Reise zu den bitteren Orangen in Marbella

Von Karin Willen

Flanieren unter Palmen, Kaffeetrinken unter Orangenbäumen und reife Früchte direkt vom Baum essen. So hatten sich die Wilhelms ihren Winterurlaub vorgestellt - und genau so ist es ihnen in Marbella ergangen. Dass etliche Honoratioren der Küstenstadt gerade in Málaga wegen Korruption mit Grundstücksgeschäften auf der Anklagebank sitzen und Michelle Obama den Ort im Sommer durch eine Stippvisite ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit gerückt hatte, ist an dem Rentnerpaar vorbei gegangen. Es waren die Bilder im Kopf vom Müßiggang bei Licht und Wärme am Mittelmeer, die die beiden an Spaniens Sonnenküste zogen wie einst den Jet Set.

Der folgte in den 50er Jahren Alfonso zu Hohenlohe in den «Club» im damals noch kleinen Flecken mit der idyllischen Altstadt und dem schönen Strand. 20 Jahre später war Marbella schon Teil eines endlos scheinenden Bandes von Touristenorten zwischen Málaga und Gibraltar. Gesichtslose Hochhäuser türmen sich heute hinter den Bettenburgen, Einkaufszentren und Restaurants an der schicken Strandpromenade Paseo Marítimo.

Immer wieder behindern Reparaturarbeiten den Verkehr auf den stark befahrenen Straßen. An beiden Ortsausgängen reihen sich sogenannte Urbanisationen aneinander. In diesen Siedlungen leben viele Ausländer, die Deutschen bilden mit fast 3000 Mitgliedern die drittgrößte Gruppe.

Die Reichen und Schönen lassen sich kaum noch sehen. Nur die schicken Jachten in Puerto Banús, manche teuren Boutiquen dort am Hafen, riesige Plakatwände an den Ausfallstraßen, die für Schönheitsoperationen werben, und jede Menge Golfplätze in der Gegend deuten darauf hin, dass die internationale Karawane des Schickimicki hier ab und an Station noch macht.

Dafür kommen immer mehr deutsche Rentner auf der Suche nach Sonne und blauem Meer - und nach möglichst wenig fremder Kultur. «Tatsächlich ist Marbella ideal für Senioren», sagt Rafael Vargas, Geschäftsführer des Hapimag-Resorts, das direkt an die sechs Kilometer lange Flaniermeile Paseo Marítimo grenzt. Durchschnittlich seien seine Gäste im Winter fast 65 Jahre alt, erklärt Vargas. «Hier gibt es sogar ein deutschsprachiges Pflegeheim. Und wenn er gebraucht würde, könnte ein ambulanter deutschsprachiger Pflegedienst ins Haus kommen.»

Doch so weit soll es für die rüstigen Rentner erst gar nicht kommen. Morgens ein paar Runden im solar beheizten Schwimmbecken drehen, nach dem Mittagsschlaf sich unter die Spaziergänger auf dem Paseo Marítimo mischen und abends vom Balkon aus die Sonne vor Gibraltar im Meer versinken sehen. Das ist ihre perfekte Urlaubswelt.

Dazwischen im deutschen Supermarkt einkaufen, bei «Kerstin» einkehren, wo es deutsches Essen gibt, oder unter den Orangenbäumen um den Renaissance-Brunnen der Plaza de los Naranjos beim Rathaus einen Café con Leche schlürfen. Hier und in den wenigen angrenzenden engen Gassen mit strahlend weißen Häusern und blumengeschmückten Balkonen bewahrt Marbella seine andalusische Seele. Und erweitert den Horizont des Rentnerpaares.

«Ungenießbar», erzählt Anne Wilhelm und schüttelt sich, sei die Frucht gewesen, die sie auf dem Orangenplatz vom Baum gemopst hat, «dabei sahen die so süß aus». Die Nachbarin, eine ehemalige Lehrerin, klärte sie auf, dass diese Bitterorangen von den Mauren in Andalusien eingeführt wurden und hier zur Zierde stehen.

Die Schale der veredelten Sorten wird für Marmelade und Orangeat verwendet. «Die süßen Orangen», erklärt Anne Wilhelm nun, «kommen ursprünglich aus China und sind seit dem 15. Jahrhundert hier.» dpa

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