölner Stadt-Anzeiger» (Mittwoch) auf viele gestrichene Flüge.
Die drei zuständigen Bundesminister für Verkehr, Inneres und Arbeit, Volker Wissing (FDP), Nancy Faeser (SPD) und Hubertus Heil (SPD) wollen am Mittwoch Maßnahmen zur kurzfristigen Abhilfe der Situation vorstellen. Daran hatte eine Koordinierungsgruppe auf Ebene der Staatssekretäre seit Mitte des Monats gearbeitet.
Tui-Deutschland-Chef Stefan Baumert sagte, «trotz aller Herausforderungen aufgrund von Personalengpässen in der Branche werden die Ferien für die überwiegende Mehrheit reibungslos verlaufen». Anders als manche Airlines will die konzerneigene Fluggesellschaft Tuifly keine Flüge streichen. Der Flugplan der eigenen Tuifly-Maschinen bleibe bestehen, wie auch Planungen für zusätzliche Reserveflugzeuge zu Spitzenzeiten, sagte Baumert am Montagabend in Berlin.
Dem Manager zufolge stieg die Nachfrage nach Sommerreisen in den vergangenen Wochen deutlich und liegt «durchgängig über dem Niveau von 2019». «Wir holen rasant auf und sind mehr als zuversichtlich, dass wir in diesem Jahr ein Sommergeschäft sehen, das an 2019 herankommt», bekräftigte Baumert frühere Erwartungen. Auch die Buchungen für die Monate September und Oktober zögen seit einigen Tagen kräftig an.
Tui könne nicht feststellen, dass sich die Menschen wegen Problemen bei der Abfertigung an Flughäfen mit Buchungen zurückhielten. Es gebe auch keine Hinweise darauf, dass Kunden bei den sogenannten Flextarifen verstärkt die Option nutzten, kostenfrei bis 15 Tage vor Abreise umzubuchen oder zu stornieren. «Sie wollen alle in Urlaub», sagte Baumert. «Aber wir verzeichnen Rekordwerte bei den Anrufen bei unseren Kundenhotlines.»
Lufthansa-Chef Carsten Spohr stimmte die Passagiere hingegen auf weitere Schwierigkeiten ein. Zwar plane die Branche allein in Europa mehrere tausend Neueinstellungen. «Dieser Kapazitätsaufbau wird sich allerdings erst im kommenden Winter stabilisierend auswirken können.» Er entschuldigte sich im Namen des Unternehmens dafür, dass nach dem Corona-Einbruch das «Hochfahren des komplexen Luftverkehrssystems von fast Null auf derzeit wieder fast 90 Prozent» nicht zur angestrebten Verlässlichkeit, Pünktlichkeit und Robustheit geführt habe. Der Manager räumte eigene Fehler ein und stellte fest, dass auch dem Lufthansa-Konzern in einigen Bereichen Personal fehle.
Wissing schloss eine langfristige Veränderung bei der Organisation der Sicherheitskontrollen an den Flughäfen nicht aus. Sie liegt derzeit in den Händen von Privatunternehmen, die Bundespolizei übernimmt lediglich die Aufsicht. Ob das Modell Bayerns für ganz Deutschland die beste Lösung sei, könne er nicht beurteilen, sagte Wissing laut «Kölner Stadt-Anzeiger». In Bayern werden die Kontrollen von einer Luftsicherheitsgesellschaft organisiert, an der der Freistaat 51 Prozent der Anteile hält.
Der Flughafenverband ADV forderte, die großen Flughäfen sollten private Sicherheitsdienstleister selbst auswählen und steuern dürfen - und nicht die Bundspolizei, wie es derzeit die Regel sei. «Wir sehen aktuell ein grundlegendes Problem in der Luftverkehrsbranche, einen eklatanten Personalmangel», sagte ADV-Geschäftsführer Ralph Beisel zu t-online. «Der Bund sollte daher die Luftsicherheitsgesetzgebung alsbald anpassen. Die Flughäfen wissen am besten, wie viele Mitarbeiter in den Kontrollspuren benötigt werden», fügte Beisel hinzu. Aushilfskräfte aus dem Ausland könnten «voraussichtlich ab Anfang August eingesetzt werden. Das wird die Lage sichtlich entspannen.»
Die Gewerkschaft Verdi klagte über zunehmende körperliche und psychische Gewalt gegen das Personal in den Terminals. «Wir sehen, dass der Frust der Fluggäste immer häufiger an Beschäftigten ausgelassen wird, die gar nichts für die Probleme können», sagte Verdi-Gewerkschaftssekretär Sven Bergelin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auch die hohe Krankenquote an deutschen Flughäfen ist laut der Gewerkschaft ein Problem. «Aufgrund der hohen Belastungen vor Ort haben wir momentan eine Krankenquote von 20 Prozent an den Flughäfen», sagte Bergelin.
Beim Veranstalter Tui sind nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie klassische Reiseziele vor allem rund ums Mittelmeer gefragt, insbesondere die Türkei. Antalya hat sich demnach auf Platz zwei hinter Mallorca geschoben. Auch Griechenland werde weiterhin stark nachgefragt. «Kreta steuert auf eine Rekordsaison zu», berichtete Baumert. Auch Portugal, Zypern und Ägypten legten aktuell kräftig zu. Bei Autoreisen stehen demnach vor allem die deutsche Ostseeküste und die Oberitalienischen Seen im Fokus. dpa