Starkoch Flynn McGarry Wunderkind der Berlinale

Von Johannes Schmitt-Tegge

Ein Glas Champagner, um den Gaumen zu lockern. Dann Seeigel mit Karotten-Kaffee-Mus. Steinkrabben mit geschnetzeltem Lauch, gekocht in Krabbenbrühe, Rosenwasser und Grapefruit. In Äpfeln und Zwiebeln geschmorte, warm gewürzte Lammkeule, dazu Kartoffeln in Joghurt-Dressing und hausgemachtes Pita-Brot.

Wenn Flynn McGarry das Menü seines ersten eigenen Restaurants beschreibt, kann einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Der junge Kalifornier hat schon einige Jahre als Spitzenkoch auf dem Buckel, er stand in Weltklasse-Restaurants wie «Geranium» in Kopenhagen und «Eleven Madison Park» in New York hinter dem Herd. Mit «Gem» (deutsch: das Juwel) wagt er seinen vielleicht wichtigsten Karriereschritt - im Alter von 19 Jahren. Die Schanklizenz läuft über seine Schwester Paris, 24, weil er in den USA noch nicht legal trinken oder Alkohol ausschenken darf.

Der Hype um den «Justin Bieber des Kochens», wie McGarry in den USA teils betitelt wurde, ist mindestens so groß wie der um sein Essen. Mit seiner roten Haartolle, die ein Gast einmal als «perfekt geschwenkter Salat» beschrieb, zierte er schon das Cover des «New York Times Magazine». Schon mit elf Jahren lud er im Haus seiner Eltern zu Abendessen, Plätze für seine Popup-Reihe namens «Eureka» waren erst ein Geheimtipp, dann ein Renner. Nun scheint McGarry voll und ganz im «fine dining» angekommen zu sein.

Piekfein sein soll «Gem» aber keineswegs. «Ich fühle mich unwohl, wenn man in einem Restaurant ein Jackett tragen muss und sie herablassend mit mir reden», sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Das kleine Lokal in der Lower East Side soll sich so anfühlen, als sei man bei Freunden auf einer Dinner-Party: Aperitiv im Wohnzimmer-ähnlichen Vorraum, Begegnung mit McGarry und seinem Team in der offenen Küche, nach dem Essen ein Kaffee oder Drink im Nebenraum. Die Angestellten sollen professionell arbeiten, aber auch (gefühlte) Freunde der Gäste werden.

Der Fixpreis von 155 Dollar (etwa 125 Euro) inklusive Trinkgeld und ohne Getränke scheint für die 12 bis 15 Gänge eher günstig. Und der Betrieb eines Restaurants in New York und gute Zutaten seien teuer, erklärt McGarry. Kohl kauft er nicht etwa von «irgendeiner großen Firma» sondern von einem Bekannten in Upstate New York, der dank der fairen Bezahlung «für seine Kinder sorgen kann». Und wenn man ehrlich ist, meint McGarry, gibt man in New York ziemlich häufig 155 Dollar für ein Abendessen oder «beliebige Sachen» aus.

Dem Teenager ist klar, dass er auf seiner selbst erklärten Jagd nach drei Sternen von der Restaurant-Bibel Michelin von früh morgens bis tief in die Nacht wird schuften müssen. «Ich liebe den Stress und stressige Umgebungen, ich gehe darin auf», sagt er. Seine Mutter rufe aber trotzdem noch an, um zu fragen, ob der Junge denn auch genug isst und schläft. Auslandsreisen wegen der Dokumentation «Chef Flynn», die diesen Monat auch auf der Berlinale zu sehen ist, machen die Sache nicht leichter. Immerhin wohnt er nur drei Straßenblocks vom Restaurant entfernt.

Was die Damen und Herren aus dem Hause Michelin vom «family style» halten, wird sich zeigen. McGarry will etwa jeden Abend auch eine «Schüssel Pasta» servieren, wegen des «guten Gefühls» und des Wiedererkennungswerts. In der New Yorker Restaurantszene, die McGarry zufolge als «distanziert, prätentiös, reserviert und sehr formal» wahrgenommen wird, soll der Gast wieder die Kontrolle zurückbekommen. Der Teenager beschreibt das so: «Hier ist ein Haufen Zeug, haut rein, hier ist ein größerer Guss Wein, lasst es euch schmecken.» dpa

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Das Interview: «Ich möchte nichts machen außer das hier»

Flynn McGarry führt gerade durch die Räume seines neuen Restaurants, da unterbricht ihn das Kreischen der Kreissäge. Nur noch zwei Wochen, bis im «Gem» in New York die ersten Gäste vor der Tür stehen - die Handwerker müssen Gas geben. Die Baustelle ist kalt, es riecht verkohlt. Aber der 19 Jahre alte Star-Koch, wahlweise als Genie, Witzfigur oder Justin Bieber der Restaurantszene betitelt, wirkt gelassen. Vor dem Interview drückt er einem Assistenten noch eben seine Kreditkarte für einen Heizofen in die Hand.

