Start in die Biergarten-Saison

Die Biergarten-Saison in Bayern kann beginnen: Viel Sonnenschein, blauer Himmel und Temperaturen zwischen 15 und 20 Grad versprechen die Meteorologen für die nächsten Tage. Bis einschließlich Sonntag soll sich das frühlingshafte Wetter nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes in München halten.

Erst zum Wochenbeginn sei wieder mit kühleren Temperaturen und gelegentlichen Regenschauern zu rechnen. Die höchsten Temperaturen werden am Samstag am Bodensee und in Unterfranken erwartet. Aber auch im übrigen Land wird reichlich Sonne die Menschen ins Freie locken.

In vielen Städten und Naherholungsgebieten wird angesichts der strahlenden Aussichten mit einem Ansturm der Ausflügler gerechnet. «Die Münchner sind sonnenhungrig. Wir rechnen damit, dass am Wochenende ordentlich was los sein wird», sagte etwa Petra Vogler vom Augustiner-Keller in München. Dort soll heute zum ersten Mal in diesem Jahr der Biergarten geöffnet werden.

200 Jahre Biergarten - Lebensgefühl unter Kastanien

Eine Maß Bier unter Kastanien, dazu eine mitgebrachte Brotzeit: Der Biergartenbesuch ist in Bayern gängige Freizeitgestaltung - und das seit 200 Jahren: Am 4. Januar 1812, erlaubte König Max I. den Brauern, über ihren Bierkellern Bier auszuschenken. «Ich habe deshalb 2012 zum Jahr des Biergartens erklärt», sagt Münchens Tourismuschefin Gabriele Weishäupl, die Ende März in den Ruhestand geht.

Die Brauereien lagerten früher das im Winter gebraute Bier in unterirdischen Gewölben. Aus Flüssen und Seen geschnittene Eisbrocken sorgten für Kühlung. Über den Kellern pflanzten die Brauer Schatten spendende Bäume - so blieben die Lagerräume kühl.

Aus den Kellern nahmen die Leute das Bier in Krügen mit. An heißen Tagen lockte der Schatten der Kastanien zur Rast - und so kam mancher Krug leer Zuhause an. Findige Brauer machten daraus ein neues Geschäft - und gerieten in Zank mit den Gastwirten, denen die Gäste wegblieben. Am 13. Mai 1791 beschwerten sich Münchner Wirtsleute aus der Au über die am nahem Isarhochufer angesiedelten Bierkeller beim Kurfürsten Karl-Theodor. Zwischen Gastwirten, Brauern und auch Gästen soll es damals teilweise zu handfesten Schlägereien gekommen sein.

Erst der königliche Erlass 1812 brachte Frieden: Nun durften die Brauer von Juni bis September ihr Märzenbier ausschenken, um es «in minuti zu verschleißen», also: sofort zu trinken. Brot durften sie servieren. «Das Abreichen von Speisen und anderen Getränken bleibt ihnen aber ausdrücklich verboten», entschied der König als Kompromiss für die Wirte. «Die Wirte haben sich anscheinend damit abgefunden», sagt der Leiter des Münchner Stadtarchivs, Michael Stephan.

Die Biergarten-Gäste wollten ihre Maß aber nicht auf nüchternen Magen trinken und so brachten sie ihr Essen kurzerhand mit. Aus der Gewohnheit wurde Tradition. Mancher «Zuagroaste» - auf Hochdeutsch der Zugereiste - staunt, wenn Einheimische ihre eigene Tischdecke entfalten, Geräuchertes, Käse und Rettich, Salzstreuer und Besteck ausbreiten und gar ein Kerzchen anzünden. «Das gibt es nirgendwo anders auf der Welt», sagt Weishäupl.

