Reise durch die Fjorde Kanadas

Von Bernd F. Meier

Gerade mal 20 Minuten ist die «Aurora» in der Discovery Passage unterwegs, da ruft Kapitän Ron Stevenson den Passagieren zu: «Schaut nach rechts zum Leuchtfeuer. Dort sitzt ein Seeadler, der hat sich gerade einen Lachs geholt.» Der Adler stimmt ein auf eine Fahrt ins wilde British Columbia. Drei Tage lang wird der kleine Frachter mit den zwölf Passagieren und sechs Crewmitgliedern durch die fjordähnlichen Meeresarme der Küste tuckern.

«Wir fahren überall dorthin, wo kein anderes Kreuzfahrtschiff hinkommt», verspricht Manager Guy Adams von der kleinen Reederei Marine Link Tours in Campbell River auf Vancouver Island. Dabei spielt er auf die riesigen Kreuzfahrtschiffe an, die von der Hauptstadt Victoria aus entlang der kanadischen Westküste durch die Straße von Georgia und die Inside Passage nordwärts in Richtung Alaska dieseln.

Die «Aurora» ist eine Nummer kleiner. Das 41 Meter lange Schiff mit einem Tiefgang von nur 1,80 Meter wurde 1970 gebaut und war zunächst für die Ölindustrie am Mackenzie River in den North West Territories und in der Arktis unterwegs. Seit 1995 schippert sie durch die Küstengewässer rund 200 Kilometer nördlich von Vancouver.

«Wir fahren das ganze Jahr über und versorgen Holzfällercamps und winzig kleine Siedlungen mit allem Lebensnotwendigen», erklärt Adams. «Touristen nehmen wir von Ende März bis Anfang November mit an Bord. Im Winter ist das Wetter einfach zu unbeständig.»

In einer Region von etwa 10 000 Quadratkilometern - die Fläche ist vergleichbar mit dem Regierungsbezirk Schwaben - ist die «Aurora» vom Industrieterminal in Menzies Bay aus auf drei verschiedenen Routen unterwegs: Im Norden gegenüber von Port Hardy fährt das Schiff in den MacKenzie Sound, im Süden gegenüber von Comox nach Powell River und auf dem Jervis Inlet-Meeresarm.

Die dritte Route wird die «Mystery Tour» genannt. «Bei der drei Tage dauernden «Mystery Tour» bestimmen allein die Kunden unsere Route, während die beiden anderen Routen nach festem Fahrplan bedient werden», erläutert Guy Adams. «Schließlich sind wir ja zuerst eine See-Spedition.» So können bei der mehr als 400 Kilometer langen Reise bis zu 17 Häfen angelaufen werden. Damit sind die «Aurora»-Touren die wohl ungewöhnlichste Art, als Reisender die Wildnis und das tägliche Leben an der Pazifikküste von British Columbia kennen zu lernen.

«Häfen ist allerdings stark übertrieben», sagt Kapitän Ron Stevenson und lacht. Schließlich ist die «Aurora» ein Landungsboot mit einer breiten Klapprampe, es schiebt sich durch ihren geringen Tiefgang auf fast jeden Strand einfach hinauf.

So können die Passagiere von Deck aus beobachten, wie im Holzfäller-Camp Barnes Bay auf Sonora Island ein Paar Bagger, Container und ein Tanklaster an Bord rollen. In Owen Bay hat eine Familie 500 Liter Diesel für den Stromgenerator bestellt, und in Fawn Bluff werden Rollrasen und Mutterboden angeliefert. Die «Aurora» ist für die abgelegenen Arbeitercamps und winzigen Ansiedlungen die Brücke zur Außenwelt, Straßen gibt es hier nicht.

