Von Cordula Dieckmann
Ins Paradies sind es nur wenige Schritte: Von der lauten, abgasstinkenden Straße in den unscheinbaren Hinterhof-Laden. Kaum durch die Tür, schon wird man überwältigt vom köstlichen Duft. Seit 10.00 Uhr morgens wird in der Firma Kuchentratsch in München gebacken. Karotten-, Käse- und Blaubeerkuchen, ein zuckersüßer Traum.
Ausgebildete Bäcker sucht man in der Großküche allerdings vergeblich. Stattdessen sind an diesem Vormittag mehrere Frauen und ein Mann im Rentenalter am Kneten und Rühren. «Kuchen von Oma», so der Slogan des Start-Ups, das sich auch als soziales Projekt für Senioren versteht.
«Sie haben wieder eine Aufgabe, fühlen sich gebraucht und haben die Möglichkeit, ein bisschen Geld dazuzuverdienen», erklärt Katrin Blaschke. Deshalb hat sie das Unternehmen mit Katharina Mayer gegründet und mittlerweile auch die besten Rezepte in einem Kochbuch zusammengetragen.
Oma Regina ist gerade mit einer Birnentarte zugange. Der Mürbeteig ist schon fertig. Jetzt kleidet sie damit die Springform aus. «Dann kommen Birnen rein und danach noch eine Schmandmasse drauf», erklärt die 67-Jährige frühere Krankenschwester. Bei den Kuchentratsch-Kunden ist die Tarte sehr begehrt: «Die wird jede Woche von Cafés bestellt». Mehrere Lokale in München, aber auch Unternehmen und Privatleute ordern das Gebäck, das nach alten Familienrezepten gebacken wurde.
Nostalgie pur, wie sie in der Küche schon länger Einzug gehalten hat, mit Streublümchendecken, Tupfendekor und karierten Geschirrtüchern. Das einfache Leben, so wie früher. Der Sozialpsychologe Jacob Juhl von der Universität im britischen Southampton hält dieses Schwelgen in der Vergangenheit für sehr wichtig. Sie sei eine Art Vitamin für die Seele. «Die Nostalgie gibt uns ein Gefühl von Kontinuität, von Zugehörigkeit», erklärt er.
Und es mache vielleicht auch optimistischer. «Wenn sich die Leute von Großmutters Rezepten angezogen fühlen, geht es weniger um das Essen an sich als um den Kontext, in dem sie das gegessen haben.» Eine Erinnerung an Kindertage, als alles noch leicht und unbeschwert war. «Es war nicht einfacher, aber wir vereinfachen es in unserem Kopf. Die Leute sehen die Vergangenheit durch eine rosa Brille», ist Juhl überzeugt.
Nostalgie spielte auch bei Kuchentratsch-Gründerin Mayer eine Rolle, als sie in München guten Kuchen suchte. Ihre Erkenntnis: «Eigentlich gab es den besten Kuchen immer bei der Oma». Doch was macht die Oma, wenn die Enkel wegziehen und keiner mehr da ist, der ihn essen mag? «Wir wollen mit Kuchentratsch ein soziales Problem lösen und Geld verdienen», erklärt Blaschke. Ihrer Großmutter hätte das gefallen, meint die Betriebswirtschaftlerin.
«Für sie wäre es richtig schön gewesen, wenn sie so eine Anlaufstelle wie Kuchentratsch gehabt hätte, wo sie rausgehen und neue Leute kennenlernen kann und wieder eine Beschäftigung gehabt hätte.» Viele backen nach alten Rezepten aus der Familie. «Die Kuchen werden alle mit Liebe gebacken, es werden keine Zusatzstoffe hineingetan, wirklich nur Butter, Mehl und Eier», sagt Blaschke.
Im April 2014 gründeten die Freundinnen ihre Backstube, seit kurzem verschicken sie ihre Kuchen sogar deutschlandweit. Mehr als 25 Senioren stehen dafür regelmäßig in der Küche. Warum sie dabei sind? «Meine zwei Söhne sind außer Haus, für meinen Mann und mich muss und kann ich nicht mehr so viel backen, das kommt alles auf die Hüften», erklärt Oma Brigitte und lacht.
Ähnlich ist es bei Oma Regina. «Wir freuen uns alle, dass wir uns wiedersehen, weil wir gerne backen und auch so gerne zusammen sind. Es ist schön, weil wir uns alle helfen.» Montags, wissen ihre Freunde, hat die ehemalige Krankenschwester keine Zeit. «Schluss, aus, da wird gebacken!», auch wenn ihr am Ende eines Backtages die Lust auf Kuchen vergangen ist. «Ich hätte eigentlich Lust auf ein Stück Salami, was Pikantes», sagt sie.
Und Opa Norbert, früher beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, freut sich vor allem auf den Moment, wenn er den fertigen Kuchen aus dem Rohr holen kann. «Vielleicht liegt es daran, dass ich früher Beamter gewesen bin. Ich habe meine Akten links genommen, in der Mitte bearbeitet und rechts abgelegt. Hier sieht man zum Schluss, wenn man gearbeitet hat, ein fertiges Produkt.»
Die Idee von Kuchentratsch ist nicht neu. In New York stehen Frauen im Großmutteralter in der «Enoteca Maria» am Herd und begeistern die Gäste mit ihren Kochkünsten. Und in Wien gibt es die «Vollpension», ein Generationenkaffeehaus, schreiben die Betreiber auf der Homepage. Sie versprechen «die beste Mehlspeis' zwischen Wien und Tokio», «Kuchen, Kitsch und Oma-Glücksgefühl» und verkaufen ein Kochbuch, «Kuchen von der Oma - Backweisheiten und Lebensrezepte».
Die Gäste können Torten bestellen, zum Frühstück die «Siasse Oma» oder den «Erbschleicher für 2 Personen» genießen oder auch kleine Gerichte wählen. Ihr Lohn: nicht nur Geld, sondern auch Gespräche, oder wie es im Vollpension-Kochbuch heißt: «Durchs Reden kommen d'Leut z'am». dpa
Infos:
Katharina Mayer, Katrin Blaschke, Kuchentratsch, Frech-Verlag/Thalia.de, 96 Seiten, 15,99 Euro
Backstube Kuchentratsch, Landsberger Str. 59, 80339 München