Reise nach Peking in die Verbotene Stadt

Pekings Kaiserpalast ist einer der letzten Orte, an denen sich die Vergangenheit der chinesischen Hauptstadt noch nachempfinden lässt. Jetzt wird die riesige Anlage nach Jahren der Vernachlässigung renoviert. Stille Gärten, versteckte Gewölbe und sensationelles Kunsthandwerk erstrahlen bereits in neuem Glanz.

Von Frank Rumpf

Dort, wo einst die «Söhne des Himmels» regierten und Mao Tsetung 1949 die Volksrepublik China ausrief, herrscht an diesem Samstagvormittag ausgelassene Volksfeststimmung. Vor den gewaltigen roten Mauern stellen sich chinesische Familien für ein Foto auf, Jugendliche albern herum mit Panda-Mützen aus Kunstfell, die sie für ein paar Yuan von einem der fliegenden Händler am Platz des Himmlischen Friedens gekauft haben. Nur die Wachsoldaten in engen grünen Uniformen verziehen keine Miene.

Pekings ehemaliger Kaiserpalast, die 600 Jahre alte Verbotene Stadt, ist ein Wunder - in mehr als einer Hinsicht. Beim Rundgang beeindrucken die schiere Größe und architektonische Leistung auch den ausgelassensten Touristen. Heitere Laune weicht andächtigem Staunen, je tiefer man in das gelbrote Labyrinth aus Terrassen, Höfen und Hallen eindringt.

Warum sich beschränken, wenn es auch im XXL-Format geht: Über 72 Hektar erstreckt sich die Anlage mitten in Peking, vom Süd- bis zum Nordtor läuft man fast einen Kilometer. Die Zahl der Zimmer wird mit 9999 angegeben, was den Buckingham Palace der Queen in London mit 600 Räumen bescheiden wirken lässt. Selbst das Schloss von Versailles war dagegen mit 2000 Zimmern zu seinen größten Zeiten ein überschaubares Zuhause.

Ein Wunder ist auch, dass die Verbotene Stadt überhaupt noch existiert und neben der Großen Mauer zur populärsten Touristenattraktion Chinas werden konnte. Dass die Maoisten beim großen Aufräumen in der Nachkriegszeit und während der Kulturrevolution ausgerechnet den alten Kaisersitz verschonten, ist in der Nachbetrachtung genauso erstaunlich wie die Toleranz der heutigen Machthaber.

Denn auch die gegenwärtigen Regenten neigen dazu, gnadenlos abzureißen, was der Modernisierung der Elf-Millionen-Stadt im Weg steht. Das städtische Planungsbüro BICP räumt ein, dass in der Vergangenheit wenig sensibel mit den mittelalterlichen Schätzen umgegangen wurde. Mao etwa ließ die Stadtmauer aus der Ming-Zeit einfach schleifen. In Vorbereitung auf die Olympischen Spiele von 2008 wurde ohne Bedenken Kahlschlag angerichtet, um Platz für neue Schnellstraßen oder Luxuseinkaufszentren zu schaffen. Peking unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von anderen asiatischen Metropolen wie Hongkong, Bangkok oder Tokio.

Die Zahl der neben der Verbotenen Stadt liegenden Hutongs - flache, graue Häuser der Altstadt mit einem Netz an Innenhöfen - hat sich in den vergangenen vier Jahren halbiert. Dolmetscher Michael Guan stimmt zu, dass rücksichtslos mit dem architektonischen Erbe umgegangen wird. Der 37-Jährige ist im Hauptberuf Geschichtslehrer an einem Community College in Peking, da erlebt er täglich die gleichgültige Haltung der jungen Generation: «An größeren historischen Zusammenhängen sind meine Schüler nicht interessiert, sie wollen nur wissen, was sie aus den Strategien der alten Kaiser und Hofbeamten für ihr eigenes Vorankommen in der Wirtschaft lernen können», sagt er. Geschichte als Management-Seminar für Fortgeschrittene.

Die Verbotene Stadt konnte dem Modernisierungswahn bislang jedoch widerstehen. Tatsächlich befindet sie sich nach Jahren der Vernachlässigung gerade in einem millionenteuren Restaurierungsprozess durch das Palastmuseum und den privaten gemeinnützigen World Monuments Fund in New York. Es ist das erste Mal, dass das Palastmuseum mit einer ausländischen Einrichtung zusammenarbeitet. Bis 2020, pünktlich zum 600-jährigen Bestehen, soll das Projekt abgeschlossen sein. Die ersten Erfolge im Nordostquadranten der Anlage sind schon zu sehen.

Der Kaisersitz kann in zwei Abschnitte unterteilt werden. Wenn man auf der Südseite unter dem Mao-Bild durch das wie ein Mauseloch wirkende «Tor des Himmlischen Friedens» eintritt, befindet man sich zunächst im offiziellen Teil, dem Äußeren Hof. Hier lag die Regierungszentrale der 24 Kaiser, die seit dem 15. Jahrhundert mit 2000 Hofangestellten, Konkubinen und Eunuchen in dem Palast lebten. Die Hallen und Plätze sind so riesig, dass sich die vielen hundert Touristen an diesem Wochenendtag locker darin verteilen.

