Im WM-Quartier der Nationalmannschaft

Von Manuel Meyer

Die Spieler der deutschen Nationalmannschaft werden bei der kommenden Fußballweltmeisterschaft in Brasilien so einige sportliche Hürden nehmen müssen. Die Brasilianer gelten auf dem Weg ins Endspiel als die härtesten Gegner.

Ironischerweise benötigen Manuel Neuer, Philipp Lahm und Co jedoch für ein Hindernis auf dem Weg zum Stadion ausgerechnet die Hilfe eines Brasilianers: Er heißt Manoel da Conceição. Als Anweiser auf der Fähre über den Fluss João de Tiba ist Manoel, 53 Jahre, neben Kapitän Jose Macio der wichtigste Mann an Bord. Und er ist mit dafür verantwortlich, dass die DFB-Auswahl im Juni und Juli sicher über den Fluss gelangt.

Wild wirbelt Manoel mit den Händen die vor der Rampe wartenden Wagen heran, stoppt sie mit einem Pfiff, weist sie ein - und einige Fahrer, die nicht auf seine Befehle hören wollen, mit groben Tönen zurecht. Geschickt dirigiert er die Autos bis auf wenige Zentimeter zum Vorder- und Nebenmann in Position, damit möglichst viele auf die Fähre passen. So wird er es auch mit dem deutschen Mannschaftsbus machen.

Jedes Mal, wenn Mesut Özil, Marco Reus und Teamkollegen für die Gruppenspiele in Salvador de Bahia, Fortaleza und Recife aus ihrem WM-Quartier in Santo André im Bundesstaat Bahia ausrücken, müssen sie den von Mangroven umschlossenen Fluss an der Mündung zum Atlantischen Ozean überqueren. Denn der nächste Flughafen befindet sich 30 Kilometer südlich in Porto Seguro.

Die Fähre von Jose und Manoel ist klein und rostig. Sobald ein Kleinlaster auf der Eisenrampe aufsetzt, kracht und knackt es bedenklich. Die Frage, ob die Fähre nicht ein wenig zu klapperig für den DFB-Mannschaftsbus und die Begleitwagen sei, bringt Manoel zum Lachen. «Keine Sorge. Es wird nichts schief gehen. Ich werde die deutschen Spieler heil und rechtzeitig auf die andere Seite bringen», sagt Manoel.

Er freut sich schon darauf, die Spieler kennenzulernen. DFB-Torwart Manuel Neuer hält er für einen der derzeit weltweit besten Keeper überhaupt. «Ein guter Mann. Doch wir haben Neymar!», warnt Manoel mit einem Augenzwinkern.

Kapitän Jose schmeißt den Schiffsmotor an. Es dröhnt und stinkt fürchterlich. Exotisch bunte Wasservögel schrecken auf. Langsam schippert der Kahn auf die andere Seite. Auf dem Fluss werfen Fischer ihre Netze aus. Frauen und Kinder suchen am Ufer zwischen den Mangroven nach Krebsen. Auf der anderen Flussseite weist nach zwei Kilometern ein Schild ins Dickicht den Weg zum Ortseingang von Santo André.

Das Dorf ist winzig und zählt nur wenige Hundert Einwohner, die vom Fischfang und vom Tourismus leben. Die Zahl der Restaurants und kleinen Hotels lässt sich an zwei Händen abzählen. Deshalb müssen einige Spielerfamilien und die Vorsitzenden der Bundesligavereine auch im 14 Kilometer entfernten Hotelressort La Torre in der Nähe von Porto Seguro untergebracht werden. Dort ist auch die Schweizer Nationalmannschaft einquartiert.

Die Straßen von Santo André sind aus Sand. Überall laufen Hühner frei herum. Fast alle Häuser sind einstöckig, zum Teil aus Holz, und gehen im Grün des tropisch-atlantischen Regenwaldes unter. Orchideen und Kokospalmen wachsen hier wie Unkraut. Der weiße Sandstrand ist noch vollkommen unverbaut.

Kaum vorstellbar, dass in diesem verschlafenen Küstendörfchen bereits in wenigen Wochen die deutsche Nationalmannschaft samt Delegation und einer Hundertschaft von Journalisten einfallen wird. Doch das Hämmern und Sägen der Bauarbeiter, die hier das deutsche WM-Hotel «Campo Bahia» errichten, kündigen das baldige Ende der idyllischen Dorfruhe an.

