Restaurant-Trends Tim Raue öffnet Restaurant in Dubai

Von Christian Volbracht

Man stelle sich Folgendes vor: Die Gäste sitzen beim Essen im Restaurant, und plötzlich sinkt die Temperatur im Raum auf fünf Grad ab, eine feuchte Meeresbrise weht herein. Ein riesiger Eisblock wird hereingeschoben, auf dem Sashimi angerichtet ist. So soll es bald in einem Restaurant von Tim Raue, dem Berliner Meisterkoch, in Dubai zugehen. «Man soll sich dann fühlen, als ob man in Grönland mit den Eskimos äße», hofft Raue.

«Entertainment-Gastronomie statt Fine Dining» lautet das Motto des Kochs. Raue stellte erste Details seiner Pläne bei der Chef-Sache in Köln vor, dem jährlichen Festival der Avantgardistischen Küche mit internationalen Spitzenköchen und Besuchern aus der Gastronomie. Geldgeber ist eine Gesellschaft des Emirs von Dubai, wo mit neuen Restaurants weitere Touristen angelockt werden sollen.

Eines der Vorbilder ist das Restaurant «Sublimation» des Spaniers Paco Roncero auf Ibiza, das als das teuerstes der Welt gilt. Dort wird den Gästen das modernistische 20-Gänge-Menu für 1500 Euro in einer multimedialen Welt mit ständig wechselnden visuellen, sensorischen und akustischen Effekten serviert. Auch im Restaurant «Ultraviolet» (Foto) in Shanghai werden zum Essen bereits wechselnde Bilder auf wehende Tücher im Gastraum projiziert - etwa Meeresbilder zum Austernessen.

Raue will die Sinne intensiver erreichen. Im neuen Restaurant sollen die Gäste 3D-Videobrillen aufsetzen und kurze Filme zu einigen Gerichten sehen: Da spaziert Raue durch Berlin und zeigt den fetten Eisbeinteller seiner Kindheit, mit Sauerkraut und Erbspüree. Setzt der Gast die Brille ab, steht die Verwandlung des Gerichtes vor ihm: Eisbein vom Spanferkel mit Dashi, Ingwer und Senf.

Das Konzept erfordert einige Investitionen für Brillen und die Herstellung der Filme. Auch auf Smartphones und iPads sollen sie per App übertragen werden können, sagt Raue. «Man muss heute gute Geschichten zum Essen erzählen.» Auch kleine Filme zu großen Weinen kann sich der Koch vorstellen, der in Berlin schon vier Restaurants betreibt, im Spektrum von kreativ-avantgardistisch bis zur simplen Volksküche.

Bei einer Podiumsdiskussion zu Beginn der Chef-Sache wurde deutlich, wie viele Restaurants dem Trend weg vom feinen Speisen schon folgen, wenn auch nicht so extrem wie Raue. Unterhaltung, Emotion und Spaß sind in. Die feierliche Stimmung beim Hochamt im steifen Gastronomietempel der 90er Jahre ist out. Überall werden Hemmschwellen abgebaut. Es wird auf Tischdecken verzichtet, das jetzt weniger streng gekleidete Personal kommuniziert fröhlich mit der nachwachsenden Gästegeneration.

Und auch die Gäste ändern sich. Man gehe nicht mehr zur Selbstdarstellung ins Restaurant, sagt Raue: «Die Leute posen nicht mehr.» Für die neuen Gäste von heute seien gut essen und gut trinken Werte an sich, gehörten zum Lifestyle. Casual dining, locker und ungezwungen essen, nennt der Chef-Sache-Organisator Thomas Ruhl den neuen Trend.

Der Restaurantbesitzer Sascha Stemberg erzählt, wie er in seinem Landgasthaus in Velbert die alten Kupfertöpfe des Vaters von den Wänden nahm und das Angebot modernisierte. «Die Gäste sollen sich fühlen wie im Wohnzimmer, auch wenn sie nur 25 Euro ausgeben», sagt er. «Bei uns trinkt man auch mal Mouton Rothschild zur Blutwurst.»

Die Hotelkette «Columbia» verzichtete in Travemünde und anderen Standorten einfach ganz auf einige ihrer «Fine-Dining»-Gourmet-Restaurants. Auch bei Jonnie Boer in Zwolle in den Niederlanden werden kleine gastronomische Kunstwerke ohne jede Steifheit serviert. «Bei uns ist die Stimmung Rock'n'Roll und Fun», sagt seine Frau Thérèse. Sie erinnert aber unter dem Beifall von Hunderten von Fachbesuchern daran, dass es letztlich vor allem auf den Geschmack ankommt. «Man muss nicht fein speisen, man muss fein essen.»

Thomas Bühner aus Osnabrück nennt das Gerede vom Ende des Fine dining aber einfach «Quatsch» - eine ungezwungene Atmosphäre sei dazu kein Widerspruch. «Wir waren schon immer locker», meint auch Drei-Sterne-Kollege Sven Elverfeld aus Wolfsburg. «Der Gast will gut essen und sich nicht fragen müssen, ob er etwas etwas falsch macht», sagt Kevin Fehling, der von Travemünde in das moderne Restaurant «The Table» in der Hamburger Hafen-City umsiedelte, wo es keine herkömmliche Schickeria mehr geben soll.

Zu den besten und innovativsten Köchen des Jahres wurden in Köln bei einer von der Zeitschrift «Port Culinaire» veranstalteten Abstimmung Christian Bau aus Perl-Nenning an der Mosel und Joachim Wissler aus Bergisch Gladbach gewählt. Auch Bau gestaltet den Service lockerer. «Wir haben auf die letzte Perfektion verzichtet», sagt er. «Keine goldenen Platzteller mehr, keine Tischdecken.»

Sven Elverfeld vom «Aqua» in Wolfsburg erforscht und veredelt deutsche Regionalgerichte. Er führte auf der Bühne des Palladiums in Köln vor, wie er fetten Schweinebauch als Carpaccio anrichtet: mit Sauerkrautfäden, Bratkartoffelschaum, Balsamico-Emulsion, Speck-Crumble und gepoppter Schweineschwarte. «Sieht schön aus», sagt er ins Publikum, während von dem Teller Fotos gemacht werden. «Aber, wenn Sie wissen wollen, wie es schmeckt, müssen Sie zu uns kommen.»

Der Koch sieht den Informationswert der Bilderflut der hübschen Teller, die heute per Internet und Smartphone verbreitet wird, skeptisch. Vieles werde von Fotos nachgekocht. «Heute sehen die Teller auf den Fotos alle gleich aus - aber wie ist der Geschmack?» dpa