Kochen, backen und würzen mit Physiker Thomas Vilgis

Von Andrea Löbbecke

Der Hefekuchen im Büro des Physikers Thomas Vilgis ist ungeplant zu einer Art Dauerexperiment geworden. «Ach, den haben wir mal bei Fernsehaufnahmen gebacken und dann habe ich ihn im Ofen vergessen», erzählt der Forscher im Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz. Obwohl schon ein paar Jahre alt, hat sich das Backwerk bis auf ein paar Risse gut gehalten. Aber warum interessiert sich ein Physiker für Kuchen?

«Ich bin in der großartigen Lage, fast nur über Essen nachdenken zu dürfen», beschreibt Vilgis seinen Beruf. Der Hobbykoch befasst sich auch in seiner Forschung überwiegend mit den physikalischen und chemischen Eigenschaften von Lebensmitteln. Er hat bereits mehrere Bücher über die Molekularküche geschrieben, bei der Köche mit diesen Eigenschaften experimentieren und besonders ausgefallene Speisen zubereiten.

Wie sind Pflanzenzellen aufgebaut und was bedeutet das für das Kochen? Wie verändern verschiedene Sorten von Zucker ein Gericht? Welches Geliermittel ist am besten geeignet, um bestimmte Aromen freizusetzen? Das sind Fragen, mit denen sich Vilgis befasst. Sie betreffen naturgemäß nicht nur die Molekularküche oder das alltägliche Kochen, sondern vielmehr grundlegende Zusammenhänge der industriellen Lebensmittelproduktion.

Forschung ist wichtig für die Lebensmittelindustrie, nicht nur um Produktionsabläufe zu optimieren und etwa Energie zu sparen. Es gehe auch darum, Gehalte an möglicherweise kritischen Inhaltsstoffen zu minimieren, sagt eine Sprecherin des Forschungskreises der Ernährungsindustrie in Bonn. Der Zusammenschluss unterstützt unter anderem Wissenschaftler, die bestimmten Bakterien in Lebensmitteln auf der Spur sind oder neue Röstverfahren für Kakao untersuchen.

Streng wissenschaftlich betrachtet, ist jede Küche eine Art Labor. Durch Rühren, Kochen, Braten und Einfrieren verändern die Moleküle in den Lebensmitteln ihre Struktur. Eine Firma hat beispielsweise im Max-Planck-Institut Pasta- und Brotteig wissenschaftlich untersuchen lassen. Über die Verbindung von Stärke und Wasser im Teig, da sei Vieles noch nicht aufgeklärt, sagt Vilgis.

Einen molekularen Mechanismus haben vielleicht schon viele in der eigenen Küche beobachtet: Bei Brotteig muss man an einem bestimmten Punkt aufhören zu kneten, sonst ist er überknetet und hält nicht mehr so gut zusammen. «Das ist wie bei einem Orangennetz, wenn die Maschen aufgeschnitten werden und die Früchte rausfallen.»

Auch wenn Vilgis zu Hause am eigenen Herd steht, gehen ihm die Polymerstrukturen von Fleisch, Fisch und Gemüse durch den Kopf. «Ich überlege etwa, wie ich ein Gewürz am besten dorthin ins Gericht bekomme, wo ich es möchte», erzählt er. Und er hat auch jede Menge Ratschläge parat, etwa für eine Schokocreme. «Statt Eigelb kann man auch Sojamilch als Emulgator verwenden», schlägt Vilgis vor. Bei 40 bis 45 Grad im Wasserbad in dunkle Schokolade eingerührt - das sei schmackhaft.

Für die Zubereitung von Quittenmarmelade steckt der Physiker die festen gelben Früchte zuerst rund vier Minuten in die Mikrowelle. dadurch werden sie weich und lassen sich besser weiterverarbeiten. Seine Forschungsergebnisse veröffentlicht Vilgis in der Fachliteratur, aber auch für jeden zugänglich im selbstverlegten Magazin «Journal Culinaire - Kultur und Wissenschaft des Essens».

«Insgesamt ist Gemüse schwieriger zu kochen als etwa ein Stück Fleisch, das ich einfach in der Pfanne brate», sagt Vilgis. Allerdings stecke etwa in Karotten viel mehr, als bei der «normalen Kocherei» zum Vorschein kommt. Die Vorschläge des Experten: Karotten in Orangenöl dünsten oder mal als süßes Püree zubereiten. «Daraus kann man dann auch gefrorene Würfelchen herstellen, diese in flüssige Schokolade tauchen und nach dem Erkalten als Praline servieren. Köstlich.»

Wichtigster Tipp für die Weihnachtsgans: Sie muss schön fettig sein, weil Fett das Austrocknen verhindert. «Ich würde sie auch nicht unbedingt bei 250 Grad in den Ofen schieben, sondern eher bei verhaltenen Temperaturen.» Erst außen anbraten für die Knusprigkeit und dann bei höchstens 100 Grad garen und lieber länger drinlassen. Wer noch mehr Röstaromen möchte, kann die Gans zum Abschluss mit dem Gasbrenner nochmal schön abflämmen. dpa

Zerstäubte Aromen verfeinern Gerichte

Pfefferspray in der Suppe? Was komisch klingt, ist prinzipiell möglich. Vorausgesetzt, es wird nicht der handelsübliche Reizstoff gegen Angreifer, sondern ein richtiges Aromaspray benutzt. Was Spitzenköche schon heute einsetzen, lässt sich auch in der heimischen Küche prima zum Würzen nutzen, ist der Physiker Thomas Vilgis überzeugt. Er ist Mitautor des Buches «Aroma - Die Kunst des Würzens».

Jeder könne sich das passende Aromaspray auch zu Hause selbst herstellen, sagt Vilgis. Aromen ließen sich in Öl, Alkohol oder Wasser extrahieren.» Beispielsweise lässt sich Pfefferminze wie beim Tee mit Wasser überbrühen. «Anschließend kann man die Flüssigkeit in einen Zerstäuber füllen und fertig ist das Aromaspray», erläutert der Wissenschaftler. «Das können Sie im Prinzip mit allem machen.»

Nach dem gleichen Prinzip entsteht auch das selbst gemachte Spray mit Pfefferaroma. Zuerst werden die Pfefferkörner zerstoßen. «Dann überbrühen Sie den Pfeffer mit heißem Wasser und lassen alles etwa eine Stunde stehen», sagt Vilgis. Anschließend werden die Pfefferreste aus der Flüssigkeit gefiltert, damit sie den Zerstäuber nicht verstopfen. «Damit bekommen Sie ein scharfes Aroma.» Wem der erste Aufguss nicht scharf genug war, verwendet einfach mehr Pfefferkörner und weniger Wasser.

Wichtig für die Herstellung der Aromasprays sei lediglich das richtige Lösungsmittel. Die Aromen von Kardamom und Zimt lösen sich beispielsweise in hochprozentigem Wodka. Auch ein Aroma passend zu Weihnachten sei möglich: Dafür werden Glühweingewürze länger in Wein gekocht. «Anschließend kann man die Gewürze herausfiltern und den Wein in den Zerstäuber füllen.» Das Aroma sei eine sehr gute Ergänzung zur Weihnachtsgans.

Die Aromen sind jedoch sehr flüchtig, wie Vilgis betont. «Das Spray sollte man daher erst ganz zum Schluss benutzen», rät er. An Weihnachten kann das so aussehen: Jeder Gast bekommt seinen eigenen Zerstäuber mit Glühweinaroma. Damit kann er nach Belieben etwas Aroma über das Stück knusprige Weihnachtsgans auf seinem Teller sprühen.

Insgesamt könne ein bisschen mehr Mut in der Küche nicht schaden, sagt Vilgis. Statt einer Gewürzmischung biete sich auch ein einziges Gewürz gezielt an. «Ein Schmorbraten lässt sich gut mit einer Zimtstange würzen.» Dabei sollte aber genau auf das jeweilige Gewürz geachtet werden, denn nicht alle hielten es lange in Hitze aus. «Sehr oft wird zum Beispiel Rosmarin zu lange gekocht.» Maximal sollten es aber 15 bis 20 Minuten sein, sonst werde Rosmarin bitter.

Aroma - Die Kunst des Würzens

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