Diesem Prunk und Protz als Chinas Regent ausgeliefert zu sein, war noch weniger als in anderen Königshäusern ein Spaß. Im Gegensatz zu den Hofbeamten, die oft in eigenen Residenzen in Saus und Braus lebten, besaß der Kaiser kaum Rückzugsmöglichkeiten, sein Tagesablauf war streng geregelt. Wer die formale Möblierung der Thronsäle und kaiserlichen Schlafgemächer sieht, bekommt schon vom Hingucken Rückenschmerzen. Nicht einmal essen konnte der Himmelssohn in Ruhe. Jede seiner zwei vorgeschriebenen Mahlzeiten am Tag - früh morgens und mittags, das Abendessen entfiel - wurde zum Staatsakt mit Aufmarsch der Küchenbrigaden und Kompanien an Vorkostern. Bis die berühmte geröstete Pekingente den Kaiser erreichte, war sie garantiert kalt.

Wie erdrückend das Zeremoniell war, und wie einsam man sich in der Verbotenen Stadt fühlen konnte, zeigte Bernardo Bertolucci in seinem monumentalen Spielfilm «Der letzte Kaiser» über den Kindsherrscher Puyi, der 1912 als Sechsjähriger bei Ausrufung der Republik abdanken musste. Der Film ist eine gute Vorbereitung auf die Besichtigung des Originalschauplatzes.

Kein Wunder, dass die Kaiser so oft wie möglich aus der Verbotenen Stadt flohen. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts vorzugsweise in den Sommerpalast am Fuß des «Berges der Barmherzigkeit und des Langen Lebens» vor den Toren Pekings. Hier war ein legeres Leben möglich. Der Sommerpalast ähnelt architektonisch dem Hauptsitz. Wegen der romantischen Lage an einem See ist er einen Besuch wert, selbst wenn von der einst riesigen Anlage nur noch ein Bruchteil übrig ist. Schuld daran sind diesmal nicht die Kommunisten, sondern die Engländer, die während des Opiumkrieges 1860 wüteten.

Den zweiten Teil der Verbotenen Stadt bildet der nördliche Innere Hof. Statt mit Repräsentationsplätzen sind die Gebäude - wie die Hutongs draußen vor den Mauern - mit kleinen Innenhöfen durchsetzt. Hier lebte der Kaiser mit seiner Familie und dem Hofstaat. Höhepunkt und nun nach fast einem Jahrhundert erstmals renoviert und wieder vollständig zugänglich ist der wunderschöne Qianlong-Garten mit dem «Palast des Ruhevollen Alters».

Er stammt beinahe unverändert aus dem Jahr 1776, als auf der anderen Seite der Erdkugel gerade die Vereinigten Staaten ihre Unabhängigkeit erklärten. Chinas Herrscher schied eigentlich erst mit dem Tod aus dem Dienst, der Qianlong-Kaiser hatte jedoch nach 60 Jahren genug vom Regieren, verzichtete zugunsten seines Sohnes und baute sich für seine letzte Lebensspanne ein kleines Paradies, eine Mini-Stadt in der großen Verbotenen Stadt.

Im Qianlong-Garten hat man die in Peking selten gewordene Gelegenheit, in Ruhe herumzuwandern. Nur wenige Besucher der Anlage verschlägt es hierher. Dem königlichen Rentner ging es um maximale Harmonie. Die kleinen Innenhöfe sind nach den Regeln des Feng Shui gestaltet mit Lavasteinen, Wasser, gestutzten immergrünen Bäumen und einem verschachtelten Ensemble aus Veranden und Korridoren. Für die Inneneinrichtung wurde chinesisches und europäisches Kunsthandwerk zusammengetragen: zierliche Bambusintarsien, Jadeschnitzereien, Ölmalereien. «Es gibt nur wenig vergleichbar Erhaltenes aus der Qing-Dynastie», schwärmt Michael Guan.

Ebenfalls im Nordteil sind der Kaiserliche Garten und ein paar Souvenir- und Buchgeschäfte untergebracht. Durch das Tor des Göttlichen Kriegers verlässt man dann auch wieder die Verbotene Stadt und ist zurück in der Hektik des modernen Peking. dpa

Reise in die Verbotene Stadt

ANREISE: Flüge nach Peking gibt es zum Beispiel nonstop mit Lufthansa oder mit Cathay Pacific mit Umsteigen in Hongkong. Für die Einreise nach Festland-China wird ein kostenpflichtiges Visum verlangt, erhältlich bei der Botschaft in Berlin oder gegen Aufpreis über Visa-Dienstleister. Die Verbotene Stadt liegt zentral in Peking (U-Bahn-Linie 1 bis Tiananmen West/East oder Linie 2 bis Qianmen).

ÖFFNUNGSZEITEN: Von November bis März täglich von 8.30 bis 16.30 Uhr, von April bis Oktober von 8.30 bis 17.00 Uhr. Man sollte mindestens zwei Stunden einplanen. Eintritt: 40 Yuan im Winterhalbjahr und 60 Yuan im Sommer. Audiotouren auf Deutsch sind am Mittagstor (Wu men) neben dem Ticketverkauf erhältlich.

REISEZEIT: Beste Reisezeit für Peking sind Frühjahr und Herbst. Die Sommermonate sind drückend heiß, die Wintermonate ab November oft sehr kalt. Die Luftqualität (Smog) hat sich in den vergangenen Jahren etwas verbessert, ist an windstillen Tagen aber immer noch schlecht. UNTERKUNFT: Zahlreiche internationale Hotelketten mit westlichem Standard haben sich seit den Olympischen Spielen niedergelassen. Ein Doppelzimmer kostet im Viersterne-Bereich pro Nacht ab 90 Euro.

GELD: Ein Euro entspricht rund 8,70 Renminbi Yuan (Stand Dezember/2010).

INFORMATIONEN: Fremdenverkehrsamt der Volksrepublik China, Ilkenhansstraße 6, 60433 Frankfurt, Tel.: 069/52 01 35, fac.de