Von Claudia Wittke-Gaida
Craft-Bier ist nichts für den Allerwelts-Geschmack. «Entweder man liebt es oder man hasst es», sagt Mareike Hasenbeck. Es sei der erste Schluck, der darüber entscheidet, ob man neugierig wird oder ihm niemals eine zweite Chance gibt. Der Schlüsselmoment für die Münchnerin liegt sieben Jahre zurück und kam bei einem kalifornischen «Pale 31». Das geballte Aroma von Hopfen habe sie umgehauen, sagt sie.
«Es hat einfach Wow gemacht», erinnert sich Hasenbeck, die seinerzeit gar nicht auf Bier stand. «Aber dann fand ich es absolut spannend, wie der alte englische Bierstil Pale Ale mit amerikanischen Aromahopfen modern interpretiert werden kann», fachsimpelt die Bier-Journalistin. Kein Wunder: Sie ist inzwischen diplomierte Biersommelière, dazu gefragtes Jury-Mitglied für Bier-Awards, unter «Feiner Hopfen» bloggt sie über Craft-Bier.
Erfindung für englische Soldaten in Indien
Damit war sie hautnah dabei, als die Craft-Bewegung aus den USA nach Deutschland schwappte. «Das ist gerade mal sieben Jahre her», sagt die Bloggerin. Dabei sind die neuen Craft-Biere keineswegs eine moderne Erfindung der Amis. Zu den populärsten unter ihnen zählt das India Pale Ale (IPA) - und das wurde im 19. Jahrhundert von Engländern erfunden.
«Sie hatten ihr normales Ale zunächst zu den Soldaten nach Indien verschifft. Doch auf der langen Überfahrt kippte das Bier und kam immer schlecht an», erklärt Getränketechnologe Klaas Reglitz vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie. Deshalb hätten die Brauer überlegt, wie sie das Bier stabiler bekommen. «Sie wussten: Das geht nur über den Alkohol oder den Hopfen. Mehr Alkohol konserviert und mehr Hopfen macht widerstandsfähiger gegen Keime», so der Wissenschaftler.
Mit sieben, acht, neun Prozent Alkohol länger haltbar gemacht und stärker gehopft, schickten die Brauer das Ale dann als India Pale Ale auf die Reise - daher auch der Name. «In Indien sollten es die Soldaten einfach mit Wasser verdünnen. Doch die dachten gar nicht daran», berichtet Reglitz, der mit seinem Kollegen Martin Steinhaus am Freisinger Institut intensiv zu Hopfen forscht.
Craft-Bier kühl lagern und schnell trinken
«Wir haben uns verschiedene Hopfensorten aus aller Welt besorgt und herausgefunden, dass das für Craft-Bier typische Hopfenaroma in unterschiedlichsten Konzentrationen enthalten ist», so Reglitz. In einer folgenden Untersuchung stellte sich heraus, dass Craft-Bier nach drei Monaten bei Zimmertemperatur zwei Drittel des wichtigen Geruchsstoffs verliert. Deshalb Reglitz' Empfehlung: «Besser ist es, das Bier kühl zu lagern und schnell zu trinken.»
Der Geruchsverlust sei bedauerlich, weil ein starkes Hopfenaroma Craft-Bier ja gerade ausmacht. «Besonders die amerikanischen Hopfensorten wie Cascade, Citra oder Eureka, mit denen viele kleine Brauereien experimentieren, bringen tropisch-fruchtige Noten mit», so Reglitz. Und mit der Hopfensorte Polaris werde schon mal ein Bier kreiert, das nach Eis-Bonbons riecht und schmeckt.
«Im Trend liegen aber auch Kombinationen mit Malzsorten, die ein Schokoladen- oder Kakao-Aroma hervorbringen können», beobachtet Biersommelière Hasenbeck. Und sie hat noch eine weitere Richtung ausgemacht: India Pale Ales, die mit spezieller Hefe gebraut werden, trüb wie Fruchtsaft aussehen und nach Maracuja oder Mango schmecken.
