Von Denis Düttmann
Eine weiße Dampfwolke steigt empor, als die Arbeiter mit kräftigen Spatenstichen die Agavenfasern zur Seite schaufeln. Es riecht nach würzigen Harzen und Pflanzensäften, fruchtig und nach Röstaromen. Fünf Tage wurden die Agavenherzen über Holzfeuer und Steinen gedämpft, abgedeckt von einer Schicht Pflanzenfasern und Sand in einem Erdloch. "Erst jetzt wissen wir, ob sich die Arbeit gelohnt hat", sagt Graciela Angeles Carreño. "Die Kunst besteht darin, die richtige Menge Holz zu wählen. Wenn zu viel Glut entsteht, verbrennen die Agavenherzen. Wenn es nicht heiß genug wird, bleiben sie innen roh."
Die Familie Angeles betreibt in dem Dorf Santa Catarina Minas im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca die Destillerie Mezcal de los Angeles. Auf traditionelle Weise brennt sie dort unter dem Markennamen Real Minero den mexikanischen Nationalschnaps. Lange Zeit lediglich für sich selbst und die Nachbarn - in den Städten galt der Mezcal als Arme-Leute-Schnaps. In den vergangenen Jahren ist er aber schwer in Mode gekommen. In Mexiko-Stadt gibt es mittlerweile In-Bars, die sich ganz dem Agaven-Schnaps verschrieben haben, und auch im Ausland kommen immer mehr Leute auf den Geschmack.
"Der Mezcal hat an Reputation gewonnen", sagt der Berliner Axel Huhn, der den Schnaps der Familie Angeles nach Deutschland importiert. Er verkauft ihn vor allem an Bars und Restaurants sowie an Großhändler in anderen europäischen Ländern. "Berlin hat eine eingeschworene Barszene - da empfehlen die Barkeeper ihre neuesten Entdeckungen weiter", sagt Huhn.
Dennoch muss er bei seinen Verkaufstouren noch immer viel Überzeugungsarbeit leisten. Er erklärt den Unterschied zum weitaus bekannteren Tequila, der auch ein Mezcal ist, aber nur aus der blauen Agave gewonnen werden darf. Und er räumt mit der Legende auf, dass in jede Mezcal-Flasche ein Wurm gehört. Dabei habe es sich lediglich um einen Marketing-Gag gehandelt, mit dem ein Mezcal-Produzent in den 1950er Jahren seine Marke ins Gespräch bringen wollte.
Außerdem ist zumindest guter Mezcal nicht gerade billig. In der Berliner Mezcalería kosten die Flaschen zwischen 30 und 100 Euro. Sondereditionen beispielsweise aus seltenen wilden Agavenarten können schon mal mit 170 Euro zu Buche schlagen.
Mezcal wird größtenteils in Handarbeit hergestellt, die Großproduktion wie beim verwandten Tequila ist weitgehend unbekannt. "In Oaxaca gibt es keinen Großgrundbesitz wie im Norden", erklärt Graciela Angeles. "Die Bauern haben hier meist nur kleine Parzellen und können gar nicht so große Mengen an Agaven ernten." Deshalb betreiben viele Oaxaquenos die Brennerei nur als Nebenerwerb. Zwischen den Agaven ziehen sie Mais und Bohnen.
Die Familie Angeles ist vor einigen Jahren hauptberuflich ins Mezcal-Geschäft eingestiegen. Sie besitzt selbst ein paar kleine Felder, den Großteil der Agaven kauft sie aber von Bauern aus der Region dazu. Schon die Auswahl der Pflanzen ist eine Wissenschaft für sich. Insgesamt gibt es etwa 50 Agavenarten, jede hat ihr eigenes Geschmacksprofil. "Die wilden Agaven haben einen sehr komplexen Geschmack", sagt Graciela Angeles beim Spaziergang über eines der Felder der Familie. "Allerdings gibt es davon nicht so viele." Deshalb werden für die Mezcal-Herstellung vor allem Pflanzen der Sorte Espadín genutzt, die 90 Prozent der kultivierten Agaven ausmachen.
