Von Antonia Lange
Mal dauert eine Hochzeitsfeier länger, mal wollen noch verspätete Reisende verköstigt werden: Weil Wirte und Hoteliers oft unregelmäßige und lange Arbeitszeiten haben, leiden sie besonders unter - aus ihrer Sicht - strengen Vorgaben beim Mindestlohn. 4000 Gastronomen haben deswegen am Montag in Stuttgart mit einer politischen Kundgebung protestiert.
Stein des Anstoßes ist vor allem die Dokumentationspflicht der Arbeitszeiten: "So etwas funktioniert vielleicht in einer Stadtverwaltung oder bei einer Bank, wo der Feierabend zur festgelegten Uhrzeit kommt", sagte Fritz Engelhardt, Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Baden-Württemberg, bei der Kundgebung in einem Festzelt auf dem Stuttgarter Frühlingsfest. "Bei uns bestimmt der Gast, wie lange wir arbeiten!"
Am Morgen hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) nach einem Koalitionsgipfel erklärt, sie halte die Dokumentationspflichten für angemessen. "Die hat noch nie eine Kneipe von innen gesehen", kritisierte CDU-Landtagsfraktionschef Guido Wolf. Der Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl im März 2016 kündigte bei der Kundgebung an, sich selbst als Gastronom versuchen zu wollen, um die Nöte der Branche besser verstehen zu können.
Der Dehoga argumentiert, die Abläufe in der Branche seien so unregelmäßig, dass eine detaillierte Erfassung der Arbeits- und Pausenzeit extrem aufwendig sei. Die Höhe des Mindestlohns sei für die meisten Gastronomen und Hoteliers nicht das Problem. Seit Jahresbeginn gilt bundesweit ein Minimallohn von 8,50 pro Stunde.
Zu der Dehoga-Kundgebung am Montagabend waren unter anderen auch Tourismusminister Alexander Bonde (Grüne), Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) und der FDP-Landesvorsitzende Michael Theurer gekommen.
Schützenhilfe erhielt die Branche auch von Bonde: "Ich fordere die Bundesregierung auf, die Dokumentationspflichten so schlank wie nur möglich zu halten." Die Spitzen von Union und SPD im Bund hatten die wichtigen Streitpunkte in der Nacht vertagt. "Ja zu gerechten Löhnen - aber nur mit dem Verwaltungsaufwand, den es wirklich braucht."
Theurer bezeichnete die Regeln zur täglichen Höchstarbeitszeit und zur Aufzeichnungspflicht auch für mitarbeitende Ehepartner, Kinder und Eltern in der Gastronomie als "wirklichkeitsfern". Der Dehoga will die Aufzeichnungspflicht ab der ersten Stunde abgeschafft sehen ebenso wie die für Familienangehörige und Minijobber. Zudem fordert der Verband, dass in der Branche unter bestimmten Auflagen auch mal zwölf Stunden pro Tag gearbeitet werden darf.
"Sicher gibt es für all die Pflichten irgendwelche Gründe", sagte Engelhardt. "Aber irgendwann wird es einfach zu viel." Im Südwesten sind im Hotel- und Gastro-Bereich den Angaben zufolge rund 200 000 Menschen beschäftigt.
"Was wir leisten und was unsere Gäste von uns erwarten, bringt uns fast zwangsläufig in Konflikte mit dem Arbeitszeitgesetz", bemängelte Dehoga-Präsident Engelhardt. Als Beispiele nannte er etwa einen Koch, der noch eine Stunde länger bleibe, um späten Gästen etwas Warmes aufzutischen.
Wirtschaftsminister Schmid betonte indes, dass die von der Branche bemängelten Dokumentationspflicht "ohne Zweifel" nötig sei - und wurde dafür laut ausgebuht. Zugleich signalisierte er aber auch Unterstützung: "Ich weiß, dass die Erfassung der Arbeitszeit gerade kleine Betriebe vor enorme Herausforderungen stellt", hatte der SPD-Politiker bereits im Vorfeld betont. "Daher solle der Bund Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern bei der Anschaffung technischer Lösungen zur Arbeitszeiterfassung unterstützen." dpa
Guido Wolf will sich als Gastronom versuchen
CDU-Landtagsfraktionschef Guido Wolf will sich angesichts der Kritik der Wirte an zu viel Bürokratie beim Mindestlohn selbst als Gastronom versuchen. «Ich werde in den kommenden Tagen und Wochen Dienst tun in einer Gastronomie», kündigte der 53 Jahre alte Jurist am Montag in Stuttgart an.
Damit will der Spitzenkandidat seiner Partei für die Landtagswahl 2016 nach eigenem Bekunden besser verstehen, was die Branche bewegt. Mehr als 4000 Wirte hatten am Montag auf dem Stuttgarter Frühlingsfest gegen die Dokumentationspflichten beim Mindestlohn protestiert.
Zuvor hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) erklärt, sie halte diese für angemessen. Wolf sagte dazu: «Die hat noch nie eine Kneipe von innen gesehen.»
Kritikpunkte der Gastronomie am Mindestlohn
DOKUMENTATIONSPFLICHT: Beginn, Ende, Dauer und Pausen - um die Einhaltung des Mindestlohns kontrollieren zu können, muss das für jeden Mitarbeiter aufgeschrieben werden. Wirte leiden nach eigenen Angaben besonders unter dem bürokratischen Aufwand: «Wir arbeiten von morgens bis abends, und wir haben keine Verwaltungsabteilung, die uns den Schreibkram erledigt», sagt Fritz Engelhardt, Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Baden-Württemberg. Der Dehoga will daher die Aufzeichnungspflicht ab der ersten Stunde abgeschafft sehen, ebenso wie die für Familienangehörige und Minijobber.
ARBEITSZEITEN: Schichtzeiten von mehr als zehn Stunden am Tag sind verboten - den Gastronomen zufolge aber zumindest in Ausnahmefällen nötig. «Zwölf Stunden Arbeit pro Tag müssen möglich sein», fordert Engelhardt und betont: «An maximal drei Tagen pro Woche, bei vollen Zeitausgleich und nur, wenn der Arbeitnehmer zustimmt.»