Doch es sind nicht nur ungewöhnliche Biersorten, die die Bloggerin an der Craft-Szene faszinieren. «Man trifft tolle Persönlichkeiten, die nicht selten in Garagen oder Waschküchen angefangen haben zu brauen. Die jungen Brauer sind meist kreativ und authentisch», so Hasenbeck.
Auch Frauen in Blumenkleidern stehen am Sudkessel
Wer sich einen Namen machen wolle, müsse ein Brauer zum Anfassen sein. Sonst bräuchte er sich gar nicht erst auf Festivals präsentieren. «Und die finden nicht nur in Metropolen statt, sondern auch in der Provinz», beschreibt Hasenbeck den Charme der Szene. «Oft sind die Brauer richtige Bier-Nerds. Sie tragen aber nicht nur lange Bärte, Holzfällerhemd und Tattoos. Es gibt auch immer mehr Frauen, die manchmal sogar in Blumenkleidern oder Latzhosen am Sudkessel stehen.»
Einen guten Craft-Bier-Brauer könne man mit einem guten Koch vergleichen. «Auch der reist viel durch die Welt, sammelt Ideen und verbindet das mit seiner eigenen Handschrift», sagt Marc Rauschmann. Er wurde durch die WDR-«Hobbythek» zum Do-it-yourself-Brauer.
Als Jean Pütz vormachte, wie Bier gemacht wird, zog Rauschmann nach. «Ich funktionierte zunächst den Entsaftertopf meiner Mutter um und braute später in einem alten Kupferwaschkessel im Garten über offenem Feuer», erinnert sich Rauschmann. Das fesselte ihn so, dass er nachher Brauereitechnologie studierte.
Stock Ale reift vier Monate im Whisky-Fass
Heute ist Rauschmann Geschäftsführer der Brau-Manufaktur «BraufactuM». Wie üblich unter Kreativ-Brauern habe jedes seiner 18 Sorten eine eigene Story, eine eigene Idee. Dem Trend, Bier in Holzfässern reifen zu lassen, setzte er noch eins drauf: «Wir kooperieren mit einer deutschen Whisky-Destillerie. Von der bekommen wir Eichenfässer, in denen zuvor drei Jahre Malt Whisky lagerte. Und nun noch mal für vier Monate unser Stock Ale», erklärt der 51-Jährige.
Und was kommt dabei heraus? «Ein süßliches Aroma nach Trockenfrüchten und Rosinen, mit fast 12 Prozent Alkohol und leichter Whiskynote», beschreibt Rauschmann sein «Barrel 1». Das Spannende am Experimentieren zwischen Coffee- und Rauchbier sei die Vielfalt an Aromen. Denn für Bier gebe es 2000 Aromen, doppelt so viele wie bei Wein. «So lässt sich für jedes Essen das passende Bier kreieren.»
Essen und Bier brauchen gleiche Augenhöhe
Im Gegensatz zum Wein, der als Essensbegleiter ein Gericht unterstützen soll, müssten sich Speisen und Bier auf Augenhöhe begegnen. «Beide sollten sich die Waage halten», erklärt Rauschmann. So würde ein Rauchbier ein leichtes Essen, etwa einen geräucherten Saibling, erschlagen. Da passe ein geräucherter Schinken schon besser. «Aber das ist nicht gerade spannend», findet der Experte. Aufregender sei etwas ohne Rauch, wie die Kombination mit Käsespätzle, vor allem mit sehr intensivem Käse.
Und was passt noch wie die Faust aufs Auge? Ein Blue-Cheese-Burger mit Birne verlange nach einer pfeffrigen Note. Rauschmanns Favorit dafür: «Soleya», ein sogenanntes «Saison». So heißt ein Bier-Stil, der einst im Winter für belgische Farmarbeiter gebraut wurde, damit die Saisonniers zur anstehenden Farmarbeit im Sommer und zur Erntezeit versorgt waren.
Und wer hätte das gedacht: «Ein Thüringer Schwarzbier findet seinen perfekten Gegenspieler in einem Brownie oder einer Crème brulée», sagt Rauschmann. Schließlich verrät er seinen Geheimtipp für eine richtig scharfe Chili con Carne: «Da würde jeder Wein untergehen. Aber nicht ein Double India Pale Ale.» dpa