Nachdem die Arbeiter die bis zu 40 Kilo schweren Agavenherzen aus dem Ofen geholt haben, stapeln sie sie zum Trocknen auf Paletten. Nach fünf Tagen werden die sogenannten Piñas zerteilt. In sehr kleinen Betrieben kommen noch immer von Pferden angetriebene Mühlen zum Einsatz, die Familie Angeles hat sich mittlerweile eine Häckselmaschine angeschafft.
In großen Fässern wird die Maische nun zum Fermentieren angesetzt, nach drei Tagen kommt Wasser hinzu. Immer wieder probieren die Mezcal-Brenner den Fruchtsaft, um den perfekten Zeitpunkt für den Beginn der Destillation zu bestimmen. Um ganz sicher zu gehen, verreiben sie einige Tropfen in der Handfläche. Sind noch Kristalle zu spüren, ist es noch nicht so weit. "Als Mezcalero brauchst du alle deine Sinne", sagt Graciela Angeles. "Deinen Geschmacksinn, deinen Geruchssinn, deinen Tastsinn."
Für die Destillation füllt Gracielas Vater Lorenzo Angeles Mendoza die Maische in Lehmtöpfe, die von unten befeuert werden. Der Alkohol kondensiert an einem mit kaltem Wasser gefüllten Kupfertopf und tropft in einen hölzernen Löffel, der das Destillat in den Auffangbehälter leitet. "Diese Technik sollen philippinische Einwanderer nach Mexiko mitgebracht haben", sagt Graciela. "Es gibt allerdings auch Hinweise darauf, dass die Indios bereits vor Ankunft der Spanier eine ähnliche Methode benutzten."
Bevor der Mezcal nach zwei oder drei Brennvorgängen abgefüllt wird, macht Lorenzo die Probe aufs Exempel. Er lässt den Schnaps aus einem Trichter in eine Schale fallen. "Je größer die Bläschen sind, desto höher ist der Alkoholanteil", erklärt er. "Für einen guten Mezcal brauchen wir zwischen 48 und 53 Volumenprozent."
Auch wenn das Grundprinzip des Mezcal-Herstellung immer das gleiche ist, gibt es feine Unterschiede zwischen den Palenques, wie die Brennereien in Anlehnung an die Siedlungen entlaufener Sklaven während der Kolonialzeit genannt werden. "Jede Destillerie hat ihre eigene Technik für den Bau des Ofens, eigene Rezepte, eigene Methoden der Fermentierung", sagt Graciela Angeles. "Deshalb ist der Mezcal das wahre Nationalgetränk Mexikos. Er spiegelt alle Aspekte des Landes wider."
Bereits die Ureinwohner Mexikos nutzten Agaven auf vielfältige Weise. So vergoren sie den Saft der Pflanzen zu Pulque, der bei religiösen Ritualen getrunken wurde. Die Bezeichnung Mezcal leitet sich von dem Wort "Mezcalli" ab, das in der Azteken-Sprache Nahuatl "gekochte Agave" bedeutet.
Die Spezialität der Familie Angeles ist der Mezcal "Pechuga". Bei der Destillation werden der Maische Ananas, Äpfel, Bananen, Mandeln und ein Säckchen Reis zugegeben. In die Brennblase hängen die Mezcaleros außerdem eine Hühnerbrust, die der Sorte den Namen gibt. Das Ergebnis ist ein kräftiger Mezcal mit fruchtigen, herben und würzigen Noten.
Der Berliner Importeur Axel Huhn und sein Kompagnon Nils Dallmann haben den Mezcal während einer Reihe von Praktika kennen und schätzen gelernt. Als Architekturstudenten bauten sie in Oaxaca im Rahmen von Entwicklungsprojekten einfache Häuser für die Landbevölkerung. Mittlerweile haben sie ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Huhn vertreibt über seine Berliner Mezcalería derzeit neun Sorten verschiedener Brennereien, Dallmann hält in Mexiko-Stadt den Kontakt zu den Lieferanten.
"Der Mezcal ist für den Süden Mexikos mehr als nur ein Getränk. Er schafft Arbeitsplätze in einer Region, in der es sonst nicht viel gibt", sagt Dallmann. "In Guerrero kennen wir zwei Leute, die aus den USA zurückgekehrt sind, um in das Geschäft einzusteigen. Das war früher unvorstellbar." dpa