Reise nach Cinque Terre

Von Arnd Petry

Dahin fahren, wo alle sind? Wo sich Deutsche, Japaner und Amerikaner auf die Füße treten, insgesamt zwei Millionen Touristen jedes Jahr? Nach Cinque Terre an der Riviera di Levante? Ja, unbedingt! Denn die Küste der fünf weltberühmten Dörfer ist immer noch zauberhaft. Doch wer ihre Schönheit erleben will, muss sich um sie bemühen und aktiv werden: auf Wanderpfaden hoch über dem Meer, beim Mitarbeiten in den steilen Weinterrassen oder beim Tauchen unterhalb der Klippen.

Morgens um Sieben gehört der Aussichtspunkt am Kap von Punta Mesco noch den Smaragd-Eidechsen und der Ziegenherde, die sich gefährlich nahe an den Klippen durch die niedrigen Büsche der Macchia frisst. Wandergruppen sind noch nicht in Sicht. Unten in der Bucht scheint der Strand von Monterosso al Mare im Morgenlicht. Nach Süden hin, zur Spitze der Halbinsel bei Portovenere, verlieren sich die bis zu 800 Meter hohen Ausläufer des Ligurischen Apennin im Dunst. Dort liegen sie, die anderen vier Dörfer der Cinque Terre, der «Fünf Länder»: Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore.

Verbunden sind die abgelegenen Orte seit jeher durch Pfade, die oberhalb der Dörfer durch die Berge und Weinterrassen führen. Vom Aussichtspunkt über Punta Mesco geht es eine halbe Stunde bergab nach Monterosso al Mare. Dort schließt sich der «Sentiero Azzurro» an. Der auf Karten blau markierte Küstenwanderweg 2 ist wahrscheinlich der bekannteste Trampelpfad Italiens. Über neun Kilometer führt er auf und ab - durch Weinberge, Olivenhaine und entlang der Steilküste, wo Ginster und Kakteen wachsen. Und hinter jeder Biegung taucht das intensiv blaue Mittelmeer auf - oder eines der Dörfer.

Mit den bewaldeten Bergen und den sattgrünen Weinterrassen im Hintergrund bilden Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore die perfekte Kulisse für mediterrane Sehnsuchtsbilder: Mal kleben die ineinander verschachtelten Häuser mit ihren verwitterten bunten Fassaden wie Schwalbennester zwischen den Felsen, mal thronen sie einem Adlerhorst gleich über den Klippen.

Im Innern dieser Hauslabyrinthe schauen alte Männer und Frauen mit Gehstöcken von Sitzbänken aus dem Alltag zu. Katzen dösen in Kellereingängen, während drei Stockwerke höher Frauen zwischen grünen Fensterläden nasse Wäsche zum Trocknen auf die Leine hängen. Die handtuchschmalen Gassen führen über viele Treppen hinab zu Häfen, in denen die Wellen gegen rot, gelb und weiß bemalte Fischerboote schwappen. Das Wasser in den Häfen ist glasklar und scheinbar ohne Leben. Doch das täuscht.

«Seitdem wir den Nationalpark haben und Küstenfischerei und Unterwasserjagd beschränkt wurden, sind die großen Fische zurückgekehrt», sagt Dario Ferrari. «Zackenbarsche, auch Haie. Du wirst sehen.» Dann breitet der kahlköpfige Endfünfziger, der seit 30 Jahren die Tauchschule Punta Mesco in Levanto betreibt, in Anglermanier die Arme aus und stößt das Schlauchboot mit einem kräftigen Tritt vom Anleger ab.

Die ligurische Unterwasserwelt kann es in puncto Farbenpracht mit tropischen Riffen aufnehmen: Auf einer Sandebene breitet sich eine Seegraswiese aus. Die grünen Gräser wiegen sich mit den Wellen wie ein Kornfeld im Sommerwind. Dahinter steigt die Felswand an. Sie ist überzogen mit einer lebenden Tapete aus gelben Krustenanemonen und orangefarbenen Schwämmen. Hier und dort ragen Fächer aus roten Hornkorallen ins blaue Freiwasser, wo ein Barrakuda einer pulsierenden Wolke aus silbrigen Sardinen folgt.

Aus Felsspalten lugen Langusten, Oktopusse und Muränen hervor. Wie versprochen, sind auch die durch maßloses Harpunieren in weiten Teilen des Mittelmeeres selten gewordenen Zackenbarsche zu sehen und - tatsächlich - ein Hai: Ein etwa ein Meter langer Katzenhai ruht auf einem Stein. Erst als ihm einer der beiden anderen Taucher über die Schmirgelpapierhaut streicheln will, schlängelt er davon.

Das Meeresschutzgebiet der Cinque Terre ist seit 1999 Teil des größten Walschutzgebietes Europas. Das «Heiligtum der Meeressäuger» streckt sich von hier bis nach Sardinien und Frankreich aus. Die großen Pott- und Finnwale können zwar nur bei Whale Watching-Touren gesichtet werden, die weit aufs Meer führen. Doch ab und zu lässt sich ein Streifendelfin vor der Steilküste blicken.