Deutsche Investoren lassen den Hotelkomplex mit 14 zweigeschossigen Häusern direkt am Strand um einen zentralen Gebäudekomplex mit Restaurant, Poolanlage, Fitness- und Gemeinschaftsräumen bauen. Unterdessen entsteht am Dorfrand, rund zwei Kilometer entfernt, das Trainingsgelände für das deutsche Team. Es ist nur durch ein Schutzgebiet für Meeresschildkröten vom Ozean getrennt. Die meisten Dorfbewohner sind begeistert.

Sie hoffen, dass das Quartier der DFB-Auswahl nach der WM viele deutsche Urlauber anzieht. Die beiden Dorfjungen João und Felipe wünschen sich vor allem, nach der WM auf der neuen Sportanlage statt auf dem sandigen Bolzplatz spielen zu dürfen.

Was immer auch nach der WM passieren mag: Bundestrainer Joachim Löw habe mit Santo André als WM-Quartier eine sehr gute Wahl getroffen, meint Fährmann Manoel. «Hier haben die Spieler absolute Ruhe und können eine der ursprünglichsten Küstenlandschaften Brasiliens kennenlernen», versichert er auf der Rücktour. Gleich auf der anderen Flussseite bestätigt das Dörfchen Santa Cruz de Cabrália die Worte Manoels mit weißen Stränden, türkisblauem Wasser, Häusern im Kolonialstil und einer der ältesten Kirchen Brasiliens.

Der Küstenort ist nicht nur einer der bedeutendsten historischen Orte Bahias, sondern ganz Brasiliens. Hier betrat der portugiesische Seefahrer und Entdecker Pedro Álvares Cabral im April 1500 erstmals brasilianischen Boden. Deshalb wird der 165 km lange Küstenabschnitt zwischen Belmonte im Norden und Caraíva im Süden «Costa do Descobrimento», die «Küste der Entdeckung», genannt.

Was nur wenige wissen: Mit an Bord war damals auch der aus Westfalen stammende deutsche Adelige Johannes Varnhagen. Der Astronom, Arzt und Berater des portugiesischen Königs Manuel leitete damals die Entdeckungsfahrt und sorgte mit 35 deutschen Soldaten für den Schutz der portugiesischen Seefahrer.

Der Küstenabschnitt wurde bereits 1999 aufgrund seiner ursprünglichen tropisch-atlantischen Küstenvegetation zum Unesco-Weltnaturerbe erklärt. Doch haben sich die 15 Kilometer zwischen Santa Cruz de Cabrália und Porto Seguro in den vergangenen zehn Jahren zu einer Art «Party-Küste» mit lauten Strandbars und Hotelanlagen entwickelt - auch wenn die Strände immer noch traumhaft schön sind.

Es gibt einen Transilvania-Erlebnispark, und unweit der Ortschaft Coroa Vermelha werben sogar die Indianerstämme der Pataxó mit professionellen Werbeplakaten für ihre Souvenirs und teuren Führungen durch das Indianerreservat.

Leider werden die deutschen Fußballnationalspieler auf ihrem Weg zum Flughafen in Porto Seguro vor allem diese Schönheitsfehler an der sonst so ursprünglichen Entdeckerküste kennenlernen. Normale Urlauber und Fußballfans, die vor oder nach den WM-Spielen noch etwas Zeit haben, sollten hingegen Porto Seguro und seine südlichen Strände aufsuchen.

Die koloniale Hafenstadt, deren Name übersetzt «sicherer Hafen» bedeutet, bietet bunte Märkte, schmucke Geschäfte und zahlreiche Fischrestaurants. Genau das richtige Programm also, um die aufreibende WM-Zeit entspannt ausklingen zu lassen. dpa

Brasiliens Entdeckerküste

Reiseziel: Die rund 165 Kilometer lange Costa do Descobrimento befindet sich im südlichen Teil des Bundesstaates Bahia im Nordosten Brasiliens.

Anreise: Lufthansa, die portugiesische TAP und Brasiliens TAM fliegen von Deutschland aus meistens über São Paulo nach Porto Seguro. Deutsche benötigen für die Einreise lediglich einen mindestens sechs Monate gültigen Reisepass. Am Flughafen gibt es Mietwagen zu leihen.

Wetter: Das Klima an der Costa do Descobrimento ist ganzjährig schwül-warm. Während des brasilianischen Winters, zur Fußball-WM, herrscht Regenzeit. Die Temperaturen liegen bei 28 Grad. Es ist gelegentlich mit kräftigen, aber kurzen Schauern zu rechnen.

Währung: Brasilianischer Real. 1 Euro enspricht etwa 3,02 Real (Kurs: April 2014).

Infos: Informationen über die Region, Freizeitangebote, Hotels und Restaurants beim Fremdenverkehrsamt Bahiatursa, bahia.com.br