Das Mitbringen von Speisen ist inzwischen verbrieftes Recht: Einen Biergarten kennzeichne die Möglichkeit, «dort auch die mitgebrachte, eigene Brotzeit unentgeltlich verzehren zu können», legt die Biergartenverordnung von 1999 fest. Sogar vor den Oktoberfest-Zelten ist das Recht auf die eigene Brotzeit garantiert. Weil einige Wirte versucht hatten, die Gäste zu einer Bestellung zu nötigen, schreibe die Stadt die «Biergartenfreiheit» seit 2007 in den Wiesn-Verträgen fest, sagt Weishäupl. «Letztlich ist die Wiesn der größte Biergarten Münchens.» Alle Zelte zusammen bieten fast 30 000 Plätze.

Wenn es um ihr Recht auf den Biergarten geht, sind die Bayern zum Aufstand bereit: Rund 20 000 Menschen demonstrierten 1995 bei der «Biergartenrevolution» gegen Einschränkungen bei den Öffnungszeiten. Die Demonstranten zogen zur Staatskanzlei. «Wir standen unten und riefen: Rettet den Biergarten», erinnert sich Weishäupl.

Anwohner hatten wegen Lärms geklagt und vor Gericht Recht bekommen. Biergärten, darunter die renommierte Waldwirtschaft, hätten ab 21.30 Uhr kein Bier mehr ausschenken sollen. «Einen Biergarten um halb zehn zumachen - da ist es ja noch hell! Aus ganz Bayern kamen die Leute und haben protestiert», sagt die Präsidentin des Vereins zur Erhaltung der Biergartentradition, Ursula Seeböck-Forster. Der Freistaat erließ auf den Protest hin die Biergartenverordnung, nach der bis 22.30 Uhr ausgeschenkt werden kann, um 23.00 Uhr soll - von Einzelentscheidungen abgesehen - Ruhe herrschen.

Neue Gefahr für die Tradition: Mancher Neu-Bayer bringt statt Radi, Obazdn und Brezen einen Döner mit oder lässt sich gar Pizza an den Biertisch liefern. «Eine klassische Biergartenmahlzeit ist das nicht - aber wir schreiben nicht vor, was der Mensch essen soll», sagt Weishäupl.

Auch Seeböck-Forster betont, das sei «nicht das, was man sich für einen gescheiten Biergarten wünscht». In Bayern gelte jedoch «leben und leben lassen». Auch Facebook-Verabredungen zu regelrechten Biergartenpartys entsprächen nicht gerade der Tradition. Es sei kein Ort für «Flashmobs, die sich da mit 200 Leuten zusammenrotten und auf leeren Plätzen Riesenbuffets aufbauen». Vielmehr sei der Biergarten gerade in der Großstadt wichtig für Familien mit Kindern und nicht so viel Geld. Dort könnten sie günstig im Freien sein und essen. «Ein Biergarten hat in der Großstadt eine große soziale Funktion.»

Der Biergarten ist freilich auch Sinnbild bayerischer Gastlichkeit und Kulinarik - und Touristenattraktion. Weishäupl: «Der Biergarten es ist ein hochattraktives Motiv für unsere Tourismuswerbung.»

So attraktiv sind Bayerns Biergärten, dass Nordrhein-Westfalen versehentlich in einer Broschüre mit einem Biergarten-Bild aus dem Englischen Garten warb. Die «Verwechslung» sei erst nach dem Druck aufgefallen, das Bild werde bei der Neuauflage ausgetauscht, hieß es, als die Panne ans Licht kam. dpa

«First Lady» des Oktoberfests wird 65

Tradition und Fortschritt - für die Leiterin des Oktoberfests und dienstälteste Tourismuschefin Deutschlands ist das weniger Spagat als Einheit. Gabriele Weishäupl hat mehr als ein Vierteljahrhundert das Image Münchens in der Welt mitgeprägt, die Stadt als erste deutsche Tourismusmetropole 1995 im Internet positioniert und zugleich gerade auf dem Oktoberfest für den Erhalt des Brauchtums gekämpft - Ende März geht sie in den Ruhestand.

An die 10 000 Tage war sie dann im Amt, rechnet sie vor, rund 27 Jahre lang. Auch danach wird sie sich für den Tourismus und das Oktoberfest engagieren: Sie bleibt Vorsitzende des Vereins Oktoberfestmuseum, Vizepräsidentin des Deutschen Tourismusverbandes und Vizepräsidentin des Tourismusverbandes Oberbayern.