Flynn McGarry hält Machogehabe für einen Hauptgrund der männlichen Dominanz unter Spitzenköchen. «Jeder kann sich schneiden oder sich verbrennen, warum macht man so ein männliches Ding daraus?», sagte McGarry. Unter Köchen laufe es ähnlich ab wie unter Filmregisseuren: «Alle erkennen, dass Köchinnen und Regisseurinnen ihre Arbeit großartig machen, aber aus irgendeinem Grund werden sie immer noch nicht gleich behandelt

Als Beispiel nannte er Dominique Crenn, die in San Francisco das Restaurant «Atelier Crenn» betreibt. Crenn sei «unglaublich» und habe drei Michelin-Sterne verdient, sagte McGarry. «Ich finde, sie führt die Küche deutlich besser als viele männliche Köche, die ich erlebt habe.» Die Auffassung, dass Frauen beruflich sondern nur privat kochen könnten, sei unfassbar. «Ich verstehe nicht, warum es Leuten so schwer fällt, das zu erkennen und zu ändern.»

Sie eröffnen mit 19 Jahren ein Restaurant, mit 11 Jahren luden Sie im Haus Ihrer Eltern schon regelmäßig zu Abendessen. Da spielen andere Jungs Videospiele. Wie kamen Sie eigentlich zum Kochen?

Ich bekam das «French Laundry Cookbook», als ich zehn Jahre alt war. Ich erinnere mich an den ersten Versuch, etwas daraus zu kochen, ich glaube einen Tomatensalat oder Tomaten-Eiscreme. Ich habe es so verhunzt und dachte mir: Das sieht überhaupt nicht so aus!

Wann wussten Sie, dass Sie Koch werden wollen?

Das war bei meinem ersten Besuch im «Eleven Madison Park». Ich war zum ersten Mal in einer Umgebung mit drei Michelin-Sternen und verschmolz sehr gut damit. Ich hatte Fotos und Videos gesehen und nun war ich mittendrin. Ich spürte die Energie und es fühlte sich angenehm an.

Sind drei Michelin-Sterne Ihr Ziel?

Sozusagen. Ich werde ja immer mit dem Satz zitiert, das beste Restaurant der Welt haben zu wollen. Das habe ich gesagt, weil es unerreichbar ist. Es gibt die 50 Besten-Liste, was die Meinung einer Gruppe von Leuten über die besten Restaurants ist. Ich will keine Trophäe, auf der «Weltbestes Restaurant» steht. Ich genieße das Streben danach viel mehr als den Lohn.

Aber drei Sterne bedeuten sehr viel Druck, über den Star-Köche auch klagen und die ihre Sterne teils zurückgeben wollen.

Jedem das seine. Es gibt Köche, die lieben es, es gibt Köche, die hassen es. Wenn du deine Sterne nicht willst, ist das total einleuchtend - vor allem, wenn man das seit 30 Jahren jeden Abend mit diesem Druck macht.

Haben Sie es leichter gehabt als Köche, die sich über Jahre vom Tellerwäscher bis nach ganz oben gearbeitet haben?

Die kurze Antwort lautet Ja. Ich habe nie als Tellerwäscher gearbeitet. Ich verliebte mich von einer kreativen Seite aus ins Kochen. Wusste ich, dass das abheben und mich ganz schnell nach oben schießen würde? Nein. Irgendwie passierte das zur selben Zeit, als Popup-Restaurants und das Internet und Köche so ein Ding wurden. Aber wenn du sagst, du hast deine Familie zehn Jahre nicht gesehen und dich nach ganz oben gearbeitet und dein Leben ist schrecklich, warum würdest du das der nächsten Generation wünschen? Es hört sich nach Folter an. Warum ändern wir das nicht?

Entgeht Ihnen wegen Ihrer ehrgeizigen Pläne etwas, das andere Teenager in Ihrem Alter erleben?

Deine Leidenschaft diktiert, wie du sie lebst. Ich habe sie sehr früh gefunden also mache ich Dinge, die ein 30-Jähriger sonst vielleicht machen würde. Wenn ich etwas mit solcher Leidenschaft täte und zum College ginge, statt ein Restaurant zu öffnen, hätte ich das Gefühl, etwas zu verpassen. Ich möchte nichts machen außer das hier.

Was essen Sie heute zu Abend?

Das ist eine sehr gute Frage, ich habe keine Ahnung. Wahrscheinlich hole ich mir etwas beim Chinesen.

ZUR PERSON:

Der aus Kalifornien stammende Flynn McGarry begeisterte sich früh für das Kochen. Seine Eltern bauten eine Test-Küche in sein Kinderzimmer, wo er verschiedene Gerichte und Kochtechniken ausprobierte. In der Restaurantszene machte er sich ab dem Alter von 14 Jahren mit der Popup-Reihe «Eureka» in Los Angeles und New York einen Namen. Er gastierte unter anderem bei den mit Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants «Geranium» in Kopenhagen, «Maaemo» in Oslo, «Alinea» in Chicago und «Eleven Madison Park» in New York. McGarry lebt in New York in der Lower East Side - nur wenige Straßenblocks von seinem ersten eigenen Restaurant «Gem».

Restaurant Gem, 116 Forsyth St, New York, NY 10002

(Das Café in Flynn McGarrys Restaurant «Gem» öffnet am 13. Februar. Zwei Wochen später findet am 27. Februar die offizielle Eröffnung statt)