Sylt im Frühling Austern und mehr

Von Nicole Jankowski

Anfang März bringen sie die Austern aus dem Winterquartier in die Nordsee zurück. «Wir müssen das Eis umgehen, das macht alles kaputt», sagt Christoffer Bohlig, 38. Er wollte eigentlich Meeresbiologe werden, jetzt ist er Betriebsleiter bei Dittmeyers's Austern Compagnie in List im Norden der Insel.

Sylt Johannes King Sölringhof Foto Jan Persiel

Gemeinsam mit zwei Mitarbeitern watet Bohlig in Gummistiefeln durch das Watt. Auf Metalltischen breiten die Drei die Netztaschen aus, Poches genannt. 200 bis 300 Austern passen hinein. «Je nachdem wie die Tide ist, kommen wir manchmal gar nicht ins Watt», erklärt der Fachmann. Heute ist ein guter Tag, wenig Wind, das Meer bleibt weit zurück. Bis Ende Mai will Bohlig mit der Arbeit fertig sein.

Seit 1986 wird die Pazifische Felsenauster auf Sylt gezüchtet. 70 bis 90 Gramm wiegt eine fertige Auster, die man frisch in List probieren kann. Zum Beispiel als Sylter Royal mit ein wenig Pfeffer und ein paar Spritzern Zitrone. Mit dem Meerwasser schlürfen und mehrmals kauen! «Und, werden sie Freunde?», fragt der Kellner. Verlegenes Lächeln. Für das nächste Mal empfiehlt er eine überbackene Version.

Wer mehr über die Austernzucht auf Sylt erfahren will, bucht am besten eine Führung im Naturgewalten-Zentrum in List. Die Blidselbucht ist Sperrgebiet, allein darf man sie eigentlich nicht betreten. Beim Watt sieht das anders aus. Doch bei einer geführten Wanderung lässt sich mehr entdecken.

Mit Gummistiefeln und Grabegabel stapft Matthias Strasser, Leiter des Erlebniszentrums, voraus. Zwischen den Sandkothaufen des Wattwurms zeigt der Biologe auf braune geleeartige Beeren. Hier hat der Kiemenringelwurm gelaicht. Strasser gräbt das Tier aus. Klein, dünn, rötlich - ein Frühlingsbote. Vereinzelt schillern Gelee-Beeren grün im Sonnenlicht. Spätestens Ende April ist das Watt dann übersät mit den Eiern des grünen Blattwurms. Aus dem kalten Nordseewasser fischt der Watt-Experte eine Miesmuschel. Winzige weiße Pocken sitzen auf schwarzem Grund. Sie haben sich erst vor wenigen Tagen angesiedelt. «Ende Mai wird der Strand voller Minimuscheln, winziger Strandkrabben und den ersten Garnelen sein», sagt der Museumsleiter.

Noch steckt der Frühling im Watt in den Kinderschuhen. Auch die Flora erwacht erst langsam zu neuem Leben. Es blüht die Krähenbeere, eine der drei Heidearten auf Sylt. Strasser mag sie besonders. «Sie ist ganz unscheinbar.» Man muss nah ran, um die lilafarbenen Blüten zu bewundern. Auffälliger geht es da auf den Steinwällen in Keitum zu. Zwischen den Ästen der Heckenrosen heischen Osterglocken, Krokusse und Narzissen um Aufmerksamkeit.

Sylt Johannes King Sölringhof Foto Boris Breuer

Langsam wagen sich auch die ersten Kräuter aus der Erde. Sternekoch Johannes King (Fotos) hockt mit Gummistiefeln im Garten seines Hofes in Morsum und pflückt Gundermann. «Früher hat man gesagt, man hat Unkraut, heute hat man Wildkräuter», sagt er. Das Kochen mit den Jahreszeiten ist Kings Markenzeichen. Ein Teller im Frühling - kein Vergleich mit dem im Herbst. «Die Küche jetzt ist zarter, sanfter, von den Tönen pastelliger.» Der Gastronom reißt etwas Bronzefenchel ab und beißt darauf. Ein leichter Lakritzgeschmack. Am Abend wird er im Sterne-prämierten «Söl'ring Hof» in Rantum mit Forelle und Birne eine delikate Verbindung eingehen.