Die promovierte Kommunikationswissenschaftlerin hatte sich 1985 als Parteilose bei der Wahl zur Tourismus-Chefin im Stadtrat gegen CSU und Grüne durchgesetzt - und gegen 40 männliche Mitbewerber. Im Tourismus setzte die alleinerziehende Mutter eines inzwischen erwachsenen Sohnes Akzente auf für Bayern eher ungewöhnlichem Gebiet: Sie förderte den Schwulen- und Lesben-Tourismus. München wurde 1999 als erste Stadt Europas Mitglied in der «International Gay & Lesbian Travel Association».

Mit einer Charme-Initiative bei Taxlern und Bedienungen bekämpfte sie Münchens Grantler-Image. Vor allem aber warb sie um Gäste aus dem Ausland. München gründete touristische Vertretungen weltweit, darunter die erste deutsche Vertretung in China.

Anfangs war Weishäupl als «Botschafterin der Stadt» im Businesskostüm unterwegs. «Ich habe aber sehr schnell festgestellt, dass es viel mehr Furore macht, wenn ich im Dirndl komme.» Sie stellte die Garderobe um. In den USA, in Afrika und Asien wurde sie nun als «President of the Octoberfest» vorgestellt. Elegantes Seidendirndl oder festliches Dirndl mit Familienschmuck für den Abend - über die Zahl ihrer Trachtenkleider wurde viel spekuliert. «Ein ewig Geheimnis will ich bleiben», zitiert sie dann den Märchenkönig König Ludwig II., dessen 125. Todestag sie 2011 mit dem Jubiläum 100 Jahre Blauer Reiter zum «Blauen Jahr» zusammengefasst hat.

Folgen der Wirtschaftskrise im Tourismus fürchtet Weishäupl nicht. Die «Weltstadt mit Herz» verzeichnet immer neue Besucherrekorde, knackte 2010 die Elf-Millionen-Marke bei den Übernachtungen und steuert 2011 trotz Krise und Regen-Sommers auf ein weiteres Plus zu.

Schlösser, Musik und Museen - damit präsentierte sie München unter dem Motto «Munich is more» und unterstrich den Anspruch einer Kultur-Hauptstadt, als Gegenpol zum Bier- und Lederhosen-Image. München dürfe sich nicht nur auf seine «Alleinstellungsmerkmale» Oktoberfest und Hofbräuhaus verlassen. «Wir müssen auch die anderen Seiten der Stadt aufschlagen und anbieten in der Welt.»

Früh setzte Weishäupl, die das Bundesverdienstkreuz am Bande und den Bayerischen Verdienstorden trägt, auf Nachhaltigkeit. Ihr erstes «Radl-Sightseeing» 1987 stieß auf Befremden. «Damals haben die Leute gelacht, heute ist das Zeitgeist.» Auch auf der Wiesn hielt Ökologie Einzug, 1997 gab es dafür den Bundesprojektpreis. Zugleich kehrt das Brauchtum zurück. Die «Oide Wiesn» mit Blasmusik und zünftigen Zelten wurde 2011 ein Renner - für Weishäupl ein Vorbild für die Zukunft der Wiesn und für andere Volksfeste. «Mit behutsamer Hand» müssten diese Biotope des Volkstums in die Zukunft geführt werden.

Mit Weishäupls Weggang wird das Tourismusamt umstrukturiert. Ihr Erbe bei der Wiesn tritt ihr Dienstherr an, Wirtschaftsreferent Dieter Reiter (SPD). Die Wiesn sei nicht seine unangenehmste Aufgabe, «und natürlich ist sie öffentlichkeitswirksam», sagte Reiter. Er will 2014 Christian Ude (SPD) als Oberbürgermeister beerben. Der Tourismus wird ein Fachbereich im Referat, die Leitung ist offen. Weishäupls letzte Amtshandlung wird am 29. März eine Pressekonferenz zur Tourismusbilanz sein. Und da wird sie jedenfalls noch einmal ein Rekordergebnis verkünden. dpa