Auch an Land tragen die Schutzbemühungen inzwischen Früchte: Die Region, seit 1997 Weltkulturerbe, hat sich in Italien zum Vorreiter für nachhaltigen Tourismus gemausert. Autos wurden aus den Orten verbannt. Tagesgäste und Einheimische gelangen mit dem Zug - jeder der fünf Orte hat einen Bahnhof - und mit gasbetriebenen Bussen an jeden halbwegs interessanten Ort inner- und außerhalb des Parco Nazionale delle Cinque Terre. Für Unterkünfte, Restaurants und Lebensmittelgeschäfte wurden Umweltsiegel eingeführt.

Bei Hilfen für den umweltfreundlichen Konsum hören die Öko-Angebote nicht auf. Wer will, kann selbst Hand anlegen und so die Folgen der Landflucht eindämmen. Als der Tourismus ein sicheres Einkommen versprach, wollten sich viele Winzer in den seit Jahrhunderten ärmlichen Dörfern nicht mehr in ihren Weinbergen mühen. Die über viele Generationen instand gehaltenen Trockensteinmauern zerfielen zusehends, die steilen Weinterrassen rutschen ab, ganze Hänge wurden instabil.

Initiativen wie «Protect the cinque terre» mit Sitz in Vernazza haben aus der Not eine Tugend gemacht: Gäste sollen für zwei, drei Tage zu Weinbauern werden und täglich ein paar Stunden in den Weinbergen die Steinmauern instand setzen. Für die Plackerei gibt es im Gegenzug das, was vielen Tagestouristen verborgen bleibt: Bei geführten Touren Einblicke in die Geschichte und das Alltagsleben der Cinque Terre. Und abends bei Wein, Fisch, Pasta und anderen lokalen Köstlichkeiten entspannten Kontakt zu den Vernazzesi.

Entspannung ist abends auch zwischen Riomaggiore und Manarola angesagt: Wenn die bei italienischen Paaren beliebte «Via dell'Amore» - ein in die Klippen gesprengter Abschnitt des «Sentiero Azzurro» - von der untergehenden Sonne mit warmen Farben bemalt wird, erreicht die Romantik Spitzenwerte. Die «Bar dell'Amore» - mit traumhaftem Ausblick auf halber Wegstrecke - ist jetzt gut besucht.

Japaner, Amerikaner, Deutsche und all die anderen sitzen hier und schauen dem Geschehen zu, das hier schöner scheint als anderswo. Bis die Smaragd-Eidechsen wieder allein sind, wird es wohl noch ein Weilchen dauern. dpa

Reise nach Cinque Terre

REISEZIEL: Cinque Terre liegt im Südosten der norditalienischen Region Ligurien. Die nächste größere Stadt ist La Spezia.

KLIMA & REISEZEIT: Die beste Reisezeit ist die Vor- oder Nachsaison im Frühjahr und im Herbst. Dann sind die Temperaturen milder und die Strände, Wanderwege und Dörfer deutlich leerer als im Sommer. Wer die Einsamkeit sucht, kommt im Winter.

ANREISE: Mit dem Auto, dem Zug oder dem Flugzeug. Die nächsten Flughäfen liegen in Genua und Pisa. Von dort mit dem Leihwagen oder besser mit dem Zug weiter. In Cinque Terre ist der eigene Wagen eher ein Hindernis. Zu den Orten führen nur schmale, kurvenreiche Bergstraßen. In den Orten gibt es wenige, teure Parkplätze.

TAUCHEN: Tauchen ist in der Cinque Terre Region das ganze Jahr über möglich. Viele Tauchbasen haben durchgehend geöffnet. Das Meer ist von von Juni bis Oktober mehr als 20 Grad warm. Tauchbasen in Levanto: Puntamesco Scuola Sub (divingcenter.net)

WANDERN: Den Parco Nazionale delle Cinque Terre durchqueren verschiedene Wanderrouten unterschiedlicher Längen und Schwierigkeitsgrade. Alle Wege sind gut ausgeschildert. Der beliebteste Abschnitt von Monterosso nach Riomaggiore ist aufgrund des starken Andrangs gebührenpflichtig. Entlang des Weges stehen Kassenhäuschen. Tipp: eine Cinque Terre Card kaufen. Die Gebühren für die Wanderwege und die Shuttle-Busse sind darin enthalten.

UNTERKÜNFTE: Hotels aller Preisklassen und "Bed & Breakfast"-Gästezimmer gibt es allen Orten der Cinque Terre. Für Camper sind die Campingplätze in Levanto zu empfehlen. Dort kann man übernachten und mit dem Zug Tagesausflüge machen.

SPRACHE: Rudimentäre Italienischkenntnisse sind sehr hilfreich. Mit Englisch kommt man in den fünf Dörfern jedoch auch gut zurecht.

INFORMATIONEN: Italienische Zentrale für Tourismus ENIT, Barckhausstraße 10, 60325 Frankfurt am Main, Tel: 069/23 74 34, enit.de