Von Yvonne Stock
In der Pfanne vor Koch Claudio Schneider brutzeln Kartoffel-Gemüse-Röstis im heißen Fett, dahinter wird Pizza vorbereitet, nebenan kommen Balsamico, Granatapfel und Walnuss auf einen Endiviensalat. Die Zutaten waren eigentlich schon auf dem Weg in die Mülltonne. Koch Michael Schieferstein, Gründer des Vereins «Foodfighters», hat die Überschuss- und Ausschussware davor bewahrt.
Zwischen 35 und 38 Tonnen sind an diesem Freitag zusammengekommen, schätzt er. Auf dem Hof der Burg Rheinfels im Mittelrheintal zaubern er und sein Team daraus Speisen für Besucher, um auf Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen.
Welche überschüssigen Lebensmittel die Lieferanten abzugeben hatten, haben die Köche erst kurz vorher erfahren - dann improvisieren sie. «Die Jungs sind unheimlich kreativ», lobt Andreas Ludwig, Direktor des Hotels im Schloss Rheinfels, und zeigt sich überrascht von den Produkten. Für eine Gourmetküche sei es «eine mannigfaltige Herausforderung», Verschwendung zu verhindern. Aber mit einer exakten Planung sei es möglich, etwa den Melonenrest noch zu Parfait zu verarbeiten und wenig wegzuwerfen.
Die Verwertung von Essbaren bis zur letzten Schale ist das große Ziel von Schieferstein und den «Foodfighters». Rund 380 Tonnen Lebensmittel hat der Koch nach eigenen Angaben bereits vor der Vernichtung gerettet. «Heute knacken wir die 400er Marke», erklärt der 47-Jährige, der auch Themen-Botschafter im deutschen Pavillon bei der Expo in diesem Jahr in Mailand sein wird. Teilweise hat er die Lebensmittel bei Kochaktionen verwendet, teilweise an Tafeln weitergegeben. Eine Weltreise durch Entwicklungsländer habe ihm als junger Koch die Augen für den Hunger auf der einen und die Verschwendung auf der anderen Seite geöffnet, sagt Schieferstein.
Ungläubig schauen viele Besucher auf Bärlauch-Spaghetti, Salat, Erdbeer-Rhabarber-Quark oder eine Pilzpfanne, als sie hören, dass diese Lebensmittel für den Müll vorgesehen waren. «Allein wie der Salat aufgemotzt ist, ist toll», meint eine Besucherin. Eine andere stellt fest, wie einfallslos sie doch immer koche. Neben ihr stehen zahlreiche Kisten mit Äpfeln, Lauchzwiebeln, Feldsalat, Brokkoli und Blumenkohl, die noch verarbeitet werden können.
Wie viele eigentlich noch essbare Lebensmittel in Deutschland weggeschmissen werden, darüber gibt es sehr unterschiedliche Schätzungen. Nach einer Studie der Universität Stuttgart sind es rund elf Millionen Tonnen pro Jahr, davon 6,7 Millionen aus privaten Haushalten. Schieferstein geht von bis zu 32 Millionen Tonnen jährlich aus. Er zählt auch Produkte mit, die ungeerntet untergepflügt werden. Die wichtigste Gegenmaßnahme ist aus seiner Sicht: Aufklärungsarbeit.
Und daran versuchen sich einige. Auch Talley Hoban hat sich die auf die Fahnen geschrieben. Die Wiesbadenerin veranstaltet bundesweit «Back to the Roots - Schnippel-Partys». Dabei werden gespendete Produkte von regionalen Bauern verarbeitet, die nicht den hohen optischen Ansprüchen der Verbraucher entsprechen.
Nicht marktkonformes Gemüse kam auch bei der Aktion «Teller statt Tonne» mit 600 Gästen auf der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein im Jahr 2013 auf den Tisch. Die dabei beteiligte Organisation «Slow Food» setzt sich seit mehr als 20 Jahren für mehr Wertschätzung für Lebensmittel ein. Das Bundesernährungsministerium setzt sich mit dem Programm «Zu gut für die Tonne» gegen Verschwendung ein.
Hoban nimmt eine zunehmende Sensibilisierung für Lebensmittelverschwendung wahr. «Die «kleinen» Menschen bewegen meines Erachtens mehr, als die Entscheider in der Politik, Wirtschaft und Industrie», sagt sie. Koch Schieferstein ist pessimistischer: «Es hat sich noch nichts bewegt. Das ist sehr bitter», sagt er. Das hält ihn aber nicht davon ab, weiter zu machen. «Wir können nicht sagen, dass wir in 20 Jahren noch genug auf dem Teller haben.» dpa