Ostern und Lamm, auch das gehört zusammen - kulinarisch und auf dem Deich. Kai und John Petersen aus Keitum gehören zu den größten Schafzüchtern der Insel. 200 Mutterschafe besitzen Vater und Sohn. In der Lammzeit kommen sie in den Stall, sechs Wochen unter strenger Beobachtung. Alle zweieinhalb Stunden überprüft jemand die Herde, Tag und Nacht. «Das ist anstrengend, aber man hat ja dem Schaf gegenüber eine Verpflichtung», sagt John Petersen. Schafe, die gelammt haben, kommen in Einzelboxen, damit Mutter und Kinder Geruch und Ruf kennenlernen. Das ist wichtig, denn auf der Hausweide, dem Deich, können sie sich später nur so wiederfinden. Geschlachtet wird ab August.

Bis die Schafe auf den Deich kommen, dauert es noch ein bisschen - leer ist es trotzdem nicht. Die ersten Zugvögel haben sich bereits Anfang April rund um das Rantumer Becken niedergelassen, wie ein Blick durch das Beobachtungsfernrohr von Daniela Woelky verrät. Was aussieht wie kleine schwarze Steine im Watt, entpuppt sich in der Vergrößerung als Limikolen, Watvögel. Für den Verein Jordersand zählt die junge Frau die gefiederten Gäste. Erst wenige Wochen im Amt, hält sie die Besucher aus der Luft schon perfekt auseinander.

Woelky zeigt auf die kleinen Alpenstrandläufer, noch im grau-weißen Schlichtkleid. «Bald kommen sie in die Mauser und erhalten ihr Prachtgewand», sagt sie. Rausputzen für das Balzgeschäft. Auf der anderen Seite vom Nössedeich pickt ein Großer Brachvogel im Schlick nach Nahrung. Er bleibt den ganzen Winter über auf Sylt, im Gegensatz zu seinem kleineren Artgenossen, dem Regenbrachvogel. «Der kommt erst im Frühjahr, deshalb gucke ich da immer doppelt.»

Bis zum ganz großen Schauspiel am Rantumer Becken dauert es aber noch ein bisschen. Dann vibriert hier die Luft, und die Wasseroberfläche ist unter Millionen Vogelleibern kaum zu erkennen. Auf ihrem Weg zwischen Afrika und der Tundra kommen die Zugvögel ins Watt, um sich für die weitere Reise zu stärken. Hochsaison für Ornithologen. Mit den ersten warmen Tagen tauchen auch Robben und Seehunde wieder auf den Sandbänken auf. Mitsamt ihrem Nachwuchs, der in den kalten Wintermonaten das Licht der Welt erblickt hat.

Ebenfalls aus dem Winterquartier zurück: die Strandkörbe. Auf der Nordsee-Seite zwischen Westerland und Hörnum warten sie akkurat aufgereiht auf die Urlauber. Tief versunken in einem der gestreiften Windschützer tankt der Körper die ersten Strahlen der Frühlingssonne.

Die genießen auch die «Sansibar»-Jünger. Schon Anfang April ist es in Deutschlands berühmtester Strandbude voll. Nur paar Meter weiter ist man dennoch allein am Strand. Ein Glas Erdbeerbowle in der Hand, lässt sich hier die Ruhe vor dem Sturm genießen. Der Frühling ist da, aber die Hauptsaison noch weit weg. dpa

Sylt im Frühling

Reiseziel: Sylt ist die größte nordfriesische Insel. Sie liegt vor der Nordseeküste Schleswig-Holsteins und Dänemarks. In den Monaten März bis Mai wacht nicht nur die Natur aus ihrem Winterschlaf auf - auch die Insel belebt sich zusehends.

Anreise: Es gibt vier IC-Direkt-Verbindungen nach Sylt, etwa ab Dresden, Köln, Karlsruhe und Frankfurt. Wer mit dem Auto anreist, wird in Niebüll auf einen Autozug verladen. Es gibt auch Flugverbindungen nach Sylt.

Informationen: Insel Sylt Tourismus-Service GmbH, Strandstraße 35, 25980 Sylt/Westerland (Tel.: 04651/99 80, www.insel-sylt.de).

Wattwanderungen zum Beispiel mit dem Erlebniszentrum Naturgewalten, Hafenstraße 37, 25992 List (Tel.: 04651/83 61 90, naturgewalten-sylt.de).

Vogelkundliche Wanderung und Wattwanderungen: Nationalpark-Haus Arche Wattenmeer, Rantumer Straße 33, 25997 Hörnum (Tel.: 04651/88 10 93, schutzstation-wattenmeer.de).