Das Leben an Bord verläuft ungezwungen - es gibt kein Käptn's-Dinner, keine Tanzshows, kein Nightlife an der Bar, stattdessen ringsum viel Ruhe und Natur. Wie auf Kreuzfahrten üblich, ist das Essen an Bord ausgezeichnet. Schiffskoch Pat Sephton steht normalerweise im «Kingfisher Restaurant» in Courtenay Bay an den Herden. Doch für die Reise mit der «Aurora» hat er sich eine Auszeit genommen: «Es macht Spaß, für nur 18 Leute zu kochen. Alles kommt frisch auf den Tisch.» In Brem River legt die Crew abends Fangkörbe aus. Und tatsächlich zappeln am nächsten Morgen 20 Hummerkrabben in den Netzen, die zum Lunch mittags aufgetischt werden.

Aus vielen Ländern reisen die Passagiere zu dem Frachtertörn nach Menzies Bay an, aus Südafrika, Japan, Hongkong, Neuseeland - und aus British Columbia selbst. Gordon aus der Provinzhauptstadt Victoria ist drei Stunden mit dem Auto hierher gefahren: «Aus Reisen mit riesigen Kreuzfahrtschiffen mache ich mir nichts», sagt er. «Auf der 'Aurora' ist doch alles noch ursprünglich. Wir erleben hautnah mit, wie die Crew arbeitet.»

Wie bei einer großen Familie werden die Gäste in den täglichen Ablauf mit einbezogen. So erläutert Kapitän Ron Stevenson jeden Morgen beim Frühstück die Route des Tages und die Stopps. Im Steuerhaus können die Passagiere dem Kapitän über die Schulter schauen und Radarbild und Rudermanöver mitverfolgen. Manch einer schickt per E-Mail Grüße von Bord in die Heimat - bis die Verbindung zusammenbricht. «Dann sind wir wirklich in der Wildnis, wo nur noch der Satellitenfunk funktioniert», sagt Stevenson.

Kurze Landgänge unterbrechen die Schiffsreise. Einer startet in der winzigen Ansiedlung Blind Channel, die aus 15 Einwohnern, ein paar Häusern, Supermarkt, Postamt und Jachthafen besteht. Von hier wandern die Passagiere durch den dichten Wald bis zu riesigen, 800 Jahre alten Zedern. «Sie wuchsen schon hier, als Kolumbus nach Amerika segelte», erzählt Steuermann Philippe Menetrier.

Schwarzbären hatte Kapitän Stevenson den Passagieren zu Beginn der Tour versprochen, vielleicht auch Grizzlys. Doch kein Bär will sich an den kleinen Grasstränden zeigen. Stattdessen sehen die Passagiere tosende Wasserfälle und im Schutzgebiet von Mitlenach Island Weißkopfadler und Dutzende Seehunde, die sich auf kargen Felsen faul in der Mittagssonne räkeln. dpa

Reise nach British Columbia

ANREISE: Es gibt Direktflüge von München, Frankfurt/Main und Düsseldorf zum Vancouver International Airport. Dort können Leihwagen verschiedener Anbieter gemietet werden. Die Fähre bringt Reisende ab Tsawwassen in zwei Stunden nach Duke Point/Nanaimo. Von dort geht es über den Highway 19 North bis Campbell River und Menzies Bay. Alternativ fliegt man von Vancouver in 40 Minuten zum Campbell River Airport. Von dort fährt das Taxi nach Menzies Bay. Zur visumfreien Einreise und zum Aufenthalt bis maximal sechs Monate genügt der deutsche Reisepass. Der deutsche Führerschein wird akzeptiert.

REISEZEIT: Die beste Reisezeit für Westkanada ist von Mai bis Mitte Oktober. Von Juni bis September liegen die Temperaturen zwischen 25 und 35 Grad. Stabile Hochdrucksysteme sorgen für sonnige Tage. Im Juli und August haben auch US-Bürger und Kanadier Ferien, die Nationalparks sind dann voll. Im Juni und September ist es ruhiger. Der Winter ist kalt und lang.

INFORMATIONEN: Tourism British Columbia, Tel: 01805/52 62 32 für 14 Cent pro Minute, de.britishcolumbia.travel