Von Gabriel Kords
Investor Jürgen Breuer hat noch keine Viertelstunde geredet an diesem Donnerstagabend, da platzt einem Bürger im Saal des Kurhauses von Binz der Kragen: «Sie haben doch keine Ahnung, was Sie uns da zumuten!», brüllt der ältere Herr: «Ihre Millionen können Sie sich in die Haare schmieren, lassen Sie uns in Frieden damit!» Er springt auf, rennt aus dem Saal und knallt die Tür hinter sich zu.
Breuer ist kurz konsterniert, dann fährt er fort mit seinem Vortrag und schildert den 40 Bürgern im Saal, warum sie keine Angst haben sollen vor dem 104 Meter hohen Turm, den er direkt hinter den denkmalgeschützten Gebäuden des ehemaligen KdF-Bads Prora in ihrer Gemeinde in die Höhe bauen will. In dem riesigen Komplex wollten die Nazis mit ihrer Organisation Kraft durch Freude (KdF) einst Tausende Menschen gleichzeitig Urlaub machen lassen.
Am Sonntag sollen die Bürger in Binz über den Turmbau abstimmen: Der Bürgerentscheid, den die Gemeindevertretung eingeleitet hat, ist rechtlich zwar für niemanden bindend, aber Investor Breuer sagt: «Wenn die Bürger dagegen sind, bin ich raus.» Im Ort ist viel diskutiert worden seit Bekanntwerden der Pläne, es gibt leidenschaftliche Befürworter und vehemente Kritiker.
Architekt Axel Drebing wirbt für seine Idee. Er will dem denkmalgeschützten KdF-Bad und seinen «2,6 Kilometern Stahlbeton in der Horizontale» etwas entgegensetzen und zwar 104 Meter Stahl und Glas in der Vertikalen. Er findet: «So kann dieser Ort den Nazi-Geist von Prora überwinden.» Ein Bürger hält dagegen: «Man kann eine Bausünde nicht mit einer neuen Bausünde wiedergutmachen.»
Dass der Ort mit gut 5000 Einwohnern und knapp 15 000 Betten inzwischen an seine Grenzen stößt, merkt Bürgermeister Karsten Schneider (Wählergemeinschaft Pro Binz) nicht nur, wenn er im Sommer im Stau steht, der dann allgegenwärtig ist auf der Insel.
Er hat es auch im Vorfeld eines Grundstücksverkaufs gemerkt, der an diesem Samstag ansteht: Die Gemeinde versteigert ein 12 000 Quadratmeter großes Hanggrundstück in bester Lage, zentral gelegen und mit Blick auf den Schmachter See. 1,8 Millionen Euro ist das Mindestgebot, der Käufer soll Wohnhäuser darauf bauen, Einzel- oder Doppelhäuser - keine Ferienwohnungen. «Wir hätten deutlich mehr Geld einnehmen können, wenn wir Ferienwohnungen oder Hotels zugelassen hätten», glaubt der Bürgermeister: «Aber das wäre einfach nicht mehr vermittelbar gewesen.»
Dass die Gemeinde einem guten Dutzend Kleingärtner, die bisher auf dem Gelände ihre Freizeit verbrachten, die Pachtverträge gekündigt hat, rückt da schon beinahe in den Hintergrund. «Es ist schon schade, dass wir hier wegmüssen», sagt etwa Renate Haker, die mit ihrem Mann Claus eine Parzelle auf dem Hang gepachtet hatte und das Grundstück nun räumen muss: «Binz hat sein Gesicht verloren.» Früher hat sie in der Kinderkurklinik gearbeitet, die 2009 geschlossen wurde: «Auf dem Gelände stehen heute drei Betonklötze.» Gebaut hat sie Jürgen Breuer.
In der Gemeinde Lohme am Nordrand der Insel gibt es bislang noch keine «Betonklötze» - das könnte sich bald ändern. Die Gemeinde hat 460 Einwohner, etwa 150 leben im Hauptort direkt an der Steilküste. 40 Meter unter ihnen nagt das Meer am Ort, der letzte große Hangrutsch war 2005. Früher war Lohme bekannt für die Sender der Küstenfunkstelle Rügen Radio, bis heute gehört das 23 Hektar große Gelände der Telekom. Die vier stählernen Sender werden nicht mehr gebraucht, das Areal soll verkauft werden.
Bürgermeister Matthias Ogilvie (CDU) und seine Mitstreiter wollen einen Investor dort ein Hotel mit «Medical Spa» bauen lassen - Gesundheitstourismus. Außerdem Appartements, Wohnhäuser und ein Kurpark. Rund 500 neue Betten sollen entstehen.
Seit mehr als einem Jahr kämpft die Bürgerinitiative «Lohme bewahren» gegen das Projekt, fordert einen Bürgerentscheid, so ähnlich, wie er gerade in Binz abläuft. An dutzenden Häusern des Ortes hängen ihre Banner, die Fronten sind verhärtet. Die Initiative um Hotelier Jörg Burwitz, der früher mal Ogilvies Vorgänger als Bürgermeister war, wirft Ogilvie «Größenwahn und Gigantomanie» vor. Ogilvie sagt, er wolle doch bloß den Ort vor dem Aussterben bewahren und dem Tourismus eine Zukunft geben.
Mecklenburg-Vorpommerns Tourismusminister Harry Glawe (CDU) sieht die Sache etwas einfacher. Er frohlockte Anfang der Woche bei einem Besuch in Lohme, das Wachstum des Insel-Tourismus sei «eine tolle Erfolgsgeschichte», die es fortzuschreiben gelte. Für Glawe ist klar: «Rügen wird das neue Sylt.» dpa