Nazaré und seine Riesenwellen Monster aus Wasser

Von Manuel Meyer

Der Atlantik vor dem portugiesischen Fischerdorf Nazaré wirkt nahezu friedlich an diesem sonnigen Wintermorgen. Vom Hafen fahren wir im Jetski zur Praia do Norte, dem berühmt berüchtigten Nordstrand. Daniel Rangel fetzt über das flache Wasser.

Doch in der Ferne sind die Monster bereits zu sehen. Sie brechen genau vor den Klippen, auf denen eine alte Festungsanlage thront. Hier befindet sich der Ort, den die Surfer auch gerne die «Todeszone» nennen.

Hört sich ein wenig überdramatisch an. Doch je mehr wir uns nähern, desto fester klammere ich mich an Daniel. Kurz vor unserem Ziel hält er den Jetski an und dreht sich zu mir um: «Eine Sache noch, bevor wir ankommen. Halte Dich auf keinen Fall an mir fest, sondern nur am Jetski. Denn wenn wir beide ins Wasser fallen, sind wir verloren.»

Haushohe Wellen

Spätestens jetzt schießt der ohnehin schon hohe Adrenalinspiegel ins schier Unerträgliche hoch. Seitlich nähern wir uns den Wellen. Zehn Meter hohe Wasserwände, die sich wie aus dem Nichts vor uns aufbauen.

Dutzende Surfer sind am Morgen bereits in der «Todeszone» unterwegs. Kein Wunder: Seit einigen Jahren hat sich der kleine portugiesische Fischerort zu einem der weltweit bekanntesten Spots für sogenannte «Giant Waves» entwickelt.

Vor allem Extrem-Surfprofis aus aller Herren Länder suchen hier die perfekten Riesenwellen und: Weltrekorde. Und wir sind mitten drin. Man braucht kein Surfer zu sein, um diese Naturgewalten aus nächster Nähe erleben zu können. Man braucht aber ein wenig Mut und Lust auf Nervenkitzel. Auch die Surfer sind mit Jetskifahrern unterwegs, da Schwimmen hier undenkbar ist.

Der Unterschied zwischen uns und diesen Lebensmüden: Die Verrückten lassen oben auf der Welle die Leinen los und stürzen sich auf ihren Surfbrettern die Wasserwände hinunter. Ich lege mich im Neoprenanzug auf eine hinter dem Jetski befestigte Styropormatte halb ins Wasser und klammere mich an die Griffeinrichtung.

Nervenkitzel in der «Todeszone»

Das Donnern der gewaltigen Wassermassen ist angsteinflößend, aber auch faszinierend. Manchmal befürchte ich, dass der Jetski es nicht mehr rechtzeitig schafft, oben anzukommen, bevor die Welle bricht. Doch Daniel weiß, was er tut. Der 39-jährige Brasilianer aus Rio de Janeiro steht seit seinem vierten Lebensjahr auf Surfbrettern. Er ist professioneller Big-Wave-Surfer.

«Keine Angst, wir gehen mit Touristen ja nur bei normalen Wellen raus», sagte Daniel vor der Tour. «Normal»? Der Begriff relativiert sich, wenn die Wellen, die auf einen zurollen, so hoch sind wie ein zweistöckiges Haus. Ein mulmiges, ein atemberaubendes Gefühl.

Zehn Meter hohe Wellen sind in Nazaré gar nichts, wenn zwischen November und Februar Monsterwellen-Saison ist. Dann entstehen hier die gewaltigsten Wellen der Welt. Der Grund: Ein fast fünf Kilometer tiefer und 230 Kilometer langer Unterwassercanyon, durch den das Wasser wie durch einen Trichter gepresst wird.

«Wenn die Wassermassen des Atlantiks wenige Hundert Meter vor dem Strand auf das Küstenplateau stoßen und hochgedrückt werden, entstehen die berühmten Monsterwellen von über 30 Metern», brüllt Daniel nach hinten. Interessant, aber sieht der Profi auch die Welle, die gerade auf uns zukommt? Der Plus ist auf 180!

Seit drei Jahren lebt Rangel in Nazaré und führt für Waterfun Nazaré die «Canyon Adrenalin Experience» durch, um sich seine eigenen Wellenspaß zu finanzieren. Das Unternehmen bietet mit Ausflugboten auch weniger «intensive», aber ebenfalls spannende Ausflüge zu den Monsterwellen an.

Schuld daran, dass der Brasilianer und andere Big-Wave-Surfer nach Nazaré kommen, ist Garrett McNamara. Die Wellenreiterlegende aus Hawaii wurde von der Gemeinde 2010 eingeladen, um den Surfspot zu bewerten.

«Als ich diese Wellen zum ersten Mal sah, war ich völlig platt. Seit Jahren fliege ich um die ganze Welt auf der Suche nach den größten Wellen. Von Nazaré hatte ich nie zuvor gehört. Als ich zum Leuchtturm kam, erblickte ich die größten Wellen, die ich je gesehen hatte», sagt der Surf-Guru, der jedes Jahr nach Nazaré kommt. «Es gibt einfach keinen besseren Spot.»

Weltrekordhalter aus Deutschland

Im November 2011 stellte McNamara einen Weltrekord auf – er ritt eine 23,7 Meter hohe Welle. Den aktuellen Rekord, aufgestellt 2022, hält der Nürnberger Sebastian Steudtner mit 26,21 Metern.

Doch es war McNamara, der den unbekannten Fischerort mit seinem Weltrekord in das angesagteste Mekka für Riesenwellen-Surfer verwandelte. Vorher kamen die Urlauber nur im Sommer. Dann ist der Atlantik ruhiger, wenngleich für normal sterbliche Surfer immer noch ein Traum.

Der Ort Nazaré hat lange Sandstrände, erstklassige Fischrestaurants und eine kopfsteingepflasterten Altstadt mit einer imposanten Wallfahrtskirche. Zur Nossa Senhora da Nazaré gelangt man mit einer Seilbahn, sie liegt auf 110 Metern Höhe auf einem Felsplateau mit weiten Panoramablicken.

«Doch dank Garrett haben wir jetzt auch viele Touristen im Winter, welche die weltweit besten Big-Wave-Surfer und die Riesenwellen sehen wollen», sagt Pedro Pisco. Pedro arbeitet in der Marketingabteilung der Stadtverwaltung. Er brachte McNamara einst dazu, Nazaré kennenzulernen.

Stolz zeigt er das Surf-Museum in der Festungsanlage Forte de São Miguel Arcanjo aus dem 17. Jahrhundert, die direkt vor der «Todeszone» auf der Felsspitze thront. Die Ausstellung informiert über den Canyon-Effekt und zeigt spektakuläre Fotos von Riesenwellen und Weltrekorden. Surf-Weltstars haben dem Museum ihre signierten Bretter geschenkt.

Der Ort ist magisch, ein Treffpunkt für Surf-Begeisterte. Hier sitzen auch die Spotter, die mit Radios die Jetskifahrer auf besonders hohe Wellen aufmerksam machen. «Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem man vom Land aus in so unmittelbarer Nähe Riesenwellen beobachten kann», versichert Pedro Pisco. Tatsächlich brechen die Wasserberge so dicht vor der Festung, das ihr Donner und die Gischt selbst hier oben noch gewaltig zu spüren sind.

Info-Kasten: Nazaré

Anreise: Mit dem Flugzeug nach Lissabon. In eineinhalb Stunden ist man per Auto in Nazaré, mit öffentlichen Verkehrsmitteln dauert die Fahrt zwei bis drei Stunden.

Unterkunft/Essen: Infos über Hotels, Restaurants und Aktivitäten unter centerofportugal.com/de

Weitere Infos: www.visitportugal.com.de