Gourmets in Gummistiefeln Austern-Safari am Limfjord

Von Karin Willen

Jens Hedevang Nielsen ist zu beneiden. In aller Ruhe steht er im knietiefen Wasser und sammelt wilde Austern. Das macht er gerne, wenn er nicht gerade auf den kilometerlangen Deichen des Limfjordes bei Rønlandmøllerne spaziert. Noch am Strand knackt der Däne die weltweit geschätzte Delikatesse mit einem Griff, isst sie roh oder grillt sie. Nur den dazugehörigen Champagner überlässt er seinen Gästen. Er will ja noch fahren.

Jens ist Naturführer im Jütland-Aquarium in Thyborøn am Limfjord im Nordwesten von Dänemark. Dort, wo der unmerklich salzige Wind den Bäumen die Wuchsrichtung diktiert und die Schafe sich beim Weiden nicht stören lassen, geht er mit Gästen auf Austernsafari. Die Reise führt zu einer der nördlichsten Austernbänke der Welt, Refugium der besonders feinen und seltenen europäischen Auster. Die begehrten Weichtiere leben wild in dem sauberen Limfjordwasser, das etwas weniger salzig ist als in der Nordsee.

"Europäische Austern sind bei Gourmets weltweit äußerst beliebt", erklärt Svend Søe Bonde von "Glyngøre Shellfish" in Rosleft. Er liefert die Delikatessen an das dänische Königshaus, Edelrestaurants wie das "Noma" in Kopenhagen, aber auch per Express nach China. Svend ist einer der wenigen, die vom Fang dieser raren Austernart leben. Gourmets, die nicht in Gummistiefeln im Wasser waten wollen, sind bei ihm an der kleinen Austernbar im Hafen von Glyngøre gut aufgehoben.

Jens kennt die besten Stellen, an denen besonders viele Austern vom Filtrieren winziger Algen und Schwebteilchen leben: in einem Limfjordarm ein paar Handbreit unter dem Wasserspiegel, wo weit und breit kein Mensch zu sehen ist. Treffpunkt ist der Heimathof der Gjeller Odde bei Lemvig, einem westjütländischen Fischer- und Bauernhaus aus dem 19. Jahrhundert. Es gibt Kaffee und Kuchen. Jens wäre kein Däne, wenn er nicht noch eine andere regionale Spezialität dabei hätte: Sanddorn-Schnaps. Ein Probeschlückchen genügt. Die Austern versprechen weit feinere Genüsse, vor allem gesündere.

Die Weichtiere sind fettarm und vitamin- wie mineralstoffreich. Weil sie in sauberem Wasser aufwachsen, sind sie außerdem frei von Schadstoffbelastungen. Nur dass sie aphrodisierend wirken sollen, konnte wissenschaftlich nicht belegt werden. Wobei, vielleicht haben die Forscher nur versäumt, Gourmets zu fragen.

Für die frischste und üppigste aller Austernmahlzeiten braucht die Ausflugstruppe lediglich warme, winddichte Kleidung und vielleicht noch ein extra Paar warme Socken. Denn die Austernsafari ist nur in den Monaten mit "r", höchstens noch in den ersten Maiwochen erlaubt. Im Sommer pflanzen sich die seltenen Weichtiere fort, ganz ohne menschlichen Eingriff. Und die Natur hat es so eingerichtet, dass die Austern dann nicht so gut schmecken.

Keine hundert Meter von der reetgedeckten Idylle des Heimathofes entfernt liegt die Austernbank. Fischerhosen, Kescher und Meereslupen hat Jens auf seinem Geländewagen, dazu alles, was Gourmets sonst noch so brauchen: Champagner, Mineralwasser, Zitronen, Zwiebeln, Balsamico und Zucker. Denn die Dänen schlürfen ihre Austern gern mit Zwiebeln, mildem Essig und Zucker. Auch Grill, Feuerholz, Tücher, Gläser und Austernmesser gehören zur Safaris-Ausrüstung.

Fast jeder Blick durch die gigantische, grellorangene Lupe wird mit einer Auster belohnt, die sich den Platz auf dem Kieselgrund mit Muscheln teilt. Die Austern lassen sich ganz leicht lösen. Nach nicht mal einer halben Stunde im knie- bis hüfthohen Wasser liegen mehr Austern im Eimer, als die Gruppe essen könnte. Das gehe ja schneller als die Fahrt zum Fischhändler, scherzt Jens, der am Strand schon ein Feuerchen gemacht hat. Vor allem sind die Austern frischer.

Ein paar der Weichtiere sollen auf ihrer Schale gegrillt und mit Balsamico, Zwiebeln und Zucker probiert werden. Doch erst einmal ist Degustation der rohen Auster angesagt. Jens möchte, dass seine Gäste den Unterschied schmecken zwischen der pazifischen und der heimischen runden europäischen Auster. Die europäische Version hat festeres Fleisch und schmeckt auf feinere Art nussig. Aber auch der pazifischen Cousine bekommt das klare Limfjordwasser: Sie ist zwar ähnlich fleischig wie auf Sylt oder in Kanada und Frankreich, ähnlich auch wie ihre wilden Verwandten im Wattenmeer bei Rømø, aber weniger jodig. "Wegen der niedrigen Temperaturen wächst die europäische Auster langsam, das macht sie fest und aromatisch", erklärt Jens.

Der Däne freut sich, wenn seine Gäste möglichst viele der Pazifikaustern essen. Denn die vermehren sich massenhaft. "Derzeit ist das Verhältnis 50 zu 50", sagt er. "Es wäre doch schade, wenn die pazifische Auster die europäische verdrängt". Schon klar. Also noch eine Pazifikauster auf den Grill, aber ohne Zwiebeln und Zucker.

Austernsafaris im Limfjord in Jütland werden von September bis Mitte Mai zwei bis dreimal im Monat angeboten, dauern drei bis vier Stunden und kosten 27 Euro pro Person. Im Preis sind Wasser und Champagner oder Weißwein enthalten. Jeder Teilnehmer kann so viel Austern essen, wie er will. dpa