Von Miriam Bandar
Die Petersilie ist noch etwas gelb, dafür reckt sich der Schnittlauch schon halb aus der Erde. Am Feld nebenan sprießt die Pimpernelle vor dem Hintergrund der Frankfurter Skyline. Ein paar Nilgänse flüchten, als Rainer Schecker mit seinem roten Traktor anrollt. «Die kennen mich jetzt schon und fliegen weg», sagt der 52-jährige Gärtnermeister. In etwa einer Woche will er im Stadtteil Oberrad wieder die inzwischen EU-geschützte «Frankfurter Grüne Soße» ernten. Er verkauft sie dann auf Wochenmärkten und in seinem Hofladen. Zwar hat er die charakteristischen weißen Papierrollen jetzt schon im Angebot, darf sie aber nur «Grüne Soße» nennen, da sie teilweise zugekaufte Kräuter enthalten. Passend zur Fastenzeit beginnt seinen Angaben nach die Hauptsaison.
Doch so beliebt und identitätsstiftend das regionale Gericht in ganz Hessen ist, so alleingelassen fühlen sich die Oberräder Gärtner mit ihren Problemen: Gefräßige Nilgänse und Raben, Vandalismus an den Gewächshäusern, Diebstahl und militante Hundebesitzer. Je nach Lage des Feldes müssten Gärtner deshalb auf bis zu 30 Prozent ihrer Ernte verzichten, sagt ein Sprecher des Gartenbauverbandes Baden-Württemberg-Hessen, Thomas Södler. Komme dann wie im vergangenen Jahr die Trockenheit dazu, werde die Lage noch kritischer: «Das kann existenzbedrohend werden.»
Kerbel, Pimpernelle und Schnittlauch munden den sich in Frankfurt ausbreitenden Nilgänsen besonders, berichtet Schecker. Zudem trampelten sie die anderen Kräuter platt. «Sobald ich welche sehe, mache ich Rabatz.» Er und seine Kinder rennen den Plagegeistern regelmäßig hinterher. Auf professionelle Vergrämungsmaßnahmen mit Lärm müsse er durch die Lage seiner Felder im Stadtgebiet nahe an Wohnhäusern verzichten. Inzwischen fürchteten die Tiere ihn schon und hätten sich zu anderen Plätzen verzogen.
Die zweibeinigen Störenfriede lassen sich nach seinem Bericht jedoch deutlich schwieriger vertreiben als die gefiederten. «An sonnigen Tagen geht es hier fast zu wie auf der Zeil», sagt er mit Blick auf die die Felder durchteilenden Rad- und Spazierwege. Grundsätzlich habe er da ja gar nichts dagegen - wenn die Menschen auf den Wegen bleiben würden. Die einen pflückten sich hemmungslos Kräuter, die anderen lassen ihren Hund laufen oder werfen Müll ins Feld. «Allein mit den eingesammelten Flaschen hätte ich schon einen Nebenerwerb.» Da wird die oft beschworene besondere Lage der Felder in der Stadt vom Alleinstellungsmerkmal zum Problem.
Die Probleme würden seit Jahren schlimmer, sagt Södler, der mit seinem Verband auch weitere Gärtner der Grünen Soße vertritt. «Neu ist, dass im Dialog mit den Menschen keine Einsicht mehr entsteht.» Viele hätten kein Bewusstsein mehr dafür, dass auf den Feldern ein schützenswertes Lebensmittel in Handarbeit angebaut werde, sagen der Experte und Schecker übereinstimmend. Stattdessen beschwerten sich inzwischen Anwohner oder Spaziergänger, wenn die Gärtner am Wochenende gießen oder ernten müssten. «Hundebesitzer sehen nicht mehr ein, warum das Tier da nicht sein Häufchen machen darf», sagte Södler. Oder es sei den Haltern egal, wenn die Tiere über das Feld laufen und die empfindlichen Kräuter niederrennen, sagte Schecker.
Als Konsequenz hat der Gärtner für diese Saison Zäune errichtet. Doch die schützen seiner Einschätzung nach auch nicht vor allem: Fast alle Scheiben seiner Gewächshäuser sind flächendeckend mit Graffitti besprüht, sodass kaum noch Sonne hereinkommt. Immer wieder werden Scheiben eingeschlagen. Wie die Sprayer kommen auch die Diebe meist in der Nacht. «Letztes Jahr zu Ostern wurden mir hier 100 Quadratmeter Kerbel geklaut.» Die Kriminellen fahren nach Schilderung der Experten nachts mit einem Transporter und mehreren Menschen in die Felder, ernten und sind sehr schnell wieder weg.
Übereinstimmend fordern Södler und Schecker eine Art Wachmann für die Felder als mögliche Lösung. «Wir brauchen jemanden, der das für uns im Blick behält», sagte Södler. Das könnten die Gärtner aber nicht alleine leisten: «Wir brauchen die Unterstützung der Stadt.» Er wünscht sich beispielsweise einen runden Tisch mit den Gärtnern und der Politik, um nach Lösungen zu suchen. Vor Jahrzehnten habe es deutschlandweit sogenannte Feldschützer gegeben, die solch eine Aufgabe übernommen hätten.
Das könne die Stadtpolizei nicht aus dem Stegreif leisten, sagt der Sprecher des Ordnungsamtes, Ralph Rohr. Beim Ordnungsamt waren die Feldschützer als Vorläufer der Stadtpolizei früher angesiedelt. Die rund 200 Mitarbeiter in Frankfurt hätten sowieso schon ein riesiges Aufgabengebiet von der Kontrolle von Shisha-Bars bis zu der Durchsetzung des Grillverbots in Parks: «Wir können das von uns aus nicht leisten, da eine Standwache hinzustellen», so der Sprecher. Grundsätzlich verstehe er das Problem der Gärtner: «Aber das ist eine politische Entscheidung.» dpa
Sieben Kräuter, hunderte Rezepte: Die Frankfurter Grüne Soße
Die «Grüne Soße» oder auch «Grie Soß» ist eine Mischung von sieben frischen Kräutern: Petersilie, Schnittlauch, Kerbel, Kresse, Pimpernelle, Borretsch und Sauerampfer. Sie wird traditionell im Frankfurter Stadtteil Oberrad angebaut.
Seit 2016 darf sich nur noch «Frankfurter Grüne Soße» nennen, was aus der Region kommt: Laut EU-Verordnung müssen die Zutaten aus Frankfurt oder angrenzenden Kommunen stammen und mit der Hand zu einem Gebinde verarbeitet werden. Es gibt auch weitere Vorgaben zum Verhältnis der verschiedenen Kräuter untereinander, damit das Gericht möglichst authentisch schmeckt.
So klar die sieben Kräuter als Zutat sind, so vielfältig sind die Rezepte für das Traditionsgericht: Die Frage, ob die Kräuter mit Mayonnaise gerührt werden oder mit Senf abgeschmeckt werden darf, hat sicherlich schon zu manch heftigem Familienstreit geführt. Auf einer bekannten Koch-Plattform im Internet finden sich hunderte Rezepte.
Grüne-Soßen-Bauer Rainer Schecker schwört auf die puristische Zubereitung seiner Großmutter: Die gehackten Kräuter mit gleichem Gewichtsanteil Saurer Sahne oder Schmand verrühren. Mit Salz, Pfeffer, Essig und etwas Zucker abschmecken. Pro Person ein gehacktes Ei unterheben. Am besten wird seiner Meinung nach die Grüne Soße, wenn die Hälfte der Kräuter durch den Fleischwolf gedreht wird - damit die Soße gleichmäßig grün durchfärbt. Die andere Hälfte sollte für den Biss mit der Hand gehackt werden.
Info: Gärtnerei Schecker, Im Teller 23, 60599 Frankfurt am Main-Oberrad