Tilo Roth rührt an. Und damit ist jetzt erst einmal kein Küchen-Vorgang gemeint, sondern es geht ums Emotionale: Denn wenn der Berliner Meisterkoch des Restaurants „The Grand“ von seiner persönlichen Geschichte zum Mauerfall erzählt, hat das wahren Gänsehaut-Faktor. Der gebürtige Hesse lebt seit 1986 in Berlin und war damals, vor 30 Jahren, im Wedding daheim, ganz nah dran an der Grenze, die in einer einzigen Nacht fiel. „Ich habe die ersten Leute tatsächlich ‚rübermachen‘ sehen“, beschreibt er lebendig und auch, wie er völlig selbstverständlich Geld zum Telefonieren verschenkte, „und ich habe mir mit wildfremden Menschen in den Armen gelegen. Alles war damals Eins – wir alle waren einfach Berliner.“ Deshalb, sagt er, sei es ihm auch nicht schwergefallen, das Motto des diesjährigen Hoffests als Gourmet-Gericht umzusetzen. Er präsentiert einen „Mauerstein“, verarbeitet dabei gezupftes Eisbein zu einem rötlichen Brick und serviert diesen auf einer grünen Kräutersauce mit Blüten: in freier, freundlicher Umgebung also.
Ein denkbar kreativer Ansatz, der auch widerspiegelt, wie innovativ, experimentierfreudig, vielfältig und qualitätsvoll die Berliner Meisterköche an den Herd treten. Beim Hoffest läuft ihr Handwerk in und von Foodtrucks aus ab, wobei sich zeigt, wie auch auf kleinstem Raum Großes entstehen kann. Passend zur Atmosphäre, zum Spirit gewählt sind auch die eigens für die Chefs angefertigten Schürzen, die diesmal in Jeans-Optik bewusst etwas „rough“ daherkommen. Unterstützt von Berlin-Partner METRO, übernimmt jeder Meisterkoch so für einen bestimmten Zeitraum einen der vier Trucks und bereitet den Gästen sein Gericht zu.
Gleich mehrere der Küchen-Koryphäen haben sich von Ur-Berliner Rezepten inspirieren lassen. „Ganz simpel, ganz urig – wie die Stadt“ darf es etwas sein bei Martin Müller vom „Tisk“: „Ich erinnerte mich an ein Gericht, das meine Oma mir als Kind zubereitete – und das interpretiere ich jetzt neu: Blutwurst, in meinem Fall als Krokette, mit Apfel und Kartoffel.“ Müller ist in Berlin aufgewachsen, lebt seinen Traum vom eigenen Restaurant, seit Kurzem in Alleinregie, nachdem sein Partner andere Wege eingeschlagen hat. „Jetzt bin ich mein eigener Herr, kann dadurch Entscheidungen schnell fällen. Mein Ziel ist es, jetzt noch mal eine Schippe draufzulegen im Tisk.“
Auch für Daniel Achilles hat sich Einiges verändert: Er hat zu Jahresbeginn sein Restaurant „reinstoff“ geschlossen, weil er sich verändern wollte, neue Möglichkeiten schaffen. Jedoch, berichtet er, ist die Suche nach einem geeigneten neuen Standort recht schwierig. „Das macht aber nichts, ich nehme diese Orientierungsphase voll und ganz an. Immerhin kann ich mich so mal auf alltäglichere Dinge konzentrieren, die ich sonst gar nicht wahrnehme. Der Beruf gibt viel zurück, aber nimmt unterschwellig auch Manches weg. Gerade genieße ich eine neue Balance, bin entspannt.“ Leicht und entspannt klingt auch sein Gericht zum Hoffest mit Kalbsbacken, Sellerie, Apfel, Schalotten und Blüten. „Gute Küche, gutes Essen, das ist wie Musik: Es gibt keine Mauern und Grenzen. Auch bei aller Regionalität der Produkte tut hier ein Spritzer Limettensaft oder Sojasauce einfach gut. Vielfalt belebt.“
Da kann Nicholas Hahn vom Restaurant am Steinplatz sich nur anschließen: Der Meisterkoch mit den Stuttgarter Wurzeln lebt schon länger in Berlin und interpretiert „Leber, Berliner Art“ fürs Hoffest modern. Mit seinen 36 Jahren hat er zwar kaum Erinnerungen an den Mauerfall selbst, ist aber heute in Pankow, direkt am früheren Grenzverlauf, zu Hause. „Da rückt die Geschichte automatisch an dich heran“, beschreibt er. „Deshalb war es mir auch wichtig, mit meinem Gericht ein Stück originales Berlin auf den Teller zu bringen. Eigentlich hatte ich etwas mit Fisch machen wollen, aber das passte dann eben irgendwie für mich nicht richtig.“ Nicht ganz verwunderlich, dass Hahn sich intensive Gedanken um Perfektion machte, denn er ist mit seinem Meisterkoch-Titel „Aufsteiger des Jahres 2018“ der einzige Neuling beim Hoffest. „Es ist ein fantastisches Gefühl. Das Ziel, einmal bei diesem Event dabei zu sein, hatte ich mir schon vor Jahren gesetzt, aber dass ich es jetzt erreicht habe, ist eine ganz große Sache.“
Ein etwas anderes Ziel hat für den Tag des Hoffests Tilo Roth – und damit ein Gedankensprung zurück zum „Mauerstein“ vom Anfang: Er wünscht sich nämlich, dass endlich auch die letzten Reste der deutschen Teilung schnellstmöglich der Vergangenheit angehören: „Mein Gericht ermöglicht es symbolisch dazu beizutragen. An diesem Abend essen wir die Mauer einfach auf!“
Text: Inka Thaysen/Berlin to go - Hoffest-Magazin 2019
(Seit 1997 zeichnet Berlin Partner jährlich die besten Köche der Hauptstadt aus. Mit der Ehrung der Berliner Meisterköche profiliert Berlin Partner die gehobene Restaurantkultur und die Vielfalt der Gastronomieszene der Hauptstadt als wichtigen Wirtschafts- und Imagefaktor und Aushängeschild der Stadt. Mehr als 130 Köche und Gastronomen wurden bisher in den verschiedenen Kategorien der Berliner Meisterköche ausgezeichnet. Auch für 2019 stehen die Nominierten bereits fest. Wer sich diesmal über den begehrten Titel freuen kann, entscheidet sich am 24. September. Zwei Monate später dann erfolgt die Ehrung bei einem Gala-Diner vor mehr als 400